Meine Herren,
Der aufregende Vortrag von Philipp Langenburg über seine Familie veranlaßt mich, Ihnen ein Kontrastprogramm zu bieten, nämlich über die Geschichte meiner Familie… Die Familie Herzog – ich meine, die, in die ich hineingeheiratet habe, die kennen wir länger -, aber die Familie Herzog ist erstmals urkundlich 1640 im bayerischen Schwaben, das hieß damals Vorder-Österreichs Markgrafschaft Burgau, urkundlich geworden. Das bayerische Schwaben war weitgehend entvölkert durch zwei Kriegszüge in der ersten Phase des dreißigjährigen Krieges, und da sind aus Gebieten, die überfüllt waren nach damaligen Verhältnissen, also insbesondere aus den Alpengebieten und aus Bayern, Familien zugezogen. Mein ältester Vorfahr ist im Jahr 1640 in einem Schwäbischen Dorf sesshaft geworden, hat ein erbärmlich kleines, durch den Krieg ruiniertes Anwesen erworben für 110 Gulden, die er dadurch aufbrachte, dass er zwei Schulden, heute würde man sagen zwei Hypotheken, die eine in Höhe von 70 Gulden und die andere in Höhe von 40 Gulden, übernommen hat. Er hat also keinen roten Heller in der Tasche gehabt. Er ist dann auch im Laufe des gleichen Tages unsicher geworden und ist wohl zu dem Schluss gekommen, dass er sich wohl verspekuliert hat, und hat das Anwesen zurück gegeben. Es ist ein zweiter aufgezogen, der hat´s auch zurück gegeben und ein dritter auch, der vierte ebenfalls und der Öttingensche Obervogt Johann Georg Kieferlin, der auch sonst urkundlich bekannt ist, hat voller Wut an den Rand geschrieben: Notabene ist aus allen diesen Käufen nichts geworden, weil´s lauter Lumpen gewesen sind….!“ Das ist die erste Erwähnung meiner Familie.
Ich möchte über Bildungspolitik sprechen, weil die Bildungspolitik wirklich, selbst wenn man die Sprüche davon, dass der Geist unsere einzige Ressource ist usw., für etwas übertrieben hält, weil die Bildungspolitik in der Tat etwas ist, was für unsere Zukunft als Wirtschaftstaat – aber auch für unsere Zukunft aufgrund unserer politisch-ethischen Überzeugungen von ganz entscheidender Bedeutung sein wird. Ich gehe nicht so weit, dass man an der Bildung nichts kürzen dürfte, und ich möchte Ihnen sagen, diese Debatte, die sich an eine Äußerung von Roland Koch angeknüpft hat, weil die so typisch ist für die Blödheit, in der bei uns politische Diskussionen geführt werden…
Ich bin wie viele von uns der Meinung, an den Geldmitteln für die Bildung darf nichts geändert werden. Aber ich bin nicht der Meinung, dass deswegen alle Etats von Frau Schavan und von den Kultusministern der Länder nicht durchgeforstet werden dürfen. Es ist nicht alles, was in Bildungsetats steht, für Bildung. Ich spreche jetzt gar nicht davon, dass man auch dumme Dinge lernen kann an unseren Schulen, sondern ganz einfach: Ich habe ein Beispiel, das ich, als ich selber als Kultusminister in Baden-Württemberg war, verübt habe. Man muss sich das vorstellen: Vor 30 Jahren einen Bildungshaushalt meines Ministeriums mit über 5 Milliarden DM! Das heißt, es ist uns gut gegangen damals und natürlich ist das alles in die Schulen geflossen und die Hochschulen waren außen vor, die hatten ein eigenes Ministerium. Aber wir hatten auch so noch andere Möglichkeiten.
Ich erinnere mich, dass ich eines Tages den Landessportschulen des Landes Baden- Württemberg den großen Wunsch erfüllt habe, in ihren Gebäuden Schießstätten einzubauen. Das ging natürlich aus dem Bildungshaushalt, aus dem Haushalt des Kultusministers. Wenn das heute gestrichen würde – und ich weiß nicht, ob es das noch gibt -, würde zwar der Etat des Kultusministers – na, wahrscheinlich der Kultusministerin – mittlerweile gekürzt, aber der Bildung würde gar nichts fehlen. Ich glaube nicht, dass es zur Bildung gehört, in der Welt herum schießen zu können. Das ist zwar ein schöner Sport, den ich sehr liebe, aber ich glaube nicht, dass das etwas mit Bildung zu tun hat. Es ist aber ganz typisch, dass in unseren Breiten der Eine sagt: „Es muss auch an den Bildungsetats gespart werden“, die Anderen sofort sagen: „An der Bildung darf nicht gespart werden“. Und selbstverständlich handelt es sich dabei nicht nur um Irrtümer, sondern auch um Interessengegensätze, die nicht ausgesprochen werden. Es sind die, die dann sofort zu heftigen Auseinandersetzungen führen über etwas, das im Grunde wie ein Luftballon ist, den man mit einer Nadel vorsichtig anstößt und der nichts anderes als warme Luft von sich gibt. Das Problem ist, dass wir in der Bildungspolitik häufig – im Übrigen nicht nur in der Bildungspolitik, aber in der Bildungspolitik besonders häufig – mit solchen Dingen zu tun haben.
Wir haben jetzt 50, 60 Jahre bildungspolitische Auseinandersetzungen hinter uns. Worüber ist gestritten worden? Über eine organisatorische Frage, nämlich, ob es ein gegliedertes Schulsystem geben soll oder Gesamtschulen. Es gibt auch ein Land, in dem man gesagt hat, die Hauptschule hat keine Zukunft mehr. Die werden wir jetzt beseitigen, also hat man die Kinder, die in eine Hauptschule gehen müssen, dort gefördert werden müssten, umschulen müssen. Das sind Luftblasen, um die diskutiert wird. Es ist gestritten worden und wird nach wie vor gestritten über Lehrerzahlen und noch mehr über die Lehrerbesoldung. Ich habe früher immer gesagt, der Hauptstreit geht über die Schülerbeförderung, gemeint ist aber die Lehrerbeförderung. Das ist eine nicht ganz gerechte Verallgemeinerung, aber immerhin… Es wird gestritten über die Mitwirkung der Eltern in den Schulen. Es wird gestritten über die Frage, ob 12 oder 13 Schuljahre, es wird gestritten, ob man die Ganztagesschule haben will. Die einen wollen es, damit die Kinder aus benachteiligten Familien aufholen können. Die anderen wollen es, weil ihre Kinder irgendetwas nachzuholen haben. Das gibt es ja insbesondere in der Pubertät. Wieder andere wollen es, weil der Mann Senatspräsident beim Oberlandesgericht ist und die Frau Landgerichtsdirektorin an einem Landgericht und auf die Kinder aufgepasst werden soll, ohne dass es etwas kostet…, also das alles fließt ineinander. Der Versuch, die Dinge auseinanderzuhalten, wird entweder nicht gehört oder absichtlich falsch verstanden. Und über allem dominiert der Satz, der im Prinzip ja richtig ist, aber den man auch total übertreiben kann: „Geist ist unsere einzige Ressource, mehr haben wir nicht, vor allem seit das Eisen und die Kohle nicht mehr sehr viel wert sind!“
Über all das kann man streiten, aber ich glaube nicht, dass irgendetwas, was auf diesen Gebieten passiert ist, wirklich als Bildungsreform bezeichnet werden kann in den letzten 50 Jahren. Eine wirkliche Reform war das Erstrecken des Netzes der weiterführenden Schulen. Also insbesondere der Realschulen und der Gymnasien in die ganze Fläche des Landes, so dass die Menschen, die irgendwo im Süden auf der Zollernalb lebten und ihre Kinder aufs Gymnasium schicken wollten, sich von ihnen nicht ab dem 10. Lebensjahr trennen mussten. Das war eine gigantische Leistung. Die Entwicklung des Berufsschulwesens gerade in Baden-Württemberg war auch so eine gigantische Leistung, aber alles andere sind eigentlich Dinge, die, wenn man etwas Ungerechtigkeit mit in Kauf nimmt, eigentlich zur Verbesserung oder zur Erfüllung von Lehrerforderungen und nicht von Bildungsproblemen und Bildungsbedürfnissen erfolgt sind.
Ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist: Da ist eine riesige Organisation geschaffen worden und wird immer noch unterhalten, und das ist auch richtig so. Aber kein Mensch redet darüber, was die Kinder in der Schule lernen sollen! Darüber, was in unseren Schulen heute, in der Welt, die sich ja in hundertfachen Beziehungen von der Welt vor 50/60 Jahren unterscheidet – was da gelernt werden soll, was gelehrt werden soll, wird kaum diskutiert. Mal geht´s um Ethikunterricht, mal um Pflichten und um ähnliche Dinge. Aber das sind immer Randprobleme, in Wirklichkeit ist darüber nie diskutiert worden. Wir sagen zwar, dass der Geist unsere einzige Ressource ist, aber was man in dieser Zeit mit diesem Geist anfangen soll, das wird schamhaft verschwiegen. Und das zweite, fast noch wichtigere ist – und das wird jeder von Ihnen wissen, der Unternehmer ist: Wie lehrt man das so, dass es die Kinder, wenn sie am Ende aus der Schule kommen, noch wissen und wirklich in ihr Leben mitnehmen können? Daran wird deutlich, es geht gar nicht darum, was die Schüler lernen sollen, sondern meist geht es darum, was die Lehrer lehren sollen oder dürfen. Und ob es dann wie ein Rasenmäher über die Köpfe hinweg gelehrt wird, mit der Folge, dass das Kind aus der Schule kommt und nicht einmal die primitivsten Regeln der Orthographie beherrscht und nicht einmal die primitivsten Regeln in anderen Disziplinen. Diese Folge wird kaum einmal diskutiert, wenn nicht in den Sitzungen von Handwerkskammern oder von Industrie- und Handelskammern. Das Entscheidende ist aber doch: Es geht um die Kinder! Was die lernen und wissen und behalten sollen, und es geht nicht um die Lehrer, was die lehren sollen. Die können, wenn sie gut ausgebildet sind – das sind sie ja häufig oder in aller Regel – die Lehrer können alles lehren, wenn man ihnen die Handreichungen dazu gibt. Entscheidend ist, dass die Kinder – ich sage es zum dritten Mal und ich weiß warum – dass die Kinder aus der Schule kommen und wirklich etwas mitnehmen, und wenn es nur die Orthographie und das kleine 1×1 ist.
Darüber sollten wir eigentlich einmal eine Diskussion führen. Theoretisch ist das ganz einfach. Es muss einen gründlichen Unterricht geben. Es ist notwendig, den Stoff nicht nur zu lehren, sondern ihn auch zu wiederholen, Lücken zu schließen, insbesondere in den Jahren der Pubertät. Wenn ich mich da an mein 13./14. Lebensjahr erinnere, auf was ich da alles nicht aufgepasst habe, das geht auf keine Kuhhaut…! Und es muss eingeübt werden können. Primitive Dinge, die wir heute endlich wieder in den Mittelpunkt stellen müssen. Wiederholen, Lücken schließen, Einüben, damit unsere Kinder das wenigstens, was man ihnen in diesen Schulen bieten kann, behalten können.
Aber meine Herren, das kostet Zeit, und Zeit ist die knappste Ressource, die es überhaupt gibt. Wenn ich nicht genug Boden habe, um etwas aufzubauen, dann kann ich entweder in die Höhe oder in die Tiefe bauen. Wenn ich nicht genug Arbeitskräfte habe, dann kann ich mechanisieren oder digitalisieren. Ich will die Beispiele jetzt nicht fortsetzen, aber wenn ich Zeit habe, kann ich keinen Kredit aufnehmen – auf Zeit kann man keinen Kredit aufnehmen, hier muss scharf und spitz gerechnet werden. Und die Zeit ist selten in unserem Bildungswesen, und ich glaube, das ist der wundeste Punkt der heutigen Bildungspolitik überhaupt in unserem Bildungswesen. Schon die meisten Lehrpläne sind total überfrachtet, und außerdem haben wir es mit einer Wissensexplosion zu tun, die es noch nie in der Geschichte der Menschheit in dieser Form und in diesem Umfang gegeben hat.
Die Lehrpläne sind überfrachtet, und ich will auch ganz deutlich sagen, worum es geht. In Wirklichkeit kämpfen hier Fachlehrerverbände gegeneinander, mit allen Mitteln, die es gibt. Jeder kämpft um jede Viertelstunde für sein Fach. Ich habe, als ich Kultusminister in Baden-Württemberg war, festgestellt, dass zwischen der 7. Klasse und der 10. Klasse, also im oberen Teil der Sekundarstufe 1, ganz unterschiedliche Wochenstundenzahlen stattfanden. In einem Jahr waren es 32, im andern Jahr waren es 37, im nächsten Jahr waren es 34, und so weiter. Wenn Sie dem nachgegangen sind, es war immer das Gleiche. Da ist es um Geographie gegangen und um Geschichte oder um Deutsch oder um sonst irgendwas. Es ist immer um Stunden gefochten worden, und je nachdem, wer der härtere Fachlehrerverband in der konkreten Frage gerade war, der hatte sich durchgesetzt. Es ist aber ein wesentlicher Unterschied, ob ein Kind in der Pubertät mit 13/14 Jahren 37 oder 38 Stunden hat oder 32 pro Woche. Das heißt, man hat den Teufel zum Aufseher gemacht und man hat daher auch nie berücksichtigen können, wie unser Wissen, das Wissen der Menschheit überhaupt, sich inzwischen weiter entwickelt hat. Es gibt im Augenblick eine leise Debatte über die Frage, wie wir damit fertig werden, dass wir die 1. Generation sind – die auch, wenn sie wissenschaftliche Fragen stellt – nicht vorwiegend Informationen beschaffen muss, um dann weiterzudenken, sondern die so viele Informationen auf den Tisch bekommt, dass die Kunst darin besteht auszusondern, was man gerade nicht braucht. Und das ist genau das Problem, vor dem wir in der Bildungspolitik auch stehen. Ich sage es immer so: Es ist zwar ein etwas zweifelhaftes Bild, aber wir haben so eine Formel, dass das Wissen der Menscheit sich alle 10 Jahre verdoppelt. Wir wissen zwar genau, dass es Fächer gibt, in denen es langsamer geht, und dass es Fächer gibt, in denen sich das Wissen der Menschen in einem oder 1 ½ Jahren verdoppelt, aber lassen wir mal diesen Maßstab gelten und dann rechnen Sie von 1945 an. Dann hat sich unser Wissen in dieser Zeit versiebzigfacht! Das kann man ausrechnen, das ist wie in der Geschichte vom Schachbrett, vom Erfinder des Schachspiels: Zweiundsiebzigfach, also jedenfalls ungefähr versiebzigfacht.
Die Zeit, die der Schule für die Unterrichtung der Kinder, also für die Vermittlung des Wissens, zur Verfügung steht, hat sich, wenn man ganz grob rechnet, aber höchstens verdoppelt – wenn man ganz optimistisch rechnet, dadurch, dass viele Schüler längere Bildungswege machen als vor 60 Jahren und dergleichen. Und die Frage ist natürlich, wie kommt das Bildungswesen damit zurande? Ich glaube nicht, dass wir in dieser Frage wirklich so weiter machen können wie bisher. Wir können das nicht mit dem bisherigen Bildungswesen lösen, das auf der Idee aufbaut, grundsätzlich das gesamte Wissen der Menschheit zu vermitteln. Goethe hat das Wissen seiner Zeit noch allein beherrscht. Eine halbe Generation später hat die Familie Humboldt schon zwei ziemlich geniale Brüder gebraucht, um das zu bewerkstelligen, heute geht´s überhaupt nicht mehr.
Wir werden so nicht weitermachen können, wir werden also auswählen müssen. Das beginnt nicht am Punkt Null. Es gibt schon die unterschiedlichen Lehrpläne in Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien. Es gibt die Spezialisierung zwischen den fünf Typen des Gymnasiums. Dazu nur nebenbei: Wir haben heute auf Bundesebene viel weniger Gymnasialtypen als früher im Königreich Preußen, weil die Bildungspolitik dort Aufgabe der Provinzen war.
Aber das, was auf uns zukommt, wird uns zwingen, die Illusion aufzugeben, die vorher schon eine Illusion war, dass jeder Schüler so ans Wissen seiner Zeit herangeführt werden kann, dass er damit wirklich etwas anfangen kann. Wir werden unsere Lehrstoffe nicht, wie oft angenommen, erweitern – wir werden sie dramatisch reduzieren müssen; denken Sie an die Zahl siebzig!
Meine Ausführungen wären hier sicher am Ende, wenn es nicht in der Zwischenzeit die Erfindung des Computers gegeben hätte. Wir werden das Ganze neu überdenken müssen. Wir werden uns folgendes überlegen müssen: Welche Fächer können wir noch in unseren Schulen in einer Art Vollunterricht vermitteln? Ich glaube, das werden vor allem die Sprachen sein. Auf der anderen Seite wird es einen Unterricht geben müssen, wo man den Schülern nur mitteilt, das und das gibt es und da gibt es die und die Fachbegriffe und die Fragen sind die und die, und alles andere ergibt sich aus dem Internet. Ich übertreibe jetzt natürlich sehr, weil ich ja nur eine halbe Stunde reden soll und 25 Minuten schon zu Ende sind.
Also, in wesentlichen Fächern eine Art „Überblicks-Unterricht“. Und vieles haben wir Älteren bereits erlebt. Ich habe nach 1945 als Schüler, auch noch in den 50ziger Jahren als Abiturient gelernt, da ist das, was Otto Hahn und Erwin Schrödinger usw. gebracht hatten, aus Amerika wieder zurück gekommen, und wir haben ungefähr erfahren, wo es hinläuft. Ich glaube, das wird in weiten Bereichen der Unterricht der Zukunft sein, aber nach einigen Prinzipien. Ich halte nämlich nichts davon, nur Naturwissenschaft, nur Geisteswissenschaften, nur Geschichte, nur Kulturwissen auf einzelnen Schulen zu vermitteln. Das Geheimnis heißt Mischung.
Es kann schon sein, dass man rein musische Gymnasien braucht; wir brauchen ja auch Erscheinungen wie Anne-Sophie Mutter, bei der ich mich immer frage, wie die bei Ganztagesschulunterricht noch zu einer solchen Geigerin geworden wäre. Im Übrigen müssen die genannten Felder aber in allen Schulzweigen vorkommen. Jemand, der nur in der Naturwissenschaft, jemand, der nur in bestimmten Geisteswissenschaften bewandert ist, jemand, der von der Kultur und von der Kunst gar nichts versteht, keinen Blick dafür hat, bleibt vermutlich ein Flickschuster, so wie das immer gewesen ist. Nur die Graduierung der Mischung kann unterschiedlich sein.
Vor allem aber muss der Umgang mit dem Internet, mit den Angeboten des Internets eingeübt werden. Die Schüler müssen lernen an Beispielen, und zwar jedes Jahr 3-4 Beispiele pro Fach. Sie müssen lernen, mit der Informationsfülle, mit der Fragestellung, mit der Entwicklung der richtigen Arbeitsfrage, der richtigen Arbeitshypothese zurechtzukommen, sich das Material zu verschaffen, das ja vorhanden ist, und von dem eben ausgewählt werden muss, was brauche ich für dieses oder jenes Problem. Das muss gelernt werden. Jährlich – ich sage jetzt mal so drei, vier, fünf tiefer bohrende Arbeiten aus jedem dieser Gebiete, die ich genannt habe, unter der Anleitung von Lehrern. Aber im Übrigen dann Ernst machen mit dem, was man in Sonntagsreden so schön “das lebenslange Lernen“ nennt!
Dieses Umpolen des Unterrichts ist wahrscheinlich für die Lehrer wahnsinnig anstrengend, aber dafür sind sie Lehrer geworden, da hätte ich keine besonderen Skrupel. Aber man muss sehen, worauf das hinausläuft. Es läuft darauf hinaus, dass Bildung wieder vermittelt wird wie vor ungefähr 100 bis 200 Jahren: Dass an den Universitäten damals, jetzt vielleicht auch an den Gymnasien, in ein Thema eingeführt wurde, dann sind die Leute nach Hause gegangen und haben Selbststudium betrieben. Das wird sich auf die Dauer gar nicht vermeiden lassen.
Ich weise allerdings darauf hin, dass das alles auch ungeheure soziale Barrieren neu schaffen kann.
Die Frage, warum im Unterricht viele Kinder aus benachteiligten Familien – das muss gar nicht Migration sein – nicht nachkommen, müsste einmal ehrlich diskutiert werden. Meines Erachtens gibt es zwei Gründe. Der eine: Viele von uns haben die Grundbegriffe der Bildung und des Wissens zu Hause in einem interessanten Elternhaus mitbekommen. Ich komme aus einer Klasse, in der zwei Akademiker-Kinder waren; mein Vater war kein Akademiker, aber er war ungefähr vergleichbar. Alle anderen waren Bauern- und Arbeiterkinder, und ich habe es selbst erlebt, wie schwierig es für sie war, jene Dinge nachzulernen, die wir gewissermaßen nicht mit der Muttermilch, wohl aber im täglichen Leben zuhause mitgekriegt hatten. Da muss die Hilfe einsetzen und zwar auch in einer Form, dass man die Familien einigermaßen mitnimmt.
Und der zweite Grund ist immer noch, dass in benachteiligten oder schwächeren Familien das Aufsteigen der Kinder Probleme erzeugt, die es in anderen Familien gar nicht gibt. Die Kinder entwachsen den Eltern, sie werden den Eltern überlegen, sie heiraten vielleicht in ganz andere soziale Kreise hinein. Das ist ein weiteres Problem, das unsere Bildungspolitik schwer belastet. Aber weil´s entweder niemand sieht oder sehen will und niemand drüber reden will, wird es nie diskutiert wird und nie auch nur halbwegs einer Lösung zugeführt.
Wir hätten also eine ganze Menge zu tun. Abgesehen von der Anschaffung von ein paar hunderttausend Computern wären das überwiegend Reformen, die nichts oder jedenfalls sehr wenig Geld kosten. Das werde ich nie begreifen: Wir haben einen riesigen Reformbedarf in vielen Bereichen unseres politischen und unseres gesellschaftlichen Lebens. Warum dann nicht in einer Zeit, in der das Geld knapp wird, einfach mit den Reformen beginnen, die nichts kosten?
Ich wünsche Ihnen noch einen vergnügten Abend und ich werde jetzt versuchen, zu rauchen, ich habe für den heutigen Abend nach immerhin fast neunjähriger Ehe von meiner Frau zum ersten Mal die Genehmigung bekommen, in bescheidenem, maßvollem Umgang eine Pfeife zu rauchen.