Meine sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Mutigen, die die Rede noch nicht gehört haben und schon klatschen. Ich weiß nicht, ob Sie hinterher noch klatschen.
Einleitung
Wenn heute über Steuergerechtigkeit geredet wird, fallen jedem von uns sofort Beispiele aus der aktuellen Steuerpolitik ein. Viele Gerechtigkeitsfragen im Steuerrecht, wie z.B. eine gerechte Erbschaftsbesteuerung oder eine gerechte Grundsteuer beschäftigen uns schon seit Jahrzehnten. Aber erst seit wenigen Jahren drängen die Fragen des internationalen Steuerrechts in den Vordergrund. Angefangen hat es mit Berichten über die Besteuerung amerikanischer Großkonzerne, die in Europa teilweise weniger als 1 Prozent ihrer Gewinne besteuern würden.
Seit 2013 erregen mehrere Veröffentlichungen eines internationalen Konsortiums investigativer Journalisten zur internationalen Besteuerung großes Aufsehen. Im April 2013 veröffentlicht das Netzwerk die sog. Offshore-Leaks, die 2,5 Millionen Dokumente von zwei Weltmarktführern für Trust-Gesellschaften auswertete und die Steuerflucht, Steuerhinterziehung und Steuerumgehungen in Offshore-Finanzplätzen belegten. Ein Jahr später (2014) publiziert das Netzwerk mit den Luxemburg-Leaks vertrauliche Steuervereinbarungen der Luxemburger Steuerbehörden mit 343 internationalen Konzernen aus 82 Ländern. Aus diesen Steuervereinbarungen ergab sich, dass zahlreiche Konzerne auf diesem Wege Steuervermeidungsmodelle realisierten, die die Steuerlast teilweise auf unter ein Prozent drückte. 2015 veröffentlicht das Netzwerk mit den Swiss-Leaks Daten von 106.000 Schweizer Bankkunden aus 203 Ländern, denen zu einem Großteil vorgeworfen wurde, ihre Steuern nicht bezahlt zu haben. Ein weiteres Jahr später, im Jahr 2016, werden über 11,5 Millionen Dokumente des panamaischen Rechtsdienstleisters Mossack Fonseca in den sog. Panama Papers ausgewertet. Nach Einschätzung des Recherche-Netzwerks belegen die Unterlagen legale Strategien der Steuervermeidung, aber auch Steuer- und Geldwäschedelikte, den Bruch von UN-Sanktionen sowie andere Straftaten durch Kunden von Mossack Fonseca. Die Enthüllungen führten in zahlreichen Ländern zu Ermittlungen gegen Politiker und andere Prominente. Schließlich werden wieder ein Jahr später, im Jahr 2017, mit den Paradise Papers vertrauliche Unterlagen der Anwaltskanzlei Appleby und des Treuhandunternehmens Asiaciti Trust veröffentlicht.
Diese Veröffentlichungen führten nicht nur zu einer öffentlichen Debatte über Steuerschlupflöcher, Briefkastenfirmen, Steueroasen, Steuerdelikte und Steuermoral. Neu ist vielmehr, dass die Besteuerung ein Thema der internationalen Politik geworden ist. Kaum ein Treffen der G7 oder G20 vergeht seither, in dem nicht neue Beschlüsse zur internationalen Steuerpolitik gefasst werden. Kein Koalitionsvertrag kommt heute ohne ein Bekenntnis zum Kampf gegen Steuerumgehung und Steuerhinterziehung aus. Die Politiker wollen auf nationaler, supranationaler und internationaler Ebene mehr Steuergerechtigkeit herstellen.
Dabei betreffen die Presseveröffentlichungen eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte. Die Berichte skandalisieren generell alle Steuervermeidungen, Steuergestaltungen und Steuerumgehungen, ohne zwischen strafrechtlich relevanten Taten und geschickten Vermeidungsstrategien zu unterscheiden Es wird lediglich allgemein beklagt, dass durch das Verhalten von Unternehmen, Steuerpflichtigen und Beratern den Staaten enorme Steuereinnahmen verloren gehen. So entsteht ein Klima, in dem die Unternehmen, die Steuerpflichtigen und die Berater unter Generalverdacht stehen.
Ein Steuerwettbewerb wird verteufelt, ohne sich im Einzelnen mit ausländischen Steuerordnungen, den Gründen für bestimmte Steuersubventionen in anderen Staaten oder mit der Souveränität von Staaten auseinander zu setzen. Die Europäische Kommission hat 2008 mitgeteilt, dass Europa durch Steuerumgehungen und Steuerhinterziehungen mehr als eine Billion Steuern fehlen würden. Wie sich dieser Betrag von immerhin 1000 Milliarden Euro errechnet, lässt sich dieser Mitteilung ebenso wenig entnehmen, wie viele andere Zahlen über den Verlust an Steuereinnahmen.
Für einen Steuerrechtler ist es zudem außerordentlich schwierig, wenn nicht vom geltenden Recht her argumentiert wird, sondern allgemeine moralische Maßstäbe oder Adjektive zugrunde gelegt werden, die sich nur schwer juristischen Kategorien zuordnen lassen.
Die Europäische Kommission spricht von aggressiver Steuerplanung und kennzeichnet sie danach, dass Steuerpflichtige ihre Steuerschuld durch Regelungen zu verringern suchen, die zwar legal sein mögen, aber im Widerspruch zur Absicht des Gesetzes stehen. Abgesehen davon, dass diese Umschreibung viel zu weit und undifferenziert ist, offenbart sie auch eine Unkenntnis von Gesetzesauslegung. Eine Maßnahme, die im Widerspruch zu den Absichten des Gesetzes steht, lässt sich schon mit klassischen Auslegungsmethoden in den Griff bekommen. Hinzu kommt, dass die meisten Steuerrechtsordnungen Regelungen zur Missbrauchsabwehr und zu Scheingeschäften enthalten.
Ich will heute Abend versuchen, ein wenig Licht in das Dunkel des internationalen Steuerrechts zu bringen. In einem ersten Teil will ich mich der Frage widmen, was unter Steuergerechtigkeit zu verstehen ist. In einem zweiten Teil gehe ich auf die Maßnahmen ein, die zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung bereits ergriffen worden sind. In einem letzten Teil will ich auf die aktuellen Entwicklungen eingehen, die in eine grundlegend neue internationale Steuerordnung münden könnten.
Maßstäbe für die Steuergerechtigkeit im internationalen Steuerrecht
Bevor ich allgemein auf die Steuergerechtigkeit eingehe, will ich hervorheben, dass Steuerhinterziehung und damit strafbares Verhalten keine Frage der Steuergerechtigkeit ist, sondern strafbares Unrecht, dass verfolgt gehört.
Abgrenzung zum Steuerstrafrecht
Das geltende Steuerrecht ist von allen Steuerpflichtigen zu beachten. Zwar ist niemand verpflichtet, sein Leben so zu gestalten, dass er möglichst viele Steuern zahlt. Von jedem Bürger kann jedoch verlangt werden, dass er das jeweils geltende Steuerrecht beachtet und bei offenkundig zweifelhaften Gestaltungen prüft, ob sein Verhalten überhaupt gegenüber der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Gerade im internationalen Kontext gibt es eine ganze Reihe von Handlungen einzelner Steuerpflichtiger, die strafbar sind oder zumindest Grundregeln von Anstand und Moral in einem Maße verletzen, dass sie nicht hingenommen werden dürfen.
Weit verbreitet war früher die Steuerhinterziehung im Bereich der Kapitaleinkünfte. Dabei war es früher üblich, Kapital im Ausland anzulegen und die daraus erzielten Einkünfte nicht in der Steuererklärung anzugeben. Diese Tatsache ist auch nicht erst durch den Ankauf von Steuer-CD’s entdeckt worden. Schon 1991 hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage befasst, dass in den Steuererklärungen nur ein Teil der Einkünfte aus Kapitalvermögen erklärt wurden. Aus den statistischen Daten der Deutschen Bundesbank ergab sich, dass nur etwa die Hälfte der Kapitalerträge versteuert wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Vollzugsdefizit und damit die Ungleichbehandlung als verfassungswidrig angesehen.
Es mutet heute merkwürdig an, dass der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel und der damalige Bundesbankpräsident Schlesinger trotz eindeutiger Befunde das Bundesverfassungsgericht baten, die verfassungswidrige Rechtslage nicht zu verwerfen, da Geld wie ein scheues Reh sei und es zu einem Kapitalabfluss in Deutschland käme. Trotzdem hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Vollzugsdefizit im Bereich der Kapitaleinkünfte verfassungswidrig sei. Es hat dann aber noch Jahre gedauert, bis durch die Abgeltungssteuer jedenfalls die Kapitaleinkünfte in Deutschland gleichmäßig erfasst wurden.
Auch die sog. Cum/Ex-Steuergestaltungen gehören zu dem Bereich, der zumindest aus moralischen Gründen nicht akzeptiert werden kann. Jedem Menschen muss eigentlich klar sein, dass eine Steuergestaltung, bei der eine einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach vom Staat erstattet wird, zumindest moralisch inakzeptabel ist.
Ein weiteres Beispiel für die strafbare Steuerhinterziehung im internationalen Bereich sind Umsatzsteuer-Karussellgeschäfte, durch die dem Fiskus in den Mitglied-staaten der Europäischen Union jährlich etwa 50 Milliarden Euro, davon alleine in Deutschland bis zu 14 Milliarden Euro an Steuergeldern verloren gehen.
Es ist selbstverständlich, dass die Steuerhinterziehung nicht akzeptiert werden kann, denn hierbei handelt es sich um strafbares Verhalten, das die Allgemeinheit schädigt und insbesondere auch gegenüber den redlichen Steuerzahlern nicht hingenommen werden darf. Es ist auch eine Gerechtigkeitsfrage, dass der Staat strafbare Steuerhinterziehung nicht sehenden Auges duldet, sondern mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verfolgt.
Aber auch in den Fällen, in denen das geltende Steuerrecht eingehalten wird, kommt es zu erheblichen Ungereimtheiten im internationalen Steuerrecht, die die Frage der Steuergerechtigkeit im internationalen Kontext in das Blickfeld rücken. Durch geschickte Steuergestaltung und Steuerplanung kann die Steuerlast erheblich reduziert oder gar vollständig vermieden werden. Die Bandbreite von Steuergestaltungen ist außerordentlich groß und reicht von offensichtlich zulässigen und gut vertretbaren Maßnahmen zur Vermeidung einer hohen Besteuerung bis hin zu Steuergestaltungen, die von den Finanzverwaltungen und Finanzpolitikern als aggressiv, unmoralisch, unanständig und verwerflich eingestuft werden.
Damit stellt sich die Frage nach dem Maßstab für die Steuergerechtigkeit im internationalen Steuerrecht.
Allgemeine Maßstäbe
Aber auch in den Fällen, in denen das geltende Steuerrecht beachtet wird, kommt es zu erheblichen Ungerechtigkeiten im internationalen Steuerrecht. Durch geschickte Steuergestaltung und Steuerplanung kann die Steuerlast erheblich reduziert oder gar vollständig vermieden werden. Die Bandbreite von Steuergestaltungen ist außerordentlich groß und reicht von offensichtlich zulässigen und gut vertretbaren Maßnahmen zur Vermeidung einer hohen Besteuerung hin bis zu Steuergestaltungen, die von den Finanzverwaltungen und Finanzpolitikern als aggressiv, unmoralisch, unanständig und verwerflich eingestuft werden. Damit stellt sich die Frage nach dem Maßstab für die Steuergerechtigkeit im internationalen Steuerrecht.
Das Verständnis von Steuergerechtigkeit ist nichts absolutes, sondern wird von den bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen geprägt. Häufig wird dabei auf Aristoteles Bezug genommen, der zwischen „Verteilungsgerechtigkeit“ und „Tauschgerechtigkeit bzw. ausgleichende Gerechtigkeit“ unterscheidet. Wer für die Steuergerechtigkeit an die Verteilungsgerechtigkeit von Aristoteles anknüpft fordert, dass die Steuerlast auf die Vielzahl der einzelnen Steuerbürger nach einem Maßstab verteilt wird, die den gesellschaftspolitischen Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht.
a) Auch wenn sich der Maßstab im Laufe der Zeit von der Kopfsteuer über die Proportionalsteuer hin zur heutigen progressiven Besteuerung geändert hat, haben alle Epochen den Gleichheitsgrundsatz als entscheidendes Merkmal der Steuergerechtigkeit betont. Der englische Philosoph Thomas Hobbes schrieb, dass die Menschen sich weniger durch die Steuerlast als solche, als durch ihre ungleichmäßige Verteilung bedrückt fühlen. Auch der preußische Staats und Finanzminister Johannes von Miquel führte in seiner Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus aus, dass die Ungleichheit der Steuerlasten viel peinlicher sei als die absolute Höhe. Nach dem berühmte Staatsrechtler Otto Mayer ist Steuer ohne Gleichheit „organisierte Brandschatzung“; und der frühere Bundespräsident und Präsident des Bundesverfassungsgerichts nannte den Gleichheitssatz die „Magna Charta des Steuerrechts“.
Unsere heutigen Gerechtigkeitsvorstellungen konkretisieren die Steuergleichheit durch drei weitere Prinzipien. Nach der Allgemeinheit der Besteuerung sollen alle natürlichen und juristischen Personen ohne Rücksicht auf außerökonomische Kriterien wie Staatsangehörigkeit, Stand, Klasse, Religion oder ähnlicher Merkmale zur Steuer herangezogen werden. Privilegien für den Adel, den Klerus oder Abgeordnete alleine wegen ihres Status werden nicht akzeptiert.
Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung besagt sodann, dass der Gesetzgeber nicht nur verpflichtet ist, die Steuerpflichtigen rechtlich gleich zu behandeln, sondern auch dass die Finanzbehörden die Steuergesetze gleichmäßig anwenden und durchsetzen müssen.
b) Doch nicht nur Gleichheit ist das Kennzeichen einer gerechten Steuer, sondern auch die Begrenzung der Last. Eine dem Gleichheitssatz entsprechende Besteuerung genügt nicht ohne weiteres den Anforderungen. Insbesondere verhindert sie nicht eine zwar gleichheitsgerechte aber übermäßige steuerliche Belastung der Bürger. Vor einer maßlosen Besteuerung vermögen daher nur die Freiheitsgrundrechte zu schützen.
Insbesondere das Eigentumsgrundrecht schützt vor einer übermäßigen Steuerbelastung. Zwar lässt sich aus der Verfassung keine präzise Begrenzung der tariflichen Belastung von 50 v. H. ableiten. Das Bundesverfassungsgericht bekräftigt jedoch in seiner Rechtsprechung ausdrücklich, dass Art. 14 GG die Angemessenheit und Zumutbarkeit der Steuerbelastung gewährleistet.
c) Wir verstehen heute unter einer gerechten Besteuerung auch eine sozial orientierte Besteuerung, die dazu führt, dass die Leistungsträger proportional mehr zum Staatshaushalt beitragen als die leistungsschwachen Teile der Bevölkerung. Was der Steuerpflichtige für seine Existenz benötigt, darf ihm daher nicht weggesteuert werden.
Seit jeher wird die progressive Besteuerung als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips verstanden. Auch heute stellt sich die progressive Besteuerung als wichtige Errungenschaft des modernen sozialen Steuerrechts dar.
d) Neben diesen inhaltlichen Vorgaben gibt es allgemeine rechtsstaatliche Rahmenbedingungen für ein gerechtes Steuerrecht. Das Recht muss verständlich und vorhersehbar sein. Die steuerrechtlichen Regelungen müssen so gefasst sein, dass der Betroffene die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er weiß, welche Rechte und Pflichten auf ihn zukommen. Unbestimmte Regeln, denen der Steuerpflichtige nicht entnehmen kann, wie er besteuert wird, sind ungerecht. Gleiches gilt in der Regel für Steuergesetze, die das Verhalten des Steuerpflichtigen nachträglich rückwirkend belasten.
Übertragung der Grundsätze auf das internationale Steuerrecht
Diese allgemeinen Maßstäbe für eine gerechte Besteuerung lassen sich relativ leicht auf der Ebene eines souveränen Nationalstaates verwirklichen. Sie gehören zum Selbstverständnis vieler demokratischer Staaten in Europa und der westlichen Welt, und sie gelten generell aus Voraussetzung einer gerechten Steuerordnung.
In Deutschland sind diese allgemeinen Maßstäbe der Steuergerechtigkeit im Grundgesetz konkretisiert und können vor dem Bundesverfassungsgericht eingeklagt werden. Gerade im Steuerrecht hat das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren immer wieder weitreichende Entscheidungen getroffen.
Diese Vorgaben können allerdings nicht ohne weiteres auf das internationale Steuerrecht übertragen werden. Dies liegt schon am Grundsatz der Steuersouveränität. Die Staaten sind in ihrer Entscheidung, welche Sachverhalte sie ihrer Besteuerung zugrunde legen, weitgehend frei. Selbst wenn man dem Völkerrecht entnehmen sollte, dass für die Besteuerung ein genügender Anknüpfungspunkt vorliegen sollte, beseitigt dies nicht eine internationale Doppelbesteuerung und führt auch nicht zu einer weltweiten Steuerrechtsordnung. Bisher lässt sich dem Völkerrecht auch kein Grundsatz entnehmen, dass eine Doppelbesteuerung verboten ist.
Auch wenn es kein global geregeltes Steuerrecht gibt, das Grundlage einer ethischen Verteilungsgerechtigkeit sein könnte, kann man auch im internationalen Steuerrecht nicht auf eine Gerechtigkeitsdebatte verzichten, denn es gibt grundlegende Fragen, die einer Beantwortung nach Gerechtigkeit und Moral auch im internationalen Bereich der Steuerlastverteilung harren. Gerade diese Fragen haben die Staatengemeinschaft in den letzten Jahren dazu gebracht, sich mit einer internationalen Steuerrechtsordnung auseinanderzusetzen. Ich will hier nur einige wenige Fragen ansprechen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
a) Die Steuergesetze vieler Staaten gehen vom Welteinkommensprinzip aus. Das bedeutet, dass derjenige, der in einem Staat wohnt oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat sein gesamtes Welteinkommen versteuern muss. Gleichzeitig werden viele Steuerpflichtige auch ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt mit den jeweils inländischen Einkünften besteuert. Insbesondere bei unternehmerischen Einkünften kann es dazu kommen, dass mehrere Staaten auf dieselben Gewinne zugreifen wollen.
Selbst wenn die jeweilige Besteuerung in einem Land als gerecht empfunden wird, stellt sich doch die Frage, ob eine Vermeidung der Doppelbesteuerung aus Gerechtigkeitsgründen geboten ist.
Dass eine internationale Doppelbesteuerung in der Regel als ungerecht empfunden wird, entspricht dem Postulat einer maßvollen Besteuerung. Besteuerung bedeutet Teilhabe am privaten Wirtschaften, nicht aber eine unverhältnismäßige Besteuerung. Dementsprechend vermeiden die meisten Staaten die Doppelbesteuerung entweder dadurch, dass die Steueransprüche in einem völkerrechtlichen Doppelbesteuerungsabkommen aufeinander abgestimmt werden oder aber, dass ein Staat einseitig auf seine Besteuerungsansprüche verzichtet, wenn und soweit die Steuer schon in einem anderen Land erhoben wird.
b) Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, dass bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in keinem der infrage kommenden Staaten besteuert wird, obwohl diese Einkünfte bei einem vergleichbaren Inlandssachverhalt steuerpflichtig wären.
Es ist offensichtlich, dass die Ungleichbehandlung grenzüberschreitender Sachverhalte gegenüber einem Inlandssachverhalt ungerecht ist. Auch am Maßstab der Leistungsfähigkeit ist es mit der Steuergerechtigkeit kaum zu vereinbaren, wenn geschickte Gestaltungen dazu führen, dass keinerlei Steuern bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anfallen, während in jedem einzelnen Staat diese Einkünfte progressiv besteuert würden.
Derartige sogenannte weiße Einkünfte entstehen zum Beispiel bei hybriden Gestaltungen, die daran anknüpfen, dass bei grenzüberschreitenden Transaktionen die betroffenen Staaten unterschiedliche Regelungen für die steuerliche Einordnung bestimmter Finanzierungsinstrumente und Gesellschaftsformen anwenden. Dies kann dazu führen, dass diese Vorgänge im Ergebnis in keinem der beteiligten Staaten besteuert werden.
Um diese Gestaltungsmöglichkeiten einzuschränken, haben die Staaten Verknüpfungsregeln entwickelt, die die steuerliche Behandlung solcher Transaktionen in den betroffenen Staaten aufeinander abstimmen. Dadurch soll zielgenau eine Einmalbesteuerung erreicht werden. Ziel ist es, die doppelte Nichtbesteuerung zu beseitigen, ohne gleichzeitig eine Doppelbesteuerung hervorzurufen.
c) Während die Frage der Doppelbesteuerung oder der doppelten Nichtbesteuerung noch relativ einfach zu beantworten ist, ist die Frage, ob und inwieweit der Steuerwettbewerb zwischen den Staaten mit dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit zu vereinbaren ist, sehr viel schwieriger zu beantworten. Lassen Sie mich hier nur einige Beispiele für den Steuerwettbewerb nennen:
(1) Da gibt es zum einen die Steueroasen oder Offshore-Finanzplätze, die sich nicht nur durch niedrige Steuern, sondern auch durch ein hohes Maß an Vertraulichkeit und Geheimhaltung auszeichnen. Zu den allseits bekannten Steueroasen gehören zum Beispiel die Bahamas. Wenn Sie Ihren Wohnsitz dorthin verlegen, können Sie nicht nur das großartige Klima und den entspannten karibischen Lebensstil genießen. Wenn Sie dorthin auswandern zahlen Sie keine Einkommensteuer, keine Vermögensteuer, keine Erbschaft- und Schenkungsteuer. Wenn Sie eine Immobilie im Wert von mindestens 1,5 Millionen USD kaufen, erhalten Sie auch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis im beschleunigten Verfahren. Es versteht sich von selbst, dass auf den Bahamas weder Unternehmensgewinne noch Kapitalerträge versteuert werden müssen.
Auch Belize ist ein solches Paradies. Als ich im Oktober dort zu einer Konferenz war, wurde ich schon am Flughafen durch Plakate empfangen, auf denen die steuerlichen Vorzüge geschildert wurden. Wer hier eine Offshore-Gesellschaft gründet, der kann sich über 15 glückliche Jahre ohne Abgaben freuen. Einzige Voraussetzung: Die Gesellschaft muss Arbeitsplätze schaffen. Auch Briefkastenfirmen sind hier willkommen. Ein strenges Bankgeheimnis hat oberste Priorität. Wirtschaftsprüfungen oder die Pflicht zur Bilanzierung gibt es hingegen nicht.
Wir müssen aber gar nicht so weit reisen, denn auch in Europa gibt es zahlreiche Steuerparadiese. Dazu gehört zum Beispiel Luxemburg und Malta, die sehr niedrige Unternehmenssteuersätze haben. Malta gilt insbesondere für Investmentfirmen und Holdings als attraktiver Steuerstandort; die Körperschaftsteuer kann mit einem Antrag auf Rückerstattung auf 5 % gesenkt werden; Dividenden und Kursgewinne sind steuerfrei. In Luxemburg beträgt der Steuersatz für Unternehmensgewinne 21 %, Dividenden sind aber zu 50% steuerfrei. Für Zinserträge gilt eine Abgeltungssteuer von 5 %. Ein Geheimtipp in Europa ist Bulgarien mit einem Körperschaftsteuersatz von 10 % unabhängig von der Höhe des Gewinns; eine Gewerbesteuer gibt es natürlich auch nicht. Die Einkommensteuer beträgt ebenfalls nur 10% und ist eine Flat Tax.
Die Steuerbelastung von Unternehmen ist in anderen Ländern zumeist niedriger als in Deutschland. Die USA haben die Bundes-Körperschaftsteuer von 35 auf 21 Prozent gesenkt. Frankreich senkt die Unternehmenssteuern von 33,33 auf 25 Prozent und Großbritannien von 20 auf 17 Prozent. In Europa gibt es nur in Portugal eine höhere Steuerbelastung als in Deutschland.
(2) Eine weitere Form des Steuerwettbewerbs ist die Privilegierung bestimmte Einkunftsarten, die häufig keinen eindeutigen geographischen Anknüpfungspunkt haben und hohe Gewinne abwerfen. So werden in vielen Ländern Einkünfte aus Lizenzen und anderen immateriellen Wirtschaftsgütern privilegiert besteuert um die Steuern von multinationalen Unternehmen in das eigene Land zu lenken. Patente, Marken oder Urheberrechte werden in Staaten mit sogenannten Lizenzboxen verlagert, und daraus resultierende Gewinne nur sehr gering oder überhaupt nicht besteuert. So werden in den Niederlanden Lizenz Einkünfte mit 5 % gegenüber einem regulären Steuersatz von 25 % besteuert. In Irland beträgt der effektive Steuersatz auf Lizenzeinkünfte nur 6,25 % und Malta verzichtet gänzlich auf die Besteuerung von Lizenzeinkünften.
(3) Einen Steuerwettbewerb gibt es jedoch nicht nur um unternehmerische Einkünfte. Viele Sportler, Künstler oder andere vermögende Privatpersonen verlassen Deutschland, um in anderen Ländern wie Österreich oder der Schweiz von einer maßvollen Besteuerung zu profitieren.
Oder haben Sie schon einmal von der Dagobert-Steuer gehört? Damit entwickelt sich Italien zu einem Steuerparadies in Europa für vermögende Ausländer, die ihren Steuersitz dorthin verlegen. Auf die im Ausland erwirtschafteten Einkommen werden jährlich pauschal 100.000 € fällig, egal wie hoch das effektive Einkommen ist. Diese Flat Tax erstreckt sich auf alle ausländischen Einkünfte: Immobiliensteuern, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Finanzanlagen im Ausland, Schenkungssteuer. Es gibt nicht einmal Meldepflichten für das Vermögen außerhalb Italiens. Der Betroffene muss nur seinen Wohnsitz in Italien anmelden, sich dort mehr als die Hälfte des Jahres aufhalten und neun der letzten zehn Jahre außerhalb des Landes gewohnt haben. Von den inländischen italienischen Einkünften sind nur 30 % zu versteuern; die restlichen 70 % sind steuerfrei. Gehen man nach Süditalien oder kaufen sie eine Wohnung oder ein Haus werden sogar nur auf 10 % des inländischen Einkommens Steuern fällig.
(4) Der Steuerwettbewerb wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Hier wäre es jedoch verfehlt, die Verantwortlichkeit in erster Linie bei den Steuerpflichtigen zu suchen. Nicht die Steuerpflichtigen, sondern die jeweils souveränen Staaten sind für ihr Steuersystem verantwortlich. Es sind die jeweiligen Staaten, die die Steuern senken, um Unternehmen und vermögenden Privatpersonen anzulocken und sie zu Investitionen oder zum Umzug in das werbende Land zu bewegen.
Man kann den einzelnen Steuerpflichtigen nicht vorwerfen, dass sie günstige steuerrechtliche Regelungen in Anspruch nehmen, die von einzelnen Staaten angeboten werden. Kein Mensch ist verpflichtet, hohe Steuern zu zahlen. Solange sich die Steuerpflichtigen an die Gesetze halten und ihre wirtschaftlichen Aktivitäten, ihre Wirtschaftsgüter oder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diejenigen Länder verlagern, die günstige steuerliche Rahmenbedingungen anbieten, ist der mit einem moralischen Unterton erhobene Vorwurf der Steuervermeidung oder Steuerumgehung unangebracht. Grundsätzlich steht es jedem Steuerpflichtigen frei seine Lebensverhältnisse so zu gestalten, dass er möglichst wenig Steuern zahlt.
Trotzdem handelt es sich um eine Frage, die auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu diskutieren ist. Grundsätzlich ist gegen einen Standortwettbewerb nichts einzuwenden; vielmehr ist er aus ordnungspolitischen Gründen zu begrüßen.
Dies setzt jedoch voraus, dass die Steuerautonomie anderer Staaten respektiert wird, das Steuersubstrat anderer Staaten nicht durch unfaire Maßnahmen beeinträchtigt wird und dass die Einhaltung der Steuermoral generell gewährleistet wird. Daher dürften unterschiedlich hohe Steuersätze oder auch die Privilegierung bestimmter Einkünfte unproblematisch sein, solange die Einkünfte in dem jeweiligen Staat erwirtschaftet werden. Begünstigen die steuerrechtlichen Regelungen jedoch lediglich Kapital, immaterielle Wirtschaftsgüter oder Erträge ohne wirtschaftliche Substanz in dem jeweiligen Staat, wird das Steuersubstrat anderer Staaten beeinträchtigt. Dies gilt vor allem für Finanzmarktplätze und Steueroasen die lediglich dazu dienen, dass in anderen Staaten erwirtschaftete Einkommen fiktiv zu verlagern, um im Ansässigkeitsstaat keine oder nur geringe Steuern zu zahlen.
Auch diejenigen Steuersysteme, die Privilegien an wohlhabende Zuwanderer und reiche Ausländer verteilen, dürften die Steuergerechtigkeit zwischen den Staaten verletzen.
d) Eine gerechte Besteuerung im internationalen Steuerrecht ist danach dadurch gekennzeichnet, dass eine Doppelbesteuerung ebenso vermieden wird wie eine doppelte Nichtbesteuerung, und dass ein fairer Steuerwettbewerb zwischen den Staaten gewährleistet wird. Eine Doppelbesteuerung führt nicht nur zu einer Mehrfachbelastung desselben Steuersachverhalts, sondern auch zu einer übermäßigen Besteuerung von Steuerpflichtigen, die global wirtschaften. Andererseits verletzt eine doppelte Nichtbesteuerung oder eine Keinmalbesteuerung unser Gerechtigkeitsempfinden, weil diejenigen Steuerpflichtigen in keinem der beteiligten Staaten ihren Anteil zum Staatshaushalt beitragen. Sie werden zudem besser gestellt, als wenn sie nur in einem der beteiligten Staaten wirtschaften würden. Besonders schwierig ist die Frage zu beurteilen, wann ein Steuerwettbewerb die Steuergerechtigkeit verletzt. Grundsätzlich ist es zwar keinem Staat verwehrt, durch günstige steuerliche Rahmenbedingungen Wirtschaft und Kapital in das eigene Land zu locken. Die Steuergerechtigkeit wird aber dann verletzt, wenn lediglich Erträge in Niedrigsteuerländer verlagert wird, ohne dass dort wirtschaftliche Aktivitäten stattfinden. Grundsätzlich setzt eine Besteuerung voraus, dass die Erträge auch in dem besteuernden Staat erwirtschaftet werden.
Aufteilung der Besteuerung auf mehrere Länder
Selbst wenn die wirtschaftliche Substanz und das Vorhandensein von Steuersubstrat Grundlage eines fairen Steuerwettbewerbs ist, stellt sich aber die Frage wie das Steuersubstrat zu verteilen ist, wenn mehrere Staaten auf denselben Steuergegenstand zugreifen können. Wenn Gewinne von einem Konzern in mehreren Ländern erwirtschaftet werden, bedarf es Regeln, wie die Gewinne konkret auf die einzelnen Staaten aufgeteilt werden sollen. Dabei wird häufig auf den Wertschöpfungsanteil abgestellt. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel erläutern:
Nehmen wir ein Smartphone, zu dem die Idee z.B. in den USA entwickelt worden ist. Die Pläne für die Verwirklichung dieses Geräts werden z.B. in Indien gezeichnet. Die Einzelteile werden in verschiedenen europäischen und asiatischen Staaten hergestellt und das Gerät in China zusammengebaut. Eine Vertriebsgesellschaft in Spanien sorgt für den Vertrieb; das Gerät wird schließlich auf der ganzen Welt verkauft und kostet in Deutschland z.B. 1000 €.
Hier stellt sich die grundsätzliche Frage welcher Anteil der Wertschöpfung in welchem Land erwirtschaftet worden ist. Jeder der beteiligten Staaten möchte natürlich einen möglichst hohen Anteil besteuern. Die USA berufen sich darauf, dass es ohne ihre Idee das Gerät gar nicht geben würde. Die Hersteller der Einzelteile berufen sich darauf, dass diese Teile unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren des Gerätes darstellen. Die Staaten, in denen das Gerät verkauft wird berufen sich darauf, dass es ohne die Abnehmer das Gerät nicht geben würde. Daher sei der größte Anteil an der Wertschöpfung den Abnehmerstaaten zuzuweisen, weil ohne ihre Marktmacht die Idee wertlos sei.
Hier kommen wir an die Grenze der Steuergerechtigkeit. Zwischen den Staaten gibt es bisher keine allgemein anerkannten Kriterien, nach denen der Gewinn in solchen Fällen aufzuteilen und den einzelnen Staaten zuzuweisen ist. Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit vermag zwar den Gesamtgewinn eines Wirtschaftsgutes zu definieren; daraus ergibt sich aber nicht wie dieser Gewinn den einzelnen beteiligten Staaten zuzuweisen ist.
Letztendlich dürfte sich hierbei weniger um eine Gerechtigkeitsfrage als eine Machtfrage handeln. Die beteiligten Staaten müssen sich hier über die Aufteilung der Besteuerungsrechte einigen. Ich werde darauf später noch einmal zurückkommen.
Maßnahmen zur Durchsetzung der Steuergerechtigkeit
Das Thema der Steuergerechtigkeit im internationalen Steuerrecht beherrscht seit einigen Jahren die politische Debatte. Bisher hat man insbesondere durch Doppelbesteuerungsabkommen versucht, die unterschiedlichen Besteuerungsregime der Staaten aufeinander abzustimmen. Seit einigen Jahren hat man auf internationaler Ebene jedoch auch Maßnahmen ergriffen, um Steuerverkürzung und Steuervermeidung einzudämmen.
Maßnahmen zur Verhinderung von Steuervermeidung durch Steuergestaltung
Der Steuerwettbewerb zwischen den Staaten wird als ein wesentliches Problem der Steuergerechtigkeit gesehen. Daher haben sich die Staaten der OECD und der G20 sowie Schwellen- und Entwicklungsländer zusammengetan, um die internationalen Steuerstandards zu stärken, Regeln für den internationalen Steuerwettbewerb zu setzten und ihre jeweiligen Steuerrechtssysteme besser miteinander zu verzahnen.
Die OECD widmet sich im Auftrag der G20 der Bekämpfung von BEPS (Base Erosion and Profit Shifting = geplante Verminderung steuerlicher Bemessungsgrundlagen und das grenzüberschreitende Verschieben von Gewinnen durch multinationale Konzerne). 2013 wurde ein BEPS-Aktionsplan vereinbart, der die wesentlichen Punkte enthält, mit denen ungerechte Steuervermeidung bekämpft werden soll. Ich will einige Beispiele nennen, wie die OECD und die Mehrheit der Staatengemeinschaft der ungerechtfertigten Gewinnverlagerung entgegenwirken will:
a) Das teilweise erhebliche Steuergefälle der Staaten wird als eine wesentliche Ursache für die Steuervermeidung gesehen. Ziel zahlreicher Steuergestaltungen ist es, Erträge, die in einem Hochsteuerland erzielt werden in einem Land mit niedriger oder gar keiner Besteuerung zu verlagern. Der Kreativität sind hier kaum Grenzen gesetzt. Insbesondere Kapital und immaterielle Wirtschaftsgüter werden in Niedrigsteuerländer verlagert. Im unternehmerischen Bereich reagieren die Staaten mit der so genannte Hinzurechnungsbesteuerung. Dabei werden dem inländischen Steuerpflichtigen die Einkünfte ausländischer Gesellschaften hinzugerechnet, wenn diese zu niedrig oder gar nicht besteuert werden.
b) Gewinnverlagerungen können auch durch überhöhte Fremdfinanzierungen vorgenommen werden. Dabei ergeben sich Spielräume für Gestaltungen, bei denen die steuerliche Bemessungsgrundlage in einem bestimmten Staat gezielt vermindert werden kann. Diesem Problem begegnen die Staaten heute dadurch, dass sie die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen einschränken, etwa in Abhängigkeit von der Höhe der Erträge des Unternehmens oder von der Höhe der vorhandenen Anlagegüter.
c) Auch die ungeregelte Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern in das niedrigbesteuerte Ausland oder in Ländern mit so genannten Lizenz- und Patentbox führte in der Vergangenheit zu einer erheblichen Verminderung des Steueraufkommens in Hochsteuerländern. Zahlreiche Länder bieten mit Lizenz- oder Patentboxen eine besonders günstige Besteuerung von Einnahmen aus Lizenz- und Patentgebühren an, um damit Gewinne aus anderen Ländern in ihr eigenes Land umzulenken. Im Rahmen des sogenannten BEPS-Projektes haben sich die OECD-Mitglieder und die G 20-Staaten darauf verständigt, dass bei den Lizenzbox nur noch Einnahmen auf der Basis von Patenten und ähnlich geschützten Rechten privilegiert werden dürfen. Außerdem soll eine Lizenzbox nur noch dann in Anspruch genommen werden können wenn in dem jeweiligen Staat eine substantielle Tätigkeit zur Schaffung von Immaterialgütern vorliegt. Lizenzeinnahmen dürfen steuerlich nicht bevorzugt werden, wenn keinerlei Forschungstätigkeit in einem Land ausgeübt wird.
d) Seit jeher bilden die Verrechnungspreise die Grundlage für erhebliche Steuerverlagerungen. Hierbei handelt es sich um diejenigen Preise, die zwischen verschiedenen Bereichen eines global tätigen Unternehmens oder zwischen verschiedenen Gesellschaften eines Konzerns für innerbetrieblich ausgetauschte Güter und Dienstleistungen berechnet werden. Werden diese Preise zu hoch oder zu niedrig festgesetzt führt dies automatisch zu einer Gewinnverlagerung. Damit die grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zutreffend besteuert werden, gilt der Fremdvergleichsgrundsatz als anerkannter Standard für die Bestimmung der Verrechnungspreise. Das BEPS-Projekt enthält zahlreiche Empfehlungen, um eine missbräuchliche Verwendung von Verrechnungspreisen einzuschränken und sicherzustellen, dass die Besteuerung der Unternehmensgewinne sich im Einklang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen und der daraus folgenden unternehmerischen Wertschöpfung befindet.
e) Außerdem geht es im BEPS-Projekt darum, hybride Gestaltungen einzuschränken, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden. Schlißlich soll der Abkommensmißbrauch verhindert oder der Betriebsstättenbegriff aktualisiert werden, um eine gerechtere Verteilung des Steueraufkommens sicherzustellen.
Verfahrensrechtliche Maßnahmen
Neben diesen Vereinbarungen zum Inhalt steuerrechtlicher Regelungen der verschiedenen Staaten, haben sich die Staaten auf einen umfangreichen Austausch von Daten geeinigt, um Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen auf die Spur zu kommen.
Bereits im Oktober 2014 haben 51 Staaten auf dem Berliner Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes einen umfangreichen Informationsaustausch über Kapitalkonten beschlossen. Basierend auf dem „OECD Global Standard for Automatic Exchange of Financial Account Information in Tax Matters“, dem sog. Global Standard sollen umfassende Informationen über Kontostände und Kapitalerträge ausländischer Kontoinhaber im Rahmen eines automatischen Informationsaustauschs vorgenommen werden. Inzwischen beteiligen sich über 150 Staaten an diesem Informationsaustausch.
Vor allem in der Europäischen Union ist in den letzten Jahren der Austausch von steuerlich relevanten Daten vorangetrieben worden. In der sogenannten Amtshilferichtlinie ist nicht nur ein automatischer Informationsaustausch über Finanzkonten geregelt. Außerdem werden zwischen den europäischen Finanzbehörden Vorbescheide und verbindliche Auskünfte gegenüber den Steuerpflichtigen, die sog. Tax Rulings ausgetauscht. Durch das sog. Country-by-Country-Reporting (CbCR) werden multinationale Konzerne verpflichtet, im Rahmen einer länderbezogenen Berichterstattung diverse Finanzzahlen pro Land sowie Informationen zur Wertschöpfungskette an die Finanzbehörden zu übermitteln.
Schließlich hat die Europäische Kommission am 25. Juni 2018 eine Richtlinie zum verpflichtenden automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle verabschiedet. Danach werden sog. Intermediäre dies sind im Wesentlichen Kreditinstitute, Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer verpflichtet, Informationen über bestimmte offenzulegende Steuergestaltungsmodelle an die zuständigen Steuerbehörden zu melden. Diese neuen Meldepflichten sind von den Mitgliedstaaten bis Ende 2019 umzusetzen und gelten ab dem 01.7.2020. Dann müssen die Mitgliedstaaten alle drei Monate Informationen austauschen, und zwar innerhalb eines Monats nach Ablauf des Quartals, in dem die Informationen eingegangen sind.
Das deutsche Gesetz zu diesen Anzeigepflichten steht kurz vor der Verabschiedung. Die Steuerberater wenden sich nicht nur gegen den bürokratischen Aufwand, sondern insbesondere auch deswegen gegen die Anzeigepflichten, weil das Vertrauensverhältnis zu ihren Mandanten beeinträchtigt wird.
Alleine der umfangreiche Datenaustausch zwischen den vielen beteiligten Finanzverwaltungen, die Probleme des Datenschutzes und die Auswirkungen auf das Steuergeheimnis würden einen eigenen Vortrag rechtfertigen. Ob dieser umfangreiche Datenaustausch letztendlich zu mehr Steuergerechtigkeit führen wird, muss sich erst noch erweisen.
Grundlegende Neuausrichtung der internationalen Besteuerung?
Als besonders ungerecht wird seit vielen Jahren die Besteuerung der Digitalwirtschaft empfunden. Fast allen von Ihnen dürften die Klagen darüber bekannt sein, dass vor allem amerikanische Internetkonzerne wie Google, Apple, Amazon oder Facebook sehr geringe oder überhaupt keine Steuern in den Ländern zahlen, in denen sie präsent sind.
Betriebsstättenbesteuerung
Die Ursache der geringen Besteuerung liegt in der Weltsteuerordnung, wie sie vor 100 Jahren entwickelt worden ist.
Leitgedanke jedes Doppelbesteuerungsabkommens ist die Aufstellung eines sachgemäßen auf Gegenseitigkeit gestellten Systems von Steuerverzichten unter Berücksichtigung der Eigenart der beiden Steuersysteme. Ziel der Verträge ist vom Standpunkt der Steuerpflichtigen: nur einmal Steuer für dasselbe Steuergut (Einkommen, Ertrag, Vermögen, Erbschaft), und vom Standpunkt der beteiligten Staaten: Teilung in das einheitliche Steuergut unter dem Gesichtspunkt staatswirtschaftlichen Ausgleichs; eine Verteilung also, bei der die beiderseitigen Verzichte sich in der großen Summe entsprechen.
Gerade für die Unternehmensbesteuerung spielt die Aufteilung der Besteuerungsrechte eine große Rolle. Die internationale Besteuerung hat daher Wege gesucht, um die Freizügigkeit der Unternehmen mit den staatswirtschaftlichen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen. Der beherrschende Grundsatz ist seit den 1920er Jahre derjenige der Betriebsstättenbesteuerung, den der Wegbereiter des internationalen Steuerrechts Herbert Dorn wie folgt beschrieb: Der Gewerbebetrieb darf nur in dem Staat zur Steuer herangezogen werden, indem er eine Betriebsstätte hat. Besitzt der Gewerbebetrieb nur in dem einen Staat eine Betriebsstätte, so darf der andere Staat ihn auch dann nicht besteuern, wenn er zu der Wirtschaft dieses Staates geschäftliche Beziehungen pflegt. Er kann in das fremde Gebiet hinein verkaufen oder von ihm kaufen: Er kann Handlungsreisende in das andere Staatsgebiet entsenden und durch sie oder im Schriftwege Angebote machen oder suchen, Abnehmer erwerben oder sich Bezugsquellen eröffnen. All dies gibt dem Staate in dem das Unternehmen sich so betätigt, kein Recht auf Steuern, solange die wirtschaftliche Betätigung nicht von einer Betriebsstätte im Lande aus erfolgt.
Besteuerung der Digitalwirtschaft
Diese Prinzipien haben über fast 100 Jahre gute Dienste geleistet. Die wirtschaftliche Tätigkeit hat sich aber grundlegend geändert. Unternehmen verdienen heute an Daten und durch die Internetpräsenz, die gleichzeitig den grenzüberschreitenden elektronischen Handel und Dienstleistungen ohne physische Präsenz erleichtern. So sind einige Unternehmen in mehreren Ländern digital präsent, bieten Verbrauchern dort ihre Leistungen an, schließen Verträge mit ihnen ab und nutzen so umfassend die Infrastruktur und die Institutionen des Rechtsstaates, während sie aus steuerlicher Sicht als nicht präsent gelten.
Die Wertschöpfung digitaler Konzerne findet überall und gleichzeitig statt, ohne dass ein Unternehmen dafür unbedingt einen Sitz in dem Land haben muss, in dem es wirtschaftlich tätig ist. So arbeiten große Digitalunternehmen zum Beispiel mit Software, die in den USA entwickelt wird – die Wertschöpfung findet also in den USA statt und wird dort nach den amerikanischen Steuervorschriften besteuert. Aber viele der amerikanischen Technologiekonzerne wie Facebook oder Google sind auch in der EU sehr aktiv, zum Beispiel bei der Erhebung und Aufbereitung von Daten.
Internationale Besteuerungsrechte betrachten solche Unternehmungen jedoch als „Routineaufgaben“, die nicht Teil der Wertschöpfung sind. Deshalb können Tochtergesellschaften digitaler Unternehmen in der EU häufig nicht besteuert werden. Dabei ist das Verarbeiten von Daten zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells vieler Digitalunternehmen.
Außerdem beruht die Tätigkeit im Bereich der Digitalisierung wesentlich auf immateriellen Wirtschaftsgütern, die nicht an eine bestimmte Betriebsstätte gebunden sind. Daher haben multinationale Unternehmen die Möglichkeit, über Tochtergesellschaften Gewinne so zu verschieben, dass sie ihre Steuerlast minimieren.
Im Durchschnitt unterliegen digitale Geschäftsmodelle in der Europäischen Union einem effektiven Steuersatz von lediglich 8,5 %, während herkömmliche Unternehmen durchschnittlichen Effektivsteuersätzen von 21 bis 23 % unterliegen (Stand 2017). Dies liegt am Wesen der digitalen Geschäftsmodelle, die in erster Linie auf immateriellen Vermögenswerten beruhen und von steuerlichen Anreizen profitieren.
Lösungsversuche
Inzwischen hat es mehrere Lösungsversuche gegeben, um zu einer gerechten Besteuerung der Digitalwirtschaft zu kommen.
Auf europäischer Ebene wurde z.B. ein Richtlinienvorschlag einer Digital Service Tax vorgelegt, um möglichst schnell die niedrigen Steuerzahlungen amerikanischer Digitalkonzerne im EU-Binnenmarkt in den Griff zu bekommen. Hierzu schlug die Kommission zum einen eine Umsatzsteuerin Höhe von 3 Prozent auf digitale Dienstleistungen großer multinationaler Unternehmen als „Zwischenlösung“ vor.
Diese Vorschläge erweisen sich jedoch als kaum geeignet, die Probleme des internationalen Steuersystems bei der Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle wirklich zu lösen. Das liegt im Kern daran, dass sie die Frage, wie und wo digitale Geschäftsmodelle letztendlich Wert schöpfen, nicht beantworten. Exportnationen wie Deutschland befürchteten zudem, dass langfristig Besteuerungsrechte vom Sitzland der Unternehmen in die Absatzmärkte verlagert würden. Es bestehen im Übrigen erhebliche kompetenzrechtliche Probleme, so dass der Vorschlag der Kommission letztendlich im März dieses Jahres scheiterte.
Einseitige Maßnahmen einzelner Länder
Inzwischen haben einige Länder einseitig Digitalsteuern eingeführt.
So hat Frankreich zum 1. Januar dieses Jahres eine Digitalsteuer eingeführt, durch die neben der Umsatzbesteuerung auch die Werbeeinnahmen und der Verkauf persönlicher Daten besteuert werden. Die Digitalsteuer betrifft vor allem die US-amerikanischen Internetkonzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon (allgemein auch als GAFA bezeichnet). Die dreiprozentige Steuer soll bei etwa dreißig zumeist US-amerikanischen Unternehmen erhoben werden, die einen Umsatz von 750 Millionen Euro weltweit und davon mehr als 25 Millionen Euro in Frankreich erzielen.
Da diese Steuer ausschließlich amerikanische Konzerne betrifft, war die Reaktion aus dem Weißen Haus vorhersehbar. Vor zwei Tagen, kurz vor seiner Abreise zum Nato-Gipfel nach London drohte Donald Trump erneut damit, Zölle von bis zu 100 Prozent auf französische Importwaren für die USA im Wert von 2,2 Milliarden Euro zu erheben, wenn Frankreich seine Digitalsteuer nicht zurückzieht.
Diskussion auf OECD-Ebene
Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit wird jedoch auf internationaler Ebene an einem grundlegenden Umbau der Weltsteuerordnung gearbeitet.
Seit Beginn dieses Jahrs wird unter ungeheurem Druck und mit hohem Tempo an neuen Grundsätzen einer internationalen Besteuerung gearbeitet. Unter der Leitung der OECD widmet man sich den Fragen der Besteuerung der Digitalwirtschaft. Da die Maßnahmen von der Staatengemeinschaft umgesetzt werden sollen, haben die OECD und G20 das „Inclusive Framework on BEPS“ eingerichtet, an dem auch weitere Schwellen- und Entwicklungsländer gleichberechtigt teilnehmen können. Mittlerweile haben sich über 130 Staaten diesem Gremium angeschlossen.
1. Die neue Steuerordnung soll aus zwei zentrale Säulen („Pillars“) bestehen. Pillar I soll neue Regeln für die Zuordnung von Besteuerungsrechten und die Allokation von Gewinnen insbesondere der digitalisierten Unternehmen bestimmen. Für die Zuordnung der Besteuerungsrechte wurden insbesondere drei neu Vorschläge für die Zuordnung von Besteuerungsrechten zur Diskussion gestellt, die von unterschiedlichen Interessen dominiert werden.
Aus dem Kreis der Entwicklungs- und Schwellenländer („G-24“) wurde eine Besteuerung auf der Grundlage einer „significant economic presence“ vorgeschlagen. Nach diesem Konzept entsteht ein Quellenbesteuerungsrecht des Marktstaats, wenn vor Ort mit digitaler Technologie Waren oder Leistungen angeboten werden. Anhaltspunkte für eine wesentliche wirtschaftliche Präsenz können zum Beispiel eine Nutzerbasis mit entsprechenden Daten, die Rechnungsstellung und Zahlung von Leistungen in lokaler Währung, eine Website in lokaler Sprache, die Verantwortung für die finale Zustellung von Waren zum Konsumenten, die Erbringung von Unterstützungsleistungen oder wesentliche Marketing- und Vertriebsaktivitäten sein, um Konsumenten zu akquirieren. Die Zuordnung von Gewinnen von einem solchermaßen definierten Besteuerungsrecht soll anhand einer Zerlegungsmethode („fractional apportionment“) erfolgen, so dass der traditionelle Fremdvergleichsgrundsatz keine Rolle mehr spielen würde. Der Gewinn würde unter Berücksichtigung bestimmter Zerlegungsfaktoren (z.B. Umsatz, Kapital, Wirtschaftsgüter, Anzahl der User) aufgeteilt.
Das Vereinigte Königreich stellte die von digital arbeitenden Unternehmen verwendete „user contribution“ als Anknüpfungspunkt der Besteuerung in den Vordergrund. Dieser Vorschlag sieht ein Quellenbesteuerungsrecht vor, wenn im Marktstaat Nutzer digitale Leistungen in Anspruch nehmen oder an einem digitalen Geschäftsmodell partizipieren. Dies lässt sich insbesondere bei der Nutzung sozialer Netzwerke, von Suchmaschinen oder digitalen Marktplätzen realisieren.
Die Vereinigten Staaten setzten auf die Idee einer Besteuerung nach Maßgabe von „marketing intangibles“ (immaterielle Marketingwerte), die innerhalb und außerhalb der digitalen Wirtschaft den jeweiligen Kundenmarkt erschließen. Dieser Vorschlag sieht ein Quellenbesteuerungsrecht des Marktstaats vor, wenn vor Ort immaterielle Marketingwerte existieren. Diese können sich auf eine Marke oder einen Kundenstamm, Kundenlisten oder Kundenbeziehungen beziehen. Infolgedessen ist der Anwendungsbereich dieses Konzepts deutlich weiter, als derjenige der „user participation“. Dieser Vorschlag ist nicht auf digitale Geschäftsmodelle beschränkt, sondern betrifft letztlich alle Formen einer unternehmerischen Tätigkeit. Die Zuordnung von Gewinnen zu den „marketing intangibles“ könnte traditionell nach dem Fremdvergleichsgrundsatz oder einer Gewinnaufteilungsmethode erfolgen.
Die Säule II (Pillar II) dient dazu, die Nicht- oder Niedrigbesteuerung internationaler Unternehmensgewinne zu bekämpfen, indem eine grenzüberschreitende Mindestbesteuerung eingeführt wird. Insbesondere Bundesfinanzminister Olaf Scholz wirbt in der Öffentlichkeit mit der Mindestbesteuerung, die eine Verlagerung von Steuersubstrat in Niedrigsteuerländer verhindern soll, indem Ansässigkeits- und Quellenstaaten das Recht erhalten, niedrig besteuerte Gewinne mit einem Mindestsatz zu besteuern.
Die Verhandlungen sollen im Rahmen der G20-Präsidentschaft von Deutschland im kommenden Jahr abgeschlossen werden. Um die Auffassungen der Betroffenen zu berücksichtigen wurden bereits zwei Consultation Documents erstellt, zu dem eine ungewöhnlich hohe Zahl an Eingaben aus Kreisen der Wirtschaft, der Beraterschaft, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft eingingen und die zuletzt im November in Paris diskutiert wurden.
2. Die genauere Darstellung dieser Entwicklungen würde den Rahmen dieses Vortrages deutlich sprengen. Ich will daher nur auf ein paar Probleme hinweisen, die sich auf die auf Deutschland und deutsche Unternehmen auswirken können.
Zum einen hat sich gezeigt, dass eine Beschränkung der Regeln für die Zuordnung von Besteuerungsrechten und die Allokation von Gewinnen nicht auf Unternehmen der Digitalwirtschaft beschränken lässt. Digitalisierung erweist sich heute als Bestandteil jeden modernen Wirtschaftens, das von rein digitalen Leistungen (etwa der Plattformökonomie, der Suchmaschinen oder der sozialen Netzwerke) über Kombinationen aus physischen und digitalen Angeboten (namentlich im Online-Handel) bis zu internetgestützten klassischen Gütern und Dienstleistungen reicht („Internet der Dinge“).
Das bedeutet gleichzeitig, dass es zu einer fundamentalen Veränderung in der Zuordnung der Besteuerungsrechte kommen wird. Daher wird unter Fachleuten auch von der Neuordnung einer Weltsteuerordnung gesprochen.
Die grundsätzliche Neujustierung des internationalen Steuerrechts wird höchstwahrscheinlich zu einer deutlich höheren Beteiligung von Marktstaaten am Residualgewinn internationaler Unternehmen führen. Die derzeit diskutierten Modelle führen alle dazu, dass ein höherer Anteil der Wertschöpfung eines Unternehmens in den Abnehmerstaaten und damit in den Marktstaaten besteuert werden wird.
Die Auswirkungen auf die Unternehmen und auf den Steuerstandort Deutschland lassen sich heute noch nicht absehen. Die OECD beziffert den Verlust an Steuereinnahmen von Deutschland mit weniger al 10 Milliarden Euro, während andere Schätzungen zu sehr viel höheren Verlusten des deutschen Steueraufkommens führen. Ausgeschlossen ist jedenfalls, dass sich diese Verhandlungen im Ergebnis positiv auf das Steueraufkommen Deutschlands auswirken werden. Eine neue Weltsteuerordnung wird damit unweigerlich zur Verminderung des Steueraufkommens in Deutschland führen.
Auch besteht bei einer vollständigen Neuordnung der Zugriffsrechte in der internationalen Besteuerung die erhöhte Gefahr einer Doppelbesteuerung. Um dies zu vermeiden müssen die bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen an die neue Situation angepasst werden. Bei über 3000 Doppelbesteuerungsabkommen weltweit und über 90 Doppelbesteuerungsabkommen in Deutschland eine Herkulesaufgabe. Dass die damit verbundenen Verhandlungen immer zugunsten von Deutschland ausgehen, darf bezweifelt werden.
Schließlich zeigen die bisherigen Diskussionen über die Vorschläge der OECD und des Inclusive Framework, dass die Neuordnung der Besteuerungsrechte kompliziert und streitanfällig werden wird. Es werden viele neue Begrifflichkeiten eingeführt, die sich im Laufe der Zeit erst mit Leben erfüllt werden müssen. Außerdem treten die neuen Besteuerungsregeln zunächst neben die bisherige Steuerordnung, was zu einem erheblichen Mehraufwand führen wird. Die ersten Beiträge in der Fachliteratur zu den Vorschlägen der OECD zeigen zudem, dass es viele komplexe Fragen gibt, die in neuen Steuervorschriften zu beantworten sind.
Die Idee einer Mindestbesteuerung ist unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu begrüßen. Wer sich aber mit den bisherigen Diskussionsgrundlagen beschäftigt sieht aber auch hier, dass die bisherigen Konzepte außerordentlich komplex sind und einen hohen Aufwand für die beteiligten Unternehmen bedeuten.
Zusammenfassung
In den letzten Jahren wird viel über die Steuergerechtigkeit im internationalen Kontext gesprochen. Die Diskussion in der Öffentlichkeit wird von Einzelfällen dominiert, die Verwerfungen und Ungerechtigkeiten in der internationalen Besteuerung plakativ hervorheben. Gleichzeitig zeigt sich, dass die bestehende Ordnung des internationalen Steuerrechts insbesondere nicht auf die Digitalisierung und die damit verbundene Veränderung der Wertschöpfung internationaler Konzerne vorbereitet ist.
Wer in diesem Zusammenhang Steuergerechtigkeit fordert, muss zunächst die Maßstäbe für eine gerechte und faire Weltsteuerordnung formulieren. Dabei hat sich gezeigt, dass zwar das Verbot der Doppelbesteuerung, die Verhinderung der Nichtbesteuerung global tätiger Unternehmen und die Vermeidung unfairer Verlagerung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer ohne wirtschaftliche Präsenz und Aktivität den Grundsätzen eines fairen und gerechten Ausgleich der Besteuerungsinteressen verschiedener Staaten entspricht. Darüber hinaus gibt es jedoch bisher keine klaren Maßstäbe für die gerechte Verteilung von Besteuerungsrechten zwischen den Staaten. Die aktuelle Diskussion über eine neue Weltsteuerordnung zeigt aber, dass die Abnehmerstaaten oder Marktstaaten in Zukunft einen deutlich höheren Anteil am Steueraufkommen insbesondere im Bereich der digitalisierten Wirtschaft fordern. Deutschland muss damit rechnen, dass es als Folge dieser Diskussion an Steueraufkommen verlieren wird. Einfacher wird das Steuerrecht in Folge dieser Entwicklungen nicht.
Vielen Dank!