Sehr geehrte Teilnehmer des Jahresschluss-Collegiums des Bremer Tabak-Collegiums, meine Herren,
ich bedanke mich herzlich für die Gelegenheit, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Es ist Nacht geworden, ein paar Lichter flackern, und ein bisschen fühle ich mich schon wie auf Tauchgang in unbekannte Tiefen, wenn ich mich in ihrem Kreis umschaue – Anglerfische, Schlafhaie und schwarze Raucher um mich herum. Den Moment genieße ich dabei sehr – nicht nur weil es schön ist abzutauchen – sondern sogar besonders wegen der Vorstellung, dass sich heute 227 Herren für mich so schön angezogen haben. Natürlich habe ich zu Anfang sehr überlegt, was ich zu bieten habe, womit ich überhaupt die Einladung verdient habe. Da kam mir gelegen, dass ich über das Internet alle vorherigen Reden der letzten 10 Jahre studieren konnte. Zunächst ist mir dabei gar kein Unterschied zu allen anderen Rednern aufgefallen – eine Fülle von Gelehrten, Gebildeten und Geehrten standen hier schon zum Vortragen mit großen Themen – Menschenrechte, Energie, Freiheit, Toleranz, Geschichte, Zukunft. Doch plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Natürlich habe ich etwas Anderes, Unbekanntes mitgebracht: Es hat ja noch nie jemand zu Ihnen im Tabak-Collegium über das Meer gesprochen. Also genau deswegen bin ich heute hier, um zu Ihnen zu später Stunde den Ozean nahe zu bringen, die Unterwasserwelt, die Wale, das Wässrige als Lebenselixier – mit Wein sind sie ja ausreichend versorgt.
Und genau dieser Platz hier – die Obere Rathaushalle hier in Bremen – ist ein Ort, in dem ansonsten für viele Jahrhunderte über die Meere gesprochen wurde und ihren Bezug zum Menschen. Über uns schweben die sogenannten Orlog – oder Kriegsschiffe, die im Mittelalter die hanseatische Flotte begleiteten, um sie gegen Piraten aller Arten zu sichern. Das älteste Modell stammt aus dem Jahre 1545. Die Geschütze an dem kunstvoll gearbeiteten Modell lassen sich tatsächlich laden und feuern. Zu festlichen Anlässen wurde früher davon auch Gebrauch gemacht. Es hängt auch eine neues Schiff hier, die „Cui Bono“, eine Installation des Künstlers Hew Locke anlässlich der Ausstellung „Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst in der Kolonialzeit“ in der Kunsthalle. Der Handel bremischer Kaufleute mit u. a. Getreide, Fisch, Stein, Holz und Bier – später Kolonialwaren wie Tee und Kaffee, aber Büchsenkuchen und Wein hing von Schiffen und Hafeninfrastruktur ab, sie prägten die Region. Stets gab hier Streit um die Aushebung der Flüsse, das Fahrwasser der Weser versandete immer wieder und erlaubte oft nicht, dass Schiffe bis Bremen fahren konnten – ein Problem von Hafenstädten, das uns auch heute noch vertraut ist. Die Gründung von Bremerhaven, um sich den Zugang zum Seehandel zu erhalten, erwarb Bremen 1827. Im neuen Hafen florierte neben dem Warenumschlag auch die Personenbeförderung – ein beeindruckendes Bild des Blickes auf Bremerhaven hängt draußen. Und noch ein Thema, von dem wir hier Spuren finden im Rathaus und erst recht in der Region: Zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert verließen über sieben Millionen europäische Migranten über Bremen und Bremerhaven die „Alte Welt“. Bremerhaven wurde danach Ausgangspunkt der ersten Dampferlinie von Europa nach Amerika und wurde wohlhabend – wie dann nochmal durch Werften und Fischerei.
Bevor wir ganz abtauchen und um Sie schon einmal auf das Leben im Meer ganz ohne Powerpointpräsentation auch bildlich einzustimmen: schauen Sie auch hier auf das Bild vom Zwergwal und seine poetisch-biologische Beschreibung: „ANNO 1669. am 8. MAJI ist ein Wallfisch uffm Sande im Leeßmer strohm nahendt dem Leßmer Bruche erschoßen. so zu schiffe gebracht. und am 9. MAJI nach Bremen gefuhret auch folgendts daselbst das fleisch abgeschnitten. und ist die länge dieses fisches befunden vom maul biß ans auge 5 fueß. Vom maul biß zum schwantze 29 fueß. die floßfedern 3 fueß der schwantz in der breite 9 fueß. die dicke in der circumferenz 12 fueß inmaß dier Wallfisch. nach natuerlicher größe abgebildet und deßen zusamen gehefftete gebein alhie zur gedächnüß auffgehangen worden 28. Junii Anno 1669.“
Heute Abend soll es also um den tiefen Ozean gehen, manche Menschen sprechen gar von einem Planeten Tiefsee in unserem Planeten Erde. Letzten Winter habe ich übrigens bei einer Veranstaltung zwei beeindruckende Erdplaneten-Entdecker kennen gelernt: den Astronauten Chris Hadfield, der in 2013 auf der Internationalen Raumstation Kommandant war – also so 400 km über uns –, und Don Walsh, der erste Mensch der 1960 in den Marianengraben tauchte, zusammen mit Jaques Piccard – 11 km unter uns. Sie bestätigten mir, was ich Ihnen heute sage: Die Tiefsee ist uns immer noch ein fremder Planet, wir müssen ihn unbedingt besser kennen lernen, zu unserem Wohle.
Ich bin seit fast 30 Jahren Tiefseeforscher, und habe kürzlich meine 48 Expedition abgeschlossen. Mein Beruf und auch Entdeckerlust gilt vor allem dem tiefen Ozean, also dem Lebensraum, der 60% der Erdoberfläche ausmacht und über 90% des belebten Raums der Erde. Kommen Sie also mit auf Tiefseereise: Wir denken uns zunächst einmal das Wasser weg und müssen erkennen, dass der Meeresboden unglaubliche Strukturen hat. Gebirge sind dort zu finden, größer als die Alpen. Der tiefste Graben im Meer ist tiefer als der Mount Everest hoch ist. Und da der Ozeanraum so riesengroß ist, dauert es ungefähr 2000 Jahre für einen Wassertropfen, überall einmal gewesen zu sein. Wo wir von großen Zahlen reden – auf unserer überfüllten Erde tummeln sich nun 7,5 Milliarden Menschen – doch wenn die alle gleichzeitig ins Meer hüpfen würden – wie man es den Lemmingen nachsagt – dann würde das nicht mal zu den 3 mm Meeresspiegelanstieg führen, den wir derzeit jährlich durch die Erwärmung der Erde erzeugen – so tief und weit ist die Tiefsee. Wir haben nur einen sehr geringen Anteil dieses riesigen, dunklen, eiskalten Raums unter hohem Druck überhaupt erst gesehen und beprobt. Daher liebe ich meinen Entdecker-Beruf: als Tiefseeforscher ist bringt jede neue Expedition, jeder Tauchgang Unbekanntes ans Licht, neue Lebensräume, neue Zusammenhänge zwischen dem Ozean und der Erde, neue Erkenntnis zur Vielseitigkeit des Lebens auf der Erde.
Für uns Menschen bleibt es jedoch eine Herausforderung, in die Tiefsee zu reisen. Nicht nur sind unsere Materialien oft nicht geeignet, unter hohem Druck Bestand zu halten, wir selber sind es allemal nicht, mit all den Hohlräumen, die wir haben, Bauch – heute Abend ist dieser allerdings gut gefüllt worden – Lunge, manchmal auch Kopf. Man kann als Mensch kaum mehr als 50 Meter im Schutzanzug tauchen, es gibt ein paar Extremtaucher, die tiefer gehen, aber zur Erkundung der Tiefsee braucht man ein U-Boot in Form einer Kugel aus dicken Stahlwänden um sich herum.
Ich bitte Sie, sich jetzt einmal kurz vorzustellen: Sie sitzen mit mir im U-Boot und tauchen ab. Es ist genau so eng wie Sie gerade sitzen, der Pilot oder ein zweiter Wissenschaftler direkt neben ihnen. Tabakpfeife und Rotweinschwenker auf ihrem Tischchen dürften Sie dabei nicht mehr hinab nehmen, aus Gründen der Arbeitssicherheit, die seit einigen Jahren auch für Tiefseetaucher gilt. Der Kran setzt uns über Bord, es schwankt zuerst etwas an der Oberfläche. Man sieht noch das Sonnenlicht, aber das Sonnenlicht erlischt sehr schnell, wenn wir absinken. Die Meere sind ja im Durchschnitt fast 4 km tief, und schon nach ungefähr 200 Metern wird es dunkel, dabei sinken wir zuerst durch alle Blautöne, die man sich denken kann bis ins absolute Schwarz. Dann sehen Sie plötzlich das Funkeln und Blitzen um sich, wenn Sie den U-Boot-Piloten bitten, nicht die Lichter anzumachen. Auf einmal, wenn Sie schauen, begegnen Ihnen die wundersamsten, seltsamsten Tiefseelebewesen, die vielleicht manche von Ihnen alptraumartig finden. Wenn wir genau hinschauen im Ozean, stellen wir fest, wie verschieden seine Lebensräume sind, und dass alle mit den unglaublichsten Geschöpfen besiedelt sind. Oft sind diese wirklich wie Phantasiewesen – gerade habe ich den ersten Film eines lebenden Tiefseeanglerfisches zugesandt bekommen, riesiges Maul, lange, nach innen gebogene Zähne, eine Leuchtangel, winzige starre Augen. Doch manche Tiefseetiere sehen auch wirklich niedlich aus, bunt, also nicht alle Tiefseetiere sind glubschig oder scharfzahnig sondern einige sind auch so, als könnte man die mitnehmen als Augenschmeichler.
Was ist also mit dieser merkwürdigen Welt von Geschöpfen, die, für uns gar nicht so vorstellbar, in einem Lebensraum leben mit sehr hohem Druck, in 4 km Wassertiefe 400 bar, Eiseskälte, es ist im Durchschnitt 2 Grad kalt, aber in ganzen Regionen der Tiefsee ist es sogar unter Null Grad. Das Wasser ist salzig, es gefriert nicht. Und es gibt sehr wenig zu fressen – im Gegensatz zu hier – , weil natürlich dort, wo Sonnenlicht ist, nur dort, die Pflanzen wachsen können, die Algen im Meer, und alles, was im Dunkeln liegt, das kann nur von Aas, von Abfall leben; es gibt keine pflanzliche Produktion. Ich habe einmal ausgerechnet, auf einem Quadratmeter Tiefsee kommt nicht einmal eine halbe Scheibe Toastbrot an Nahrung von der Oberfläche an. Also, Hunger herrscht dort fast überall. So haben wir als Biologen, als Erforscher der Geheimnisse des Lebens auf der Erde immer noch ganz große Fragen zu beantworten wie zum Beispiel, wie können diese Lebewesen der Tiefsee so unglaublich alt werden. Manche der Tintenfische werden hundert Jahre alt, manche der Fische ebenso, Selbst bei den Bakterien gibt es welche im Schlamm, wo die einzelne Zelle tausend Jahre alt werden kann, und wir wissen noch längst gar nicht, wie die das eigentlich machen. Ist das etwas auf ihren Genen, das das möglich macht? Manche Mikroorganismen im Meer haben ganz neue Fähigkeiten, die Energie der Erde anzuzapfen, oder mit Tieren zu kooperieren um an neue Energiequellen zu gelangen, inzwischen kennen wir sogar welche, die direkt von elektrischem Strom leben. Wir denken heute, dass das Leben im Meer entstanden ist und dass auch noch einige urzeitliche Lebewesen sich auch immer noch im Meer haben verbergen können. Ja wirklich, es sind im Meer noch Millionen fremder Arten zu entdecken, so haben wir herausgefunden bei der internationalen Volkszählung der Meere zwischen 2000-2010 – und Milliarden von Mikroben-Arten, von denen jede einzelne noch hunderte von Genen unbekannter Funktion trägt.
Dieses unbekannte Leben scheint wie ein riesiger ungehobener Schatz. Hier schlummern alle möglichen Funktionen, die einmal wichtige Naturstoffe, Medizin, Biotechnologien darstellen könnten. Und auch jetzt, nutzen wir alle die Leistungen des Ozeans – ohne viel darüber nachzudenken. Die Hälfte des Sauerstoffs, den Sie gerade atmen, kommt von Meeresalgen, die mit Sonnenlicht und unter Aufnahme von Kohlendioxid an der Meeresoberfläche wachsen und jedes Jahr so viel Sauerstoff produzieren wie alle Bäume und Gräser zusammen an Land. Das ist ein Kreislauf, weil wiederum Milliarden von Bakterien im Liter Meereswasser oder Teelöffel Tiefseeschlamm abgesunkene Reste von Algen – wir nennen dies ganz poetisch Meeresschnee – wieder zu Nährstoffen aufbereiten und für das Algenwachstum zurückgeben. Zudem nimmt der Ozean 90% der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung, sowie 30% der CO2-Produktion auf – das sind riesige volkswirtschaftliche Werte, würden wir dies in CO2 und Wärmesteuer umrechnen. Tiefseeströmungen sind zudem ein Teil des globalen Förderbandes der Ozeane, das Wärme, Nährstoffe und Sauerstoff verteilen – ohne die wir eine völlig andere Erde hätten. Es hat mal jemand ausgerechnet, dass der Energiebedarf allein für die Wärmeverteilung mehreren Millionen Kernkraftwerken entspräche.
Dann gewinnen wir inzwischen 20% des Proteinbedarfs der Menschheit aus Meereslebewesen, von denen die Hälfte inzwischen aus Aquakulturen kommt, auch dies ein riesiger Wert. Und es gibt noch mehr Schätze: Ein wesentlicher verbleibender Teil fossiler Brennstoffe in Form von Gas und Öl ist noch aus Tiefseelagerstätten zu gewinnen – doch wir sollten hoffen, dass wir zuvor alternative Ozean-Energien zu nutzen wissen, bevor wir diese schwierige, weil risikobehaftete Ressource weiter anzapfen müssen, die das globale Klimaproblem auch nur noch weiter verstärken würde, durch noch mehr CO2 in der Atmosphäre. So gibt es völlig neue Lösungen aus dem Meer, aus den Druck und Temperaturgradienten lässt sich Energie gewinnen und speichern, das Meer hat Wellen, Wind und Sonnenenergie und auch das Salzwasser wird zunehmend ein wichtiger Schatz.
Doch da ist noch mehr – und darum soll es im zweiten Teil meines Vortrags gehen: Eine weitere Zukunftsressource sind die Metalllager in der Tiefsee – nicht etwa abgesunkene Wracks von Schiffen und Ölbohrplattformen, denn die werden von Tiefseebakterien doch innerhalb von ca. 100 Jahren vertilgt – sondern die natürlichen polymetallischen Knollen und Krusten, die in den großen Tiefseeebenen des Pazifiks und indischen Ozeans wachsen, oder weltweit auch an Seebergen und den Gebirgen an den Spreizungsachsen der Ozeane. Wenn uns in ein paar Jahrzehnten durch den enormen Bedarf an einer Vielfalt von Metallen der sogenannten „Seltenen Erden“ in Handys, Elektroautos, Solarpanels und anderen neuen Technologien diese Wertstoffe an Land ausgehen, und wir das Metallrecycling nicht besser beherrschen, dann könnte der Tiefseebergbau beginnen. Zu den wertvollen seltenen Metallen, die in der Tiefsee zu finden sind, gehört Nickel, Kobalt, Kupfer, Yttrium, Lithium und vieles mehr. Vorläufig haben sich viele Nationen einen Teil des internationalen Raumes der Tiefsee erst einmal gesichert. Alle derzeitigen Lizenzgebiete zusammen sind riesig, 1,2 Millionen km². Allein das derzeitige deutsche Lizenzgebiet für Manganknollen ist doppelt so groß wie Bayern. Und um das Verfahren wirtschaftlich zu machen, müssten auch tatsächlich Millionen Quadratkilometer Tiefsee – Knollen und Krusten abgeräumt werden, heißt : die Oberfläche abgesaugt werden, damit eine rentable Wertschöpfungskette entsteht. Die man übrigens nur einmal ernten kann, denn die Knollen und Krusten der Tiefsee sind nicht nachwachsend wie Kartoffeln – sie brauchen ca. 1 Million Jahre für die richtige Größe und Dicke zum Ernten.
Die Knollen und Erze der Tiefsee bestehen dabei nur zu einem kleinen Prozentsatz aus wertvollen Stoffen, und deren Preise schwanken wie verrückt. Derzeit sind die Zeichen wieder auf Abbau gesetzt, gerade hat Japan das erste Mal die Möglichkeit des Zinkabbaus bewiesen. Doch kommerziell hat der Tiefseebergbau bisher noch nicht begonnen, denn immer wieder, wenn es so schien, als wäre das Metall teuer genug, ist der Preis wieder in sich zusammengefallen. Bisher gibt es nur eine einzige Firma, die kanadische Gesellschaft Nautilus Minerals, die so weit ist, dass sie Technologien hat und schon ein erstes Gebiet um Papua-Neuguinea erschlossen hat – doch noch mangelt es ihr an Investitionsmitteln. In der EU und auch in Deutschland gibt es immer öfter Konferenzen und Forschungsprojekte, um zu prüfen, ob es ökologisch verträglichen Abbau geben könnte. An Land ist uns der Bergbau ja vertraut; für die Landschaft ist er bekanntermaßen destruktiv, jedoch können wir damit umgehen zum Beispiel durch Restauration und Umweltschutzmaßnahmen. In vielen Ländern, wo es keine Umweltschutzregeln gibt, spart man sich diesen Aufwand, dann wird das Metall billiger, jedoch mit extreme negative Konsequenzen für Mensch und Landschaft.
1989 haben Wissenschaftler aus Deutschland – da stand schon einmal der Tiefseebergbau bevor, weil Nickel und Kupfer unglaublich teuer geworden waren – ein Experiment vorgeschlagen und auch vom Bundesministerium für Forschung und Technik gefördert bekommen. Es wurde 10 qkm Tiefseeboden gepflügt – und nachgeschaut was das ausmacht. Damals war ich eben in dieser Arbeitsgruppe Studentin, und fand es sehr spannend, als die ersten Tiefseekameras vom Schiff heruntergelassen wurden, um die Pflugspuren anzuschauen. Und dies ist bis heute das einzige Experiment dieser Art, das jemals gemacht worden ist. Das Experiment wurde 3x nachverfolgt, in 1996 ging dann die Projektförderung aus, denn da wurden die Metalle wieder so billig, dass ein Abbau nicht rentabel gewesen wäre und auch nicht die Investition in Technologien.
Wir Tiefseeforscher haben in 2015 eine europäische und eine nationale Projektförderung erhalten, um zu schauen, was eigentlich aus dem Experiment geworden ist. Mit dem nagelneuen Forschungsschiff „Sonne“ konnten wir aufbrechen und nutzten moderne Unterwasserroboter, um die alten Pflugspuren wiederzufinden. Nach dem ersten Tauchgang waren wir fasziniert aber auch erschüttert, dass diese Pflugspuren nach 26 Jahren noch ganz frisch aussahen. Wir konnten dann auch Proben nehmen – und haben tausende von Bildern erzeugt, um zählen, was aus den Tieren wurde – im Vergleich zu den ungestörten Flächen.
Was wir feststellen konnten, ist, dass eine ganze Menge von Tieren auf und in den Manganknollen leben, die natürlich mit dem Absammeln der Knollen auch nach 26 Jahren nicht zurück kamen – zum Beispiel Schwämme, Korallen, das ist ein Glasschwamm, merkwürdige Krebse, Seelilien, Seeanemonen. Selbst einige der mobilen Tiefseetiere mochten den gestörten Tiefseeboden nicht, wie wir das ja auch von durch Schleppnetzfischerei umgepflügten Boden kennen – denn der Meeresboden heilt erst nach Jahrzehnten in der Tiefsee.
Damit bin ich fast am Ende meiner Rede und zusammenfassend stelle ich Ihnen die Frage: Was bedeutet uns der Ozean, was gibt es noch zu entdecken, was muss geschützt und bewahrt werden. Es gibt für diesen Tiefseeraum voller ungehobener Schätze eine geradezu poetische juristische Regelung durch die Vereinten Nationen: Die Tiefsee ist wie der Weltraum das gemeinsame Welterbe der Menschheit. Und eine weitere Frage: Was müssen wir tun, damit die Rohstoffe auch noch für weitere Generationen reichen. Wir tun der Tiefsee und dem Meer ja schon längst nicht mehr gut, durch Klimawandel, Plastikmüll und Überfischung. Immerhin habe die Vereinten Nationen jetzt das Nachhaltigkeitsziel „Leben im Meer“ aufgenommen, und es beginnt eine Planung der internationalen Politik zur nachhaltigen Entwicklung für die Meere. Was wir Tiefseeforscher vorschlagen ist, vor einer großflächigen Störung zunächst einmal unser Wissen zu verbessern zum guten Umweltzustand. Wir bräuchten wie an Land und eine Art Raum- und Umweltmanagement auch für die hohe See. Was können Sie, was können wir tun? Dafür sorgen, dass das beste Wissen bereitgestellt werden kann, um Nachhaltigkeit in der Nutzung von Rohstoffen zu prüfen, nicht mit dem Rücken zum Ozean stehen, sondern die Meere mitdenken bei unseren Entscheidungen. Es ist doch eigentlich ganz einfach: Nachhaltig bedeutet, dass Nutzung und Verbrauch von Rohstoffen und Gütern so kontrolliert erfolgt, dass mindestens die Grundsubstanz erhalten bleibt – und zwar nicht nur für den momentanen Nutzer sondern auch für zukünftige Nutzergemeinschaften. Bei der Waldnutzung bedeutet Nachhaltigkeit, dass nur so viel Holz entnommen wird wie nachwachsen kann, unter Berücksichtigung des Verlustes durch natürliche Prozesse wie Alterung, Fraß, Krankheit, Unwetter. Eine nachhaltige Fischerei bedeutet also, dass nur so viel Fisch einer Population in ihrem Lebensraum entnommen wird, wie dort stets nachwachsen kann, unter Berücksichtigung der Umweltbedingungen. Bei Erzen dürfte nur so viel entnommen werden, dass die Lebensräume von Tiefseearten nicht bedroht würden, nur wissen wir heute nicht, welche Lebewesen wo vorkommen und wo nicht. Uns allen sollte am Herzen liegen das Vermeiden von unwiderruflichen Konsequenzen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen der internationalen Tiefseeforschung schlagen vor, die Bereiche der hohen See ganz und gar zu schützen, als Investition in die Zukunft. Die Tiefsee als vom Menschen unbegehbarer Raum hat in unserer Kulturgeschichte schon immer einen große Bedeutung, weil sie weitgehend ungeteilt ist, keine Grenzen enthält, keinem Staat gehört – sondern freier Naturraum ist, der auf der Erde immer knapper wird und mitsamt seinem unbekannten Leben darin unsere Phantasie anregt. Es wäre schön wenn es so bleibt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, ich freue mich auf die weitere Diskussion.