Sehr geehrter Herr Professor Paqué,
lieber Patrick Wendisch, dem ich als pars pro toto des kleinen Gremiums für die Einladung heute Abend zu danken habe,
lieber Herr Lampe,
hochfürstliche Durchlaucht – lieber Stefan als Hausherr,
zunächst darf ich Ihnen, lieber Herr Paqué, für die viel zu freundliche Einführung meiner Person herzlich danken. Zu Recht und zu meiner Freude haben Sie meinen Vater, Dr. Peter Zinkann, begrüßt und geehrt, indem Sie seine großartige Lebensleistung hervorgehoben haben. Ich möchte in Erwiderung darauf meinem Vortrag kurz vorausstellen, dass es ein sehr seltenes und großes Geschenk ist, stolz auf seinen Vater sein zu dürfen und über ihn sagen zu können, dass man ihn als Vater liebt, ihn für seine prägende Leistung verehrt und sich gleichzeitig freut, ihn jeden Tag im Büro zu sehen. Dieses enge Verhältnis ist auch in Familiengesellschaften eher selten. Umso schöner ist es daher, dass er es sich auch mit 90 Jahren nicht hat nehmen lassen, heute Abend bei uns zu sein – obwohl er die Rede schon vorab lesen konnte.
Ich freue mich heute Abend hier im Fürstlichen Residenzschloss zu Detmold bei der 186. Zusammenkunft des Bremer Tabak-Collegiums zu Ihnen sprechen zu dürfen – was ich als Ehre und in Anbetracht der sehr prominenten Vorredner auch als Herausforderung zugleich empfinde.
Meine Beziehungen zu Bremen sind übrigens vielfältig. So ist mein Vater gebürtiger Bremer – und Adolph Bermpohl, der für mich als Segler wichtige Gründer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger deren Sitz Bremen ist, wurde ausgerechnet in meiner Heimatstadt Gütersloh geboren. Kleiner Werbeblock sei gestattet: Bremen als Stadt ist auch immer eine Reise wert – nicht nur wegen seiner Museen, sondern auch wegen des wunderbaren Kammerphilharmonie Orchesters. Die Bremer hanseatische Tradition schätze ich nicht nur als Kaufmann außerordentlich, sondern durfte selbst auch schon Schaffermahlzeit und die Eiswette sogar als Redner als Ausdruck dieser Einstellung besuchen und ebenso bereits an dem Tabak-Collegium als drittem Beispiel für das wirklich einzigartige Bremer Mäzenatentums teilnehmen. Schließlich – wer das Kleingedruckte genau gelesen hat weiß, es ist nicht bekannt, wer unseren Abend hier sponsert. Daher möchte ich diesen Punkt auch vorab nutzen, um den unbekannten Mäzen für diese Einladung herzlich zu danken.
Last not least freut mich die buchstäblich generationenlange Freundschaft meiner Familie mit dem Hause Lippe, die mich immer wieder gerne hier nach Detmold führt.
Doch nun zum Thema:
Wie Sie wissen, ist vor wenigen Monaten der vielleicht bedeutendste Diplomat unserer Zeit verstorben – der ehemalige UN-Generalsekretär, Kofi Annan. Ich hatte mehrfach die Ehre, diesen großartigen Visionär anlässlich des internationalen Preises des Westfälischen Friedens, den er vor zehn Jahren in Münster entgegengenommen hat, im ausführlichen persönlichen Gespräch zu erleben.
Es war Kofi Annan, der uns diese Mahnung hinterlassen hat:
„Wirklicher Friede bedeutet auch wirtschaftliche Entwicklung und soziale“
Gerechtigkeit, bedeutet Schutz der Umwelt, bedeuten Demokratie, Vielfalt und“
Würde.“
Sicher würde niemand hier in diesem Kreis diesen Befund in Frage stellen.
Ja, zu seinem Verständnis von nachhaltigem Frieden gehörte mehr als nur ein Schweigen der Waffen: nämlich Wohlstand, Gerechtigkeit, Toleranz, Chancengleichheit, Demokratie und Wahrung der Menschenrechte. Wer würde dem nicht folgen wollen? Voraussetzung für all dies ist aber umgekehrt, dass man nicht aufeinander schießt – auch eine Erkenntnis, der wohl niemand widerspricht!
Wie Politik und Wirtschaft, Frieden, Stabilität und Wohlstand zusammenhängen, ja: sich wechselseitig beeinflussen – dafür gibt es anschauliche Beispiele zuhauf. Leider sind diese aktuell eher Besorgnis erregend als ermutigend.
Wie möchte ich mich dem Thema nähern?
- Starten möchte ich mit einer kurzen Bestandsaufnahme und deren Einordnung in den historischen Kontext.
- Sodann möchte ich den Ursachenzusammenhang von Krieg und Armut beziehungsweise Frieden und Wohlstand näher beleuchten
- und versuchen, Wege aus der verhängnisvollen Abwärtsspirale aufzuzeigen, die aktuell omnipräsent zu sein scheint.
- Im letzten Teil schließlich soll es um die Rolle und Verantwortung der Wirtschaft und der Unternehmer hierbei gehen, ehe ich Ihnen einige Schlussfolgerungen anbiete, zu denen ich mich auf Ihr Feedback freue.
Wenn wir vor – sagen wir 25 Jahren – über unser Thema von heute gesprochen hätten, wären wir sicher voller Zuversicht gewesen: Der Ost-West-Konflikt als bis dahin größte gefühlte Bedrohung des Weltfriedens schien überwunden, der Atomkrieg abgewendet – und die Völker Osteuropas konnten in freier Selbstbestimmung ihren Weg in die Demokratie antreten.
Tatsächlich hatte es bis 1990 immer wieder dramatische Situationen gegeben. Das Bewusstsein um die fürchterlichen Konsequenzen eines Atomkrieges mag in Einzelfällen und brisanten Situationen vielleicht dazu geführt haben, dass dann doch das Schlimmste ausgeblieben ist.
Der bekannte amerikanischer Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, sagte zu dieser Zeit: die Geschichte der Menschheit sei bisher im Wesentlichen die Geschichte von Kriegen gewesen. Und nun käme das Ende der Geschichte. Fukuyama vertrat die These, dass sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der von ihr abhängigen sozialistischen Staaten zeitnah die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft endgültig und überall durchsetzen würden. Die Demokratie habe sich deshalb als Ordnungsmodell behauptet.
Heute wissen wir, dass Fukuyama mit dieser Prognose, vorsichtig formuliert, nicht gerade einen Volltreffer gelandet hat. Trotzdem: Einiges ist besser geworden. Wir sollten nicht vergessen, dass es zumindest den KOMMUNISTISCHEN Terror nicht mehr gibt, an den wir uns in der Sowjetunion, in Osteuropa und auch China noch allzu gut erinnern; die großen Hungersnöte in China und Indien gehören der Vergangenheit an; die schlimmsten Diktaturen in Südamerika (Chile und Argentinien) und ebenso auch die Apartheid in Südafrika sind zumindest weitestgehend verschwunden.
Ja, manches ist besser geworden. Das reicht aber nicht!
Der in Harvard lehrende Evolutionspsychologe Steven Pinker hat in einer großen Studie die Entwicklung von Gewalt und die Bedingungen ihres Rückgangs in der Geschichte der Zivilisation untersucht.
Dabei war die Geschichte der Menschheit in Teilen auch nach 1990 weiter eine Geschichte der Gewalt – Krieg, Folter, Mord und Totschlag sind eben keine Naturkatastrophen. In seinem 1.000 Seiten Werk einem wahren Opus Magnum untersucht er inwieweit Aggression Bestandteil der menschlichen Natur ist. Deshalb wird unglücklicherweise die Gewalt vermutlich auch nicht vollständig aus der Geschichte verschwinden.
Oder doch? Nach Pinker wurde die menschliche Gattung immer weniger gewalttätig. Was ist nun wahr? Wir haben uns ständig mit diesen Entwicklungen auseinander zu setzen.
Der eine oder andere hier im Raum wird wissen, dass ich mich seit fast 20 Jahren für den Internationalen Preis des Westfälischen Friedens engagiere. Alle zwei Jahre werden hier Persönlichkeiten oder Organisationen ausgezeichnet, die sich in besonderer Weise um Frieden und Völkerverständigung verdient gemacht haben. Dieser Preis knüpft an den großen Friedensvertrag von 1648 an, der im Rathaus von Münster von 75 Gesandten aller damals maßgeblichen Herrschaftshäusern unterzeichnet wurde. Am Rathaus wurde damals eine Inschrift in Stein gemeißelt: Pax optima rerum – Friede ist das Beste aller Dinge. Es gibt wenig Aussagen in der Welt mit so viel unbestreitbarem Wahrheitsgehalt.
1998, als wir anlässlich des 350jährigen Jubiläums des Westfälischen Friedens diesen Friedenspreis, der heute von 75 Unternehmerpersönlichkeiten aus Westfalen getragen wird, stifteten, gab es immer noch mehr Grund zum Optimismus als heute. Inzwischen ist der Gegensatz Russland – Amerika leider wieder lebendig geworden.
In vielen Ländern toben Bürgerkriege, ich nenne nur Syrien, den Jemen, Afghanistan, Mali, Nigeria und Sudan. Zum Teil als Folge politischen Versagens einer oder beider Weltmächte. Weil Saudi-Arabien und der Iran um die Vormachstellung im Mittleren Osten ringen, schüren sie die Konflikte in der Region. Und auch die Türkei unter Erdogan mischt kräftig mit, um die Kurden zu schwächen. Viele Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen und sind auf der Flucht. In diesen Regionen der Welt, in denen Perspektivlosigkeit, Bildungsarmut, materielle Not und Hunger herrschen, findet sich der ideale Nährboden für Extremismus und schlimmer noch die Entwicklung oder Ausweitung von Terrorismus sowie religiösem Fanatismus.
Ganz nebenbei erleben wir immer wieder, dass keine Armee der Welt – und besäße sie noch so hoch entwickelte Waffensysteme – dies verhindern bzw. uns davor schützen kann. Daher sollte die Migrationsdebatte auch dort ansetzen, wo die Wanderungsbewegungen ihren Ursprung haben. Das heißt: Wir haben sowohl auf die kriegs- und krisengeschüttelten Regionen unserer Welt zu schauen, als auch in die wirtschaftsschwachen und daher armen Gegenden.
Man könnte versucht sein, so zu denken, wie es Goethe im Faust beim Osterspaziergang die Bürger sagen lässt:
„Wenn hinten weit in der Türkei,
die Völker aufeinanderschlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
dann kehrt man abends froh nach Haus, und segnet Fried und Friedenszeiten“.
Heute allerdings ist die Welt so eng verknüpft, dass wir die Dinge fernab nicht so unberührt zur Kenntnis nehmen können wie deutsche Bürger im Spätmittelalter. Im Gegensatz zu damals haben die Verhältnisse direkte Auswirkungen auch auf uns. Wir schauen uns in der Tagesschau relativ ruhig und distanziert an, wo sich Lebensangst breitmacht. Der Zuschauer erlebt in seiner kleinen Friedensidylle des Wohnzimmers, wie Menschen anderswo gerade auch durch politische Irrwege in Not und Existenzangst geraten; wie sie abgeschnitten werden von Lebensgrundlagen, deren Kern in wirtschaftlichem Handeln liegt. Ich meine damit Arbeit, Produktion, Handel, Bildung und Ernährung.
Hier liegt das Biotop der Zukunftschancen, die jeder Mensch für sich und seine Kinder sucht. Unzufriedenheit und damit Unfrieden entstehen dort, wo sie nicht zu finden sind.
Die reifen Industriegesellschaften des Westens werden im Gegensatz zu Asien und Afrika kein oder nur ein sehr geringes Bevölkerungswachstum erfahren. Darauf weist der ehemalige Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer hin: In unserer Region in Europa wird das Durchschnittsalter deutlich ansteigen. Im Gegensatz dazu werden die Entwicklungsländer, dabei vor allem der afrikanische Kontinent und der indische Subkontinent, deutlich weiterwachsen. Diese Regionen sind gegenwärtig gekennzeichnet durch eine sehr junge Bevölkerung.
In Europa beträgt der Anteil der unter 15-Jährigen 16 %,
in Asien 24 %,
in Lateinamerika 26 %
und in Afrika 41 %.
Töpfer ergänzt: „Es besteht Konsens darüber, dass diese Bevölkerungsentwicklung sich im hohen Maße auf Städte, auf Megacitys, auf urbane Großagglomerationen konzentrieren wird. Bis zu 75% der Bevölkerung wird in absehbarer Zeit in städtischen Strukturen leben.“
Wo also gilt es, anzusetzen?
Ich höre aus der Politik, etwa in der Flüchtlingsfrage immer wieder das Postulat: Wir müssen die Probleme an den Wurzeln lösen. Die stärksten Wurzeln, Hunger und Armut bilden mit ihren Folgen ein hohes Bedrohungspotenzial. Überzeugende Antworten darauf, wie wir diese Probleme lösen können, habe ich noch nicht gehört.
Die nachhaltige Produktion einer ausreichenden Menge von gesunden Lebensmitteln für die bis 2050 um drei auf ca. zehn Milliarden Menschen wachsende Weltbevölkerung stellt eine der großen globalen Herausforderungen. Hier kommt die Wirtschaft immer stärker ins Spiel. Und das nicht nur allein in der Sparte Landwirtschaft.
Der zunehmende Klimawandel erfordert trotz aller Fortschritte in der Ernährungswirtschaft, hochwertige Lebensmittel unter kontrollierten Bedingungen zukünftig nah bei den Menschen – auch in den Megacities – unter Hightech Bedingungen zu produzieren. Neue Stichworte sind dabei: „Urban Foodproduction“ oder vertikale Formen der Lebensmittelproduktion; dort wo die Menschen leben und damit in den Ballungszentren.
Diese Entwicklung spielt sich jenseits der Magnetfelder USA-China-Europa ab. Wenn es um America First, internationalen Handel, Strafzölle und Protektionismus geht, wird all das offensichtlich ausgeblendet.
Am Beginn der modernen Volkswirtschaftslehre steht Adam Smith mit seinem Buch vom „Wohlstand der Nationen“, das noch heute von jedem Volkswirtschaftsstudenten wenigstens auszugsweise gelesen werden muss. Der gern gescholtene Philosoph und Ökonom predigte nicht nur das gern gehörte „Laissez faire“, sondern auch eine aufgeklärte Nächstenliebe. Sympathie für die Mitmenschen, schreibt der Schotte, sei Grundlage der Moral und zugleich Triebfeder menschlicher Arbeit. Seine Vision vom „Wohlstand der Nationen“ scheint heute so aktuell zu sein wie vor bald 300 Jahren.
Smith beweist schlüssig, dass sich der Wohlstand aller Beteiligten im internationalen Austausch erhöht. Und dass Zölle das Gegenteil bewirken. Das, was jetzt Trump in die Wege leitet, wird den Wohlstand in allen Ländern auf Dauer sinken lassen. Welche politischen Konsequenzen das haben wird, muss sich noch zeigen. Der glühende Smith-Verehrer Henry Ford hat es in den Gründerjahren der Industriegesellschaft vorgelebt: Wer gute Geschäfte machen will, muss dafür sorgen, dass es breiten Schichten gut geht. Wegweisender noch ist sein Postulat, dass sich Arbeiter die Konsumgüter leisten können, die sie herstellen. Denken wir heute daran, wenn Werkbänke in Entwicklungsländer ausgelagert werden? Und ja, die Wirtschaft braucht Freiheit ebenso wie Schranken, die ein aufgeklärter Kapitalismus seit Jahrhunderten kennen könnte und kennen muss. Wie die Welt retten, wenn es am Kapital für moderne Umwelttechnik fehlt? Wie die Armen für unser Wirtschaften gewinnen, solange sie Hunger leiden? Wie Zuversicht schaffen, so lange Menschen ihr Glück in der Ferne suchen, weil ihre Heimat nicht lebens- und liebenswert erscheint, sondern von Kriegen und Verteilungskämpfen ruiniert wird?
Zurück zu unseren aktuellen Herausforderungen. Was läuft in dieser Zeit schief und was bedeutet das für uns in der Wirtschaft?
In Russland und der Türkei hatten wir nur kurzzeitig wichtige Etappenerfolge in Richtung Demokratie und Öffnung zum Westen. Das hat sich gewandelt. Heute erfreuen sich Autokraten eines breiten Rückhalts im Volk. Aus der Auflösung der Sowjetunion heraus sind eine Reihe der osteuropäischen Länder in eine Demokratiekrise geraten. Wir registrieren Terror in ehemaligen Sowjetrepubliken, Autonomiebewegungen gegen territoriale Ansprüche aus Moskau, Völkerrechtsverletzungen des russischen Präsidenten am Schwarzen Meer und die neue Konfrontation zwischen Russland und der EU als Folge.
Dass in Großbritannien, dem Mutterland der Demokratie in Europa, eine Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt hat, hat einen Schock ausgelöst – im Lande selbst und natürlich in Europa. Heute weiß niemand, wie der Austritt letztlich vollzogen werden wird. Die Hinweise sowohl aus London als auch aus Brüssel, dass wir uns auf einen „ungeordneten Ausstieg“ einstellen sollten, sind Besorgnis erregend. Die Zukunft des freien Handels steht hier in Frage und ist global großen Risiken ausgesetzt.
Inzwischen gewinnt aber auch auf der Insel die Einsicht an Boden, vielleicht doch einen Irrweg eingeleitet zu haben. Auf eine mögliche Korrektur oder ein eventuelles Referendum nach Neuwahlen über die zuletzt diskutiert wurde, sollten wir aber keine Hoffnung setzen.
Dabei geht Europa auf eine großartige Idee zurück, die sehr viel mit unserem heutigen Thema zu tun hat.
Die Frage, wie sich verhindern lässt, dass Völker Krieg gegeneinander führen haben Konrad Adenauer und Charles de Gaulle für unseren Kontinent nach dem zweiten Weltkrieg so beantwortet:
Den Vätern der europäischen Einigung ging es im Kern weniger um den Abbau von Zöllen und Grenzkontrollen. Sie wollten dauerhaften Frieden – alles andere war Mittel zum Zweck. Nie wieder Bombenteppiche und Soldatengräber in Europa – das war die wahre Vision. Und wer wirtschaftlich eng miteinander verflochten ist, so der naheliegende Folgegedanke, der führt keinen Krieg gegeneinander.
Bedauerlicherweise war der Balkan noch nicht mit einbezogen. Auch daran sollten wir uns erinnern. Hier können Wohlstandsperspektiven in Europa den Hass von gestern verdrängen. Man könnte dies auch als Feldversuch unseres Themas „Wohlstand als Friedenssicherung“ betrachten – allerdings steht es gemessen an den Vorgängen in der übrigen Welt in einem vergleichsweise bescheidenen Rahmen!
Gerade hat die Dynamik zugenommen, in der sich in vielen Ländern Protektionismus und gegenseitige wirtschaftliche Behinderung ausbreiten. Amerika hat unter Trump ganz offen den Wirtschaftskrieg gegen den Iran, China, Korea, Russland, Japan und auch gegen Europa begonnen. Während 1648 sich die Staaten gegenseitig dazu verpflichteten, Verträge einzuhalten „pacta sunt servanda“ geht Trump davon aus, dass er mächtigste Verträge nur dann einhalten muss, wenn er von ihnen profitiert.
So wird das austarierte und weiter zu entwickelnde, ja eigentlich das noch zu optimierende Welthandelssystem gefährdet. Willkürlich anmutende Strafzölle und protektionistischen Entscheidungen bestimmen die wirtschaftspolitische Agenda; die Börsen reagieren nervös, die Währungen werden gefährlichen Schwankungen ausgesetzt. Und am Ende wird bestehender Wohlstand weltweit gefährdet. In einem FAZ-Beitrag vom 21. September dieses Jahres analysierte Jan Ottmar Hesse unter dem Titel: „Im Abgrund“ gar Parallelen zwischen Trumps Handelspolitik und der Wirtschaftskrise als Folge von Protektionismus in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Den Wirtschaftskrieg, den Trump mit China begonnen hat, bremst die Konjunktur dort schon jetzt und hat globale Auswirkungen. Die chinesische Industrie lebt weitgehend vom Export nach Amerika und muss ihre Produktion herunterfahren, was schon Rückwirkungen auf die Rohstoffmärkte der ganzen Welt hat.
Exportabhängige Länder wie Deutschland wären von einem Wirtschaftskrieg natürlich besonders betroffen. Immer massiver bekommen wir Deutschen zu hören, wir würden auf Kosten anderer immer reicher werden? Und dies nicht nur vom Präsidenten der USA, über dessen volkswirtschaftliche Expertise man streiten mag, sondern auch von der IWF-Präsidentin, den Staats- und Regierungschefs unserer europäischen Nachbarn und von dem einen oder anderen Ökonomie- Nobelpreis-Träger.
Wir sind damit wieder weit von dem entfernt, was einst Valéry Giscard d‘Estaing und Helmut Schmidt mit der direkten Abstimmung unter den Großen dieser Welt erreichen wollten. Übrigens waren diese beiden Initiatoren der G7 auch Träger unseres Internationalen Preises des westfälischen Friedens. Heute ist aus dieser Konferenz der Staatschefs die G 20 geworden – alles wurde immer komplizierter und voller kritischer Begleiterscheinungen.
Ich erinnere nur an das Treffen in Hamburg, wo übrigens Trump ein „America first“ noch nicht voll entfaltet, wohl aber als Vollzug seiner Wahlagenda im Kopf hatte. Wir haben in Hamburg mehr von Krawallen gehört als von politischen Lösungen. In eine zentrale Rolle ist gleichzeitig China mit seinem stürmischen Wachstum auf dem Weg zur Weltmacht gerückt. Trumps Wirtschaftskrieg gegen China wird dort die Stimmung gegen die westliche Welt auch nicht positiv beeinflussen, sondern Gegenreaktionen zur Folge haben.
Stefan Baron, der frühere Chefredakteur der Wirtschaftswoche und spätere Kommunikationschef der Deutschen Bank, geht in seinem neuesten, sehr lesenswerten Buch „China – Psychogramm einer Weltmacht“ der heutigen Rolle Chinas in den G20 der Welt auf den Grund. Die entscheidende Veränderung liegt darin, dass sich das Reich der Mitte von einem der ärmsten Entwicklungsländer zur größten Handelsnation – auch nach Kaufkraft gemessen entwickelt hat.
Schritt für Schritt gestaltet Peking das Land nach den Vorstellungen des Staatspräsidenten auf Lebenszeit Xi Jiping. Da stehen unsere Vorstellungen von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit nicht unbedingt an erster Stelle. Die Chinesen haben sich ihrem Staat mehr unterzuordnen, als wir uns das vorstellen können, ob uns das nun passt oder nicht.
David Shambaugh, Politik-Wissenschaftler an der George Washington University ortet in der künftigen Entwicklung Chinas die „wichtigste Frage der Weltpolitik“. Auf dem Spiel stehe nicht nur „unser Wohlstand, sondern auch unsere Identität und der Weltfrieden“.
Diesen Ball nimmt Baron in seinem Buch auf, in dem er unter anderem auf die Frage eingeht: Wann führt der wirtschaftliche Wettbewerb zu Krieg? Hierzu empfiehlt sich die Lektüre von Graham Allisons „Destined for war – can America escape the Thukydides Trap“. Er untersucht Kriegsursachen, insbesondere die der nach dem im 4. Jahrhundert vor Christus lebenden griechischen Strategen und Historiker Thukydides benannten strategischen Falle, die zum Peloponnesischen Krieg führten. Es geht dabei um einen unvermeidbaren Krieg, der aus der aufkommenden Rivalität zwischen dem aufstrebenden Athen und der Angst Spartas um die Beibehaltung seiner Vormachtstellung entstand.
Allison wurde sogar vom nationalen Sicherheitsrat der USA eingeladen, zu der Frage zu sprechen, ob es zum Krieg mit China kommen werde. Peter Navarro, der in Kalifornien lehrende Wirtschaftswissenschaftler und Protektionist und Mitglied der Trump Administration, behandelt in seinen Büchern wie „The coming China Wars“ oder „Death by China“ den Konfrontationskurs sogar sehr explizit. All dies sind weitere sichtbare Zeichen für die politische Unruhe in Washington.
Ein anderes Zeichen dafür, wie sich politische Fehlentwicklungen direkt auswirken, sind die aktuell unterschiedlichen Reaktionen auf den Währungs- und Devisenmärkten. Der Ihnen vielleicht noch bekannte Wirtschaftspublizist Peter Gillies, gelernter Bankkaufmann und früherer Chefredakteur der Zeitung „Die Welt“, beschrieb Anfang September in einem Kommentar die „Bockigen Währungen“. Warum sie sich so verhalten, schildert er so:
„In autoritären Regimen werden Befehle meist befolgt oder komplett vollstreckt. Einer Instanz können die Machthaber jedoch befehlen was sie wollen, sie ist ungehorsam und reagiert bockig: die Währung. Ihre Stärke oder Schwäche entzieht sich den Befehlen von oben. Die Türkei, Venezuela, Argentinien und andere Schwellenländer machen die Erfahrung, dass die globalen Marktkräfte stärker sind als alle Präsidenten und Regierungschefs. Selbst das schwerste diktatorische Geschütz macht eine schwache Währung nicht stark.“
Die Menschen folgen mitnichten dem Drängen des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, ihre US-Dollar und Euro unter der Matratze hervorzuholen und gegen die Lira einzutauschen, um diese zu stärken. Viel Erfolg scheint dieser Solidaritätsappell nicht gehabt zu haben, denn die türkische Währung bleibt schwach. Gillies weiter: „Erdogan beharrt auf seiner bizarren Notenbankpolitik, die die Lirakrise verschärft statt sie zu dämpfen. In der Folge klettert die Inflation und in deren Kielwasser die Arbeitslosigkeit.“
Venezuela und Argentinien seien hier als Volkswirtschaft aber durchaus ebenso als Beispiel für eine katastrophale Politik genannt, wie der südafrikanische Rand und die indische Rupie, die mit dramatischen Kursverlusten gegen den Dollar kämpfen.
Wenn hohe und steigende Inflationsraten nicht bekämpft, sondern geduldet werden, entstehen neben der Arbeitslosigkeit soziale Schieflagen. Meist kommen Korruption sowie eine falsche Notenbank-, Handels- und Steuerpolitik hinzu. Aus der Währungs- kann dann leicht eine Wirtschaftskrise werden, an deren Ende der Staatsbankrott droht. Dann sind wie immer die erprobten Nothelfer gefragt: die reichen und stabilen Länder nebst dem Internationalen Währungsfonds (IWF).
Was ist aus dem einst reichen Land Venezuela geworden? Da beachtet die Welt hilflos einen Diktator, der das Land in den Staatsbankrott treibt. 2,3 Millionen Landsleute haben sich auf die Flucht begeben. Wohin? Überwiegend nach Brasilien. Werden sie dort Wohlstand finden? Ich bezweifle das. Sorgen und Unsicherheiten über eine weitere Währungsentwicklung lassen uns auch wieder nach Europa zurückkehren. Das Handelsblatt meldete Anfang September mit Blick auf Großbritannien: „Alarmstufe Rot“. Es komme einer Bankrotterklärung einer Premierministerin gleich, wenn sie sage, beim „Ausscheiden aus der EU ohne Deal“ gehe die Welt nicht unter. Das kann einfach nicht wahr sein! In den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft herrscht inzwischen Alarmstimmung. Erste Firmen fangen an, Notfallmaßnahmen umzusetzen, Ifo-Chef Clemens Fuest warnt vor einem „gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Schaden“. Er setzt das in Relation zu den 84 Milliarden Euro, die im vergangenen Jahr die deutschen Exporte ins Vereinigte Königreich betrugen.
Was müssen wir feststellen: die Wirtschaft muss selbst handeln, wenn die Politik versagt.
Womit wir bei der Rolle der Unternehmen wären.
Die beschriebenen Entwicklungen haben unmittelbare Auswirkungen auf unsere Unternehmen. Jeder kann und muss nach seinen Fähigkeiten, Stärken und seiner Kreativität reagieren – besser noch agieren. Aber auch dabei gibt es Grenzen.
Nicht dass man alles unbegrenzt auf die Wirtschaft abladen könnte. Motto: Was die Politik dann eben doch nicht schafft, werden schon die Unternehmen richten. Doch ob wir wollen oder nicht – wir haben eine Verantwortung, die wir wahr- und ernst nehmen müssen.
Bei allem Wohlstand und besten Wirtschaftsdaten wäre es freilich hilfreich, wenn unsere Politik mehr Kraft und gestaltenden Einfluss gegen das aufbringen würde, was in Europa und in der Welt so alles schiefläuft.
Das könnte auch einem Unternehmen wie Miele dort helfen, wo internationale Konflikte unsere Aktivitäten erschweren. Das erleben wir gerade international in mehreren Regionen.
Lassen Sie mich an der Stelle kurz auf die Situation unseres Unternehmens eingehen:
Miele gehört zu der zunehmend kleiner werdenden Zahl deutscher Industriekonzerne, die den größeren Teil ihrer Produktion nach wie vor in Deutschland unterhalten. Als hochpreisiger Anbieter sind wir zugleich auf die Skaleneffekte einer weltweit erfolgreichen Marktpräsenz angewiesen, da in Deutschland und seinen Nachbarländern allein die erforderlichen Stückzahlen nicht annähernd zu realisieren wären.
Tatsächlich erzielt Miele heute 70 Prozent seines Umsatzes von 4,1 Milliarden Euro außerhalb Deutschlands, beschäftigt dort aber auch 44 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 8.900 Beschäftigte, von insgesamt 20.000 verteilt auf 48 Länder – das klingt jetzt alles andere als gewaltig.
Bezieht man aber die gesamte deutsche Wirtschaft in diese Rechnung mit ein, so leisten deutsche Unternehmen doch einen beachtlichen Beitrag dazu, überall auf der Welt Menschen und ihren Familien Arbeit und Brot zu geben. So beschäftigt allein Bosch mehr als 30.000 Menschen allein in Indien, davon 14.000 Ingenieure, und ist dort einer der größten Arbeitgeber überhaupt. Und die Dax-30-Konzerne beschäftigen mehr als 60 Prozent ihrer Mitarbeiter in anderen Ländern als in Deutschland.
Allerdings wird auch uns, bezogen auf unser Exportgeschäft, derzeit nicht alles unbedingt leichter gemacht.
Was also bremst uns aktuell und was nicht?
Die Strafzölle der USA auf importierte Waschmaschinen treffen uns nicht, weil unsere Maschinen von ihren Abmessungen her davon nicht erfasst sind. Hintergrund ist, dass sich die Maßnahme gegen die größeren Modelle der koreanischen Anbieter richtet, die dem US-Platzhirsch Whirlpool um ein Vielfaches mehr zusetzen, als die Produkte der europäischen Hersteller. Allerdings haben auch wir uns mit unseren Waschmaschinen in den USA einiges vorgenommen. Und wer weiß, was dem US-Präsidenten noch einfällt, wenn unserer jüngste Marktoffensive tatsächlich fruchtet? Ganz aktuell sind wir aber seit einer Woche nun doch auch mit Sonderzöllen in Höhe von 25% zusätzlich ab Januar auf die ca. 180.000 Staubsauger aus unserer chinesischen Produktion betroffen.
Davon aber ganz abgesehen: Sollte der gerade aufkeimende Handelskonflikt weiter eskalieren, würde dies, wie bereits angedeutet, zu einer ernsten Belastung der Weltwirtschaft führen, die nicht nur in reichen Ländern zu Einbrüchen führen könnten, sondern vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Aktuell stehen beispielsweise die Türkei und – erneut – Argentinien regelrecht auf der Kippe.
Aktuell blicken wir bei Miele mit Sorge auf die US-Sanktionen gegen den Iran. Dort haben wir gerade in den letzten Jahren einen aufstrebenden und für uns wichtigen Exportmarkt gepflegt. Um hier nicht zwischen die Fronten zu geraten, aber weil es ohnehin gravierende Probleme mit der Abwicklung des Zahlungsverkehrs gibt, ziehen wir uns zwangsläufig erst einmal aus dem Iran zurück.
Allgemein haben wir weiter im Auge:
- der wichtige Absatzmarkt Türkei fällt immer tiefer in die Krise, die inzwischen spürbar bei den Konsumgütern ankommt.
- die Eiszeit mit Russland und der Syrien-Krieg verunsichern unverändert die Märkte, die für uns wichtig waren und weitgehend weggebrochen sind.
- im wichtigen Absatzmarkt Israel gibt es wegen er anhaltenden politischen Instabilität der gesamten Region nach wie vor nur einen Importeur statt einer eigenen Vertriebstochter;
- wegen Armut und Instabilität fallen weite Teile Afrikas und Südamerikas als Absatzmärkte weg
- und dann haben wir ja noch den bereits erwähnten Brexit mit seinen Auswirkungen auf die Stimmung der Konsumenten und die Wechselkurse
Was aber kann die Wirtschaft und was können wir Unternehmer tun?
Als Familienunternehmer verweise ich auch hier auf das für uns typische Denken in Generationen statt in Quartalsberichten – und zitiere Goethe:
„Was du ererbt von deinen Vätern hast,
erwirb es, um es zu besitzen!
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last.
Faust 1, Nacht.“ (Faust)
Nachhaltiges Unternehmertum basiert auf einer Kontinuität in den Werten und Zielen, aufgebaut, gefestigt und gelebt über Jahrzehnte und Generationen. Hier hat der Familienunternehmer den großen Vorteil der Unabhängigkeit – er handelt mit seinem eigenen Geld und er ist nur sich und seinen Mitgesellschaftern Rechenschaft schuldig. Natürlich gibt es auch verdiente Konzernmanager, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten die langfristige Stärkung des Unternehmens, das Wohl von Gesellschaft und Umwelt im Blick behalten und sich für diese engagieren. Den Kapitalmärkten als solchen ist die Langfristperspektive jedoch – zumindest bislang – eher wesensfremd. Wer gleichwohl dafür plädiert, an die Weisheit der Börsen und Spekulanten zu glauben, mag sich an die Verwerfungen erinnern, die ein ums andere Mal dadurch entstanden, dass anonyme Investoren mit möglichst geringen Mitteln möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen wollten.
Dass dieses immer wieder belegte kurzfristige Primärinteresse der Kapitalmärkte in absehbarer Zukunft durch eine Art allgemeinen Wertekanons ersetzt werden könnte, ist kaum zu erwarten.
Die so entstehende Lücke, so mein Eindruck, müssen also bis auf Weiteres die Familienunternehmen mit ihrer Werteorientierung, Innovationskraft und Qualitätsorientierung füllen. Wir als Unternehmer sind also hier ganz persönlich gefordert. Wir können durch unsere Einstellung und unser Vorbild motivieren und vieles positiv anstoßen oder bewegen. Dies ist vor allem auch etwas, was uns durch die Gnade unserer Geburt im friedlichen Umfeld und mit allen Möglichkeiten des Lebens von Gesundheit bis Ausbildung gut zu Gesicht steht – ja, ich möchte fast sagen – eine innere Verpflichtung sein sollte.
Und wenn ich das auf unsere Rolle in der Welt übertrage, so zitiere ich in diesem Zusammenhang Papst Franziskus, der obwohl aus seiner persönlichen Vergangenheit/ Erfahrung heraus nicht gerade als Unternehmer/Kapitalfreundlich bekannt, in der Lehrschrift „Evangelii Gaudium“ schreibt:
„Die Tätigkeit eines Unternehmers ist eine edle Arbeit, vorausgesetzt, dass er sich von einer umfassenderen Bedeutung des Lebens hinterfragen lässt; das ermöglicht ihm, mit seinem Bemühen, die Güter dieser Welt zu mehren und für alle zugänglicher zu machen, wirklich dem Gemeinwohl zu dienen.“
Bei allen Fragen und aller Kritik an seiner Person und der Institution der Katholischen Kirche, ist diesem Nachsatz bzw. dieser Aufforderung nichts hinzuzufügen – es ist schlicht die sehr richtige Aufforderung sich von nachhaltigem – diesem heute so oft gebrauchten Wort – und verantwortungsvollem, statt egoistischem Denken und Handeln leiten zu lassen.
Auch und gerade die großen Familienunternehmen bewegen sich aber zugleich im Spannungsfeld zwischen dem bewährten „Made in Germany“ und den Anforderungen der Globalisierung. Damit können wir nicht nur Märkte erschließen, sondern müssen auch im Ausland fertigen, um trotz zunehmenden Preis- und Kostendruck die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Allerdings kann dies nur in einem Umfeld von politischer Stabilität und Rechtsicherheit stattfinden. Denn was sich Familienunternehmen keinesfalls leisten können, sind riskante Abenteuer in Ländern, wo Korruption, Willkür oder gar bürgerkriegsähnliche Zustände zu befürchten wären. In dem Büro, in dem erst unser Gründer Carl Miele und später sein Sohn Carl Miele jun. saßen, hängt noch heute dieser alte Kalenderspruch „Friede ernährt, Unfriede verzehrt“.
Unsere Altvorderen hatten dies auf die besonderen Herausforderungen bezogen, die sich daraus ergeben konnten, dass es sich bei Miele um ein Zwei-Familien- Unternehmen gehandelt hat und bis heute handelt. Aber natürlich gilt dieser Spruch im Kleinen wie im Großen, zumal in einer globalisierten Welt.
Wir müssen uns auch sozial engagieren – etwa in international tätigen und wirkungsvollen Hilfsorganisationen. Da gibt es genügend Beispiele wie Opportunity International, eine internationale, christlich motivierte Hilfsorganisation, die auf der Graswurzelebene in der Mikrofinanzierung arbeitet. Sie vergibt Kleinkredite an unternehmerisch tätige, arme Menschen und schult diese zugleich in Unternehmensführung und Gesundheitsfürsorge. Ich nenne hier pars pro toto die vielfältigen Aktivitäten des Malteserordens oder aber die von Bürgerstiftungen. Als ein Beispiel hierfür möchte ich das vielfältige bürgerschaftliches Engagement in der Flüchtlingsarbeit anführen.
Ja – wir können das schaffen und es wäre schlimm, wenn wir als Teil der reichsten Volkswirtschaft Europas unsere Augen und Herzen hier verschließen und uns nur von den negativen Medienberichten oder Stimmungsmache leiten lassen. Wir dürfen so auch nicht politische- und Kriegsflüchtige aus Syrien mit Wirtschaftsflüchtlingen aus dem Maghreb über einen Kamm scheren, selbst wenn die Flucht über das Mittelmeer gleich dramatisch ist. Insofern stehe ich immer noch trotz der Spaltung der Gesellschaft und der Verwerfungen in der Politik, die es ausgelöst hat, hinter dieser Aussage von Kanzlerin Merkel.
Ja, es gibt ein Problem bei der Integration unterschiedlichster Art und auch gegenseitiges Unverständnis für die Andersartigkeit. Aber – hat nicht das gesellschaftliche Engagement bei der Integration gezeigt, dass wir viel tun und erreichen können, wenn wir uns gemeinsam einsetzen? Wir dürfen hier und jetzt nicht aufgeben und Populismus einzelner nachgeben. Dabei sollten wir auch nie vergessen, dass ein Teil unserer Eltern und Großeltern selbst einmal Heimatvertriebene waren, die keineswegs hier im Westen nur willkommen waren.
Als großartige Leistung von persönlichen Aktivitäten seien aber nur zwei Beispiele genannt: Die deutsche Deichmann-Stiftung, die in Indien wirkt oder weltweit die Bill und Melinda-Gates-Stiftung. Es gibt sie also – charismatische Unternehmerpersönlichkeiten, die sich gesellschafts- und sozialpolitisch in unterschiedlichster Weise aktiv einbringen – durch große Stiftungen und auch persönlichen Einsatz. Sie geben ein Beispiel und setzen als Vorbilder nachhaltige Ziele in der Gesellschaft. Es können aber nicht genug Organisationen und Persönlichkeiten sein, die sich international auf unterschiedliche Art und Weise helfend engagieren.
Ich zitiere Friedrich den Großen aus seinem persönlichen Testament: „Unser Leben ist nur eine kurze Zeitspanne vom Leben bis zum Tode. In dieser kurzen Zeitspanne ist es die Pflicht und Bestimmung des Menschen für das Wohl der Gemeinschaft, deren Mitglied er ist, Sorge zu tragen“. Nichts anderes meinte Kennedy mit seinem berühmten Spruch: „Don’t ask what your country can do for you – ask what you can do for your country.”
Wir stellen also unverändert fest, und das behält seine Gültigkeit: Je besser es dem Menschen geht, desto friedlicher ist die Welt um ihn herum. Das gilt in jeglicher Hinsicht und damit auch und besonders im materiellen Sinne.
Und je friedlicher die Welt ist, desto leichter ist es, Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten zu ermöglichen.
Unser Beitrag sollte verstärkte Präsenz in der Welt sein. Je mehr deutsche Unternehmen auch außerhalb ihrer Heimat- und Nachbarländer gut bezahlte Arbeitsplätze bieten, desto besser für die mittel- und langfristige Entwicklung des Lebensstandards in den betreffenden Ländern. Und wer vor Ort produziert, ist im Zweifel auch gut beraten, wenn er dort ergänzende Entwicklungsprojekte initiiert, etwa mit Blick auf Hygiene, Bildung oder medizinische Versorgung.
Nachhaltigkeit und internationale Orientierung gehören zur DNA der Unternehmen unserer Region, von denen nicht wenige zu den vielzitierten Hidden Champions zählen, deren Beitrag zum Erfolg des Exportstandorts Deutschlands bekanntlich kaum zu überschätzen ist.
Für uns Unternehmer aus Westfalen und Lippe ist das Petitum für Frieden und Stabilität in der Welt geradezu essenziell. Denn wer miteinander Handel treibt, schießt nicht aufeinander. Umgekehrt kann nicht miteinander Handel treiben, wer aufeinander schießt.
Das wussten Adenauer und de Gaulle, Schmidt und Giscard d’Estaing, Kohl und Mitterand – und auch für Merkel und Macron wird nichts Anderes gelten. Ganz sicher wusste es Kofi Annan. Ebenso wissen es die Initiatoren des Preises des Westfälischen Friedens und natürlich, last but not least der frühere Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der als Ehrenvorsitzender unserer Jury ebenso angehört, wie z.B. Juncker, EU-Kommissionspräsident, Bundesbankpräsident Weidmann oder Friedrich Merz als Vorsitzender der Atlantik-Brücke.
Und was immer in Trump, Putin, Erdogan und den Brexiteers vorgehen mag – auch sie werden sich dieser Einsicht auf Dauer nicht verschließen können.
Lassen Sie uns daher weiter Zeichen setzen dafür,
- dass wir den Traum vom Frieden nie aufgeben dürfen;
- und dass es Wohlstand und Freiheit nur in friedlichen Verhältnissen geben kann;
- und dass sich der Frieden nur mit den Mitteln der Diplomatie dauerhaft sichern lässt.
Daher werben wir für ein gemeinsames Wertesystem der gegenseitigen Toleranz. Dies fängt unmittelbar vor unserer Haustür an und sollte bei allen Unterschieden in Kulturen und Werten im Kern global gelten.
Verehrte Gäste, lassen Sie mich Ihnen als Fazit meiner heutigen Ausführungen acht Thesen anbieten, die nach meiner Wahrnehmung elementar sind für ein gemeinsames Verständnis unseres heutigen Themas.
- Erstens: Gewalt lässt sich grundsätzlich nicht mit Gewalt beenden, sondern mit Diplomatie und der Bereitschaft zur Einsicht und zum Kompromiss. Und anders, als bei den Hegemonialkriegen früherer Epochen haben wir heute die Möglichkeiten, Wirtschafts- und Bürgerkriegen präventiv entgegenzuwirken und diese bestenfalls sogar ganz zu verhindern.
- Zweitens: Die Botschaft, dass es Wohlstand und Freiheit nur in friedlichen Verhältnissen gibt, müssen wir immer wieder auf unsere Fahnen schreiben – und diese hochhalten.
- Drittens: Frieden braucht übernationale Solidarität. Wir müssen alles tun, internationale Verflechtungen zu stärken, wirtschaftlich und politisch – für einen freien Welthandel und gegen Protektionismus.
- Viertens: Zu den großen Risiken für den Weltfrieden zählen Hunger und Krankheit. Deshalb müssen wir uns mehr als bisher mit der Frage befassen, welchen Beitrag wir mit unserem wirtschaftlichen und technischen „Knowhow“ zu Ernährung und Gesundheit leisten können.
- Fünftens: Wer den Frieden sichern will, darf Wohlstand nicht nur importieren, sondern muss ihn auch exportieren.
- Sechstens: Teilen kann aber nur der, dem es gut geht. Teilen wird erst durch erfolgreiches Wirtschaften möglich und es ist somit auch eine wesentliche Grundlage aller Bemühungen um den Frieden. Teilen heißt aber auch: Arbeit zu exportieren und somit wirtschaftliche Perspektiven zu bieten. Es braucht also Leistungsbereitschaft und – jawohl – auch ein gesundes Maß an Ehrgeiz. Erfolg zu haben ist ein wesentliches Motiv für die Menschen freier Gesellschaften. Die Alternative wäre Zwang, dessen Scheitern wir überall dort sehen, wo Gleichheitstheorien mit staatlicher Gewalt durchgesetzt werden sollen.
- Siebtens: Wer gute Geschäfte machen will, muss dafür sorgen, dass es breiten Schichten gut geht – frei nach Henry Ford
- Und achtens schließlich: Wir Unternehmerinnen und Unternehmer müssen uns fragen, ob wir uns ausreichend einbringen. Denn wir können unsere gesellschaftliche Verantwortung nicht auf die Politik und die NGOs abwälzen, denn dort ist bisweilen eher die Ideologie der Vater des Gedankens. Wir können auch nicht beklagen, dass etwa in Parlamenten und Regierungen Kompetenz und Niveau sinken – uns selbst aber abwenden.
- Als letztes und neuntens: Jeder von uns sollte je nach seinen individuellen Möglichkeiten immer wieder versuchen, mit politisch oder auch wirtschaftlich anders Denkenden oder Handelnden – auch weltweit – auf allen Ebenen ins Gespräch zu kommen. Nur so kann man ein wirklich fundiertes Bild bekommen. Wir dürfen nicht aufhören auch eine andere Handlungs- und Denkweise aus deren Sicht zu analysieren und so dementsprechend zu versuchen sie besser zu verstehen. Es sind Gespräche, die als Brücke die Menschen miteinander verbinden können! Und genau deshalb gilt das alte Wort, dass es besser ist miteinander als übereinander zu sprechen mehr denn je. Also vor unserer Haustür auch mit Gruppen, die aus einer anderen Kultur mit einem anderen Gedankengut stammen, wie zum Beispiel Flüchtlinge. Der Dalai-Lama hat es einmal so umschrieben: „Dialog bedeutet Konsequenz, denn wir lassen uns auf die Meinung des anderen ein.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Meine Herren,
all dies gilt auch und gerade in Zeiten einer vermeintlichen Trendwende der Werte. Mitten im Wohlstand, der in der Geschichte ohne Beispiel ist, beginnen auch Teile unserer Eliten den Wert des Wohlstands zu hinterfragen. Das erfasst unser Wirtschaften, unsere Leistungsorientierung und geht nicht selten einher mit Widersprüchen. Manch Anhänger einer möglichen Rückwärtswende kann nämlich unter der elektromagnetischen Strahlung eines Windkraftwerks leiden – und zugleich verzweifeln, wenn es am Mobilfunkempfang hapert.
Nun eine allerletzte Frage:
Erinnern Sie sich noch an den 6. März 1987? An diesem Abend kenterte die Kanalfähre „Herald of Free Enterprise“, der Botschafter des freien Handels. 193 Menschen kamen ums Leben.
Heute, 31 Jahre später, möge uns die Erinnerung an dieses damals britische Schiff symbolhaft als Mahnung dienen:
Untergangsszenarien helfen niemandem! Die Welt steht nicht vor dem Untergang; sie muss nur richtig gestaltet werden. Dazu gehören Mut, Überzeugungs- und Durchsetzungskraft. Die Prinzipien eines erfolgreichen unternehmerischen Handels sind Muster voller Wert!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich nun auf unsere Diskussion.