Vortrag
Botschafter Prof. Dr. h.c. Wolfgang Ischinger
„Eine handlungsfähigere Europäische Union – Schaffen wir das?“
Sehr geehrte Damen und Herren,
zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken, General Wieker, beim Hausherrn, Herrn General Gerhatz und bei den Organisatoren des Bremer Tabak-Collegiums. Es ist mir wirklich eine große Freude, eine Ehre und ein Privileg, diesen Abend hier mit Ihnen verbringen zu können und mit Ihnen einige Gedanken zur Lage der Europäischen Union in der aktuellen weltpolitischen Krisenlage zu teilen.
Ich will zunächst einmal ein Wort des Dankes sagen, weil mir das sehr am Herzen liegt: Ohne die sehr aktive Unterstützung des damaligen Generalinspekteurs Wieker und andere führende Persönlichkeiten im Verteidigungsministerium hätten wir es nicht hinbekommen, vor ein paar Jahren die Münchener Sicherheitskonferenz, die im Grunde nichts anderes war, als ein völlig privates Unternehmen, umzuwandeln in eine Stiftung, die inzwischen eine durchaus wesentliche Zustiftung, ausgerechnet aus dem Einzelplan 14 des Bundeshaushaltes – die Fachleute unter Ihnen werden wissen, das ist der Einzelplan aus dem auch dieses Flugzeug finanziert wird – bekommen hat.
Ich bedanke mich stellvertretend für viele andere bei Ihnen, lieber Herr General Wieker, für die Unterstützung, weil das dazu führt und auch schon geführt hat, dass die Münchener Sicherheitskonferenz nicht nur so ein Event ist, sondern eine Institution geworden ist und auch weiter sein kann, die nachhaltig wirken kann. Die auch nicht, wenn wir mal finanzielle oder andere Probleme haben sollten, plötzlich wieder untergeht.
Das neue deutsche Wort dazu heißt: system ability – und die haben wir dadurch gewonnen. Meinen ganz herzlichen Dank dafür.
Wenn ich jetzt hier unter dieser Tragfläche des Flugzeuges stehe, dann muss ich Ihnen, bevor ich zu meinem Thema komme, eines kurz erzählen: Ich habe einmal in meinem Leben eine ähnliche Ambiance erlebt. Das war am Eröffnungsabend der Verhandlungen über den Friedensschluss in Bosnien, auf der Amerikanischen Airbase in Dayton/Ohio, bei Ihren amerikanischen Kollegen, der amerikanischen Luftwaffe. Und das erste Abendessen mit solch anerkannten Führungskräften wie
Slobodan Milošević und dem Kroatischen Präsidenten, Franjo Tuđman, und anderen, fand in einem Hangar der Airbase in Dayton statt. Über dem Ehrentisch, an dem die Führungspersonen saßen, das war ein runder Tisch, an dem auch ich saß, hing eine richtige, nicht nur eine Attrappe, eine amerikanische Cruise-Missile. Ihr Konterpart, Herr General, der anwesende amerikanische Luftwaffenkommandeur, wies Präsident Milošević daraufhin, dass eine Cruise-Missile diesen Typs, die Regierung von Slobodan Milošević dazu gezwungen habe, an dieser Verhandlungsrunde in Amerika endlich teilzunehmen. Das war ein ziemlich denkwürdiges Ereignis über die Frage, wie militärische Macht und diplomatische Kunst, wenn sie richtig eingesetzt werden, zu Frieden und zur Beendigung von Krieg führen können.
Das ist das Thema meines Berufes gewesen über die letzten langen Jahre.
Ich will Sie nicht mit theoretischen Überlegungen langweilen – vielleicht fürchten Sie sich davor – über das, was ein handlungsfähiges Europa ausmachen würde oder sein könnte. Sondern ich würde gerne – erfreulicherweise hat man mir ja etliche Minuten gegeben – um das zu erläutern, meine Ausführungen damit beginnen, Ihnen zu erläutern, wie ich die aktuellen Rahmenbedingungen der Weltpolitik sehe, in denen sich die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit ihren Partnern, Nachbarn und Verbündeten in der Europäischen Union und dem Nordatlantischen Bündnis bewegen muss.
Ich sage das, meine Damen und Herren, als Vertreter einer Institution, der Münchener Sicherheitskonferenz, die von einer amerikanischen Zeitschrift im vergangenen Monat mit einem Titel ausgezeichnet wurde. Darüber habe ich mich natürlich gefreut. Der Journalist schrieb, die Münchener Sicherheitskonferenz ist: „The Brain-Trust of the West“!
Das ist sicherlich eine große Übertreibung. Aber, das wir versucht haben und weiter versuchen in diese Richtung zu wirken. Also über Themen zu reden und Themen anzusprechen, die vielleicht über den Horizont noch nicht sichtbar sind, „over the horizon“ wie man so schön sagt, so definiere ich eigentlich meine Aufgabe.
Bevor ich jetzt in das Thema ernsthaft einsteige, will ich mich doch noch einmal bei Ihnen, Herr Wieker, für Ihre außerordentliche überschwängliche Einführung vorhin am Ende des Dinners bedanken. Was Sie da an Nettigkeiten über mich gesagt haben, hat mich erinnert an einen Abend an dem ich vor längerer Zeit in New York in einem großen Ballsaal teilgenommen habe. Bei diesem Event wurde der Dinner-Speaker, ein sehr bekannter amerikanischer Industrieller, von keinem geringeren als Henry Kissinger, unserem alten deutsch-amerikanischen Mentor und früheren Außenmister eingeführt. Und ich möchte jetzt Ihnen, lieber Herr Wieker, ausdrücklich dafür danken, dass Sie nicht die Kissinger’sche Methode der Einführung des Redners gewählt haben, sondern Ihre nette Methode. Kissinger hat an dem Abend folgendes gemacht: er sagte, Ladies and Gentlemen, Sie werden sicher mit mir übereinstimmen, dass ich Sie noch nie mit einer langweiligen Rede durch einen langen Abend gequält habe. Heute Abend ist es mir ein Vergnügen, Ihnen einen Redner vorzustellen, der genau das tun wird. Der Redner hatte dann also gewisse Startschwierigkeiten.
Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, für diese völlig andere Methode der Einführung.
Die Rahmenbedingungen, meine Damen und Herren, verstehen wir eigentlich das, was um uns herum vorgeht? Haben wir begriffen, dass wir uns in einem epochalem Bruch, in einer Zeitenwende befinden (wir hatten das in einem längeren Papier der Münchener Sicherheitskonferenz beschrieben), in der fast alles, was wir in Deutschland glaubten an außen- und verteidigungspolitischen Gewissheiten zu haben, ungewiss zu werden scheint?
Verstehen wir das, was rund um uns passiert, eigentlich richtig? Können wir das, was wir sehen, richtig einordnen?
Der ein oder andere wird sich fragen, was ist das für ein Geschwätz. Natürlich können wir das…
Aber es gibt eine treffende Geschichte von Papst Benedikt (der ein odere andere wird diese Geschichte schon einmal von mir gehört haben, da bitte ich um Nachsicht) , dem damaligen deutschen Papst, der sich auf einer Deutschlandreise befand. Er war zu einem Termin in München, das war ja sein früherer Job als Erzbischof, Kardinal in München.
Man setze ihn in eine 7er-BMW-Limousine und er sollte zu seinem nächsten Termin nach Stuttgart gefahren werden.
Die Fahrt ging über die Autobahn München-Stuttgart. Kaum war der Wagen auf die Autobahn eingebogen, sagte der Papst zu dem jungen Fahrer, „Junger Mann, Sie können das ja nicht wissen, aber als ich noch hier in München lebte, bin ich mit meinem eigenen Auto herumgefahren. In Rom lassen die mich überhaupt nicht mehr selber Auto fahren und schon gar nicht mit so einer 7er-Limousine mit 400 PS. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir mal die Plätze tauschen?“.
Der junge Mann, vermutlich ein frommer Katholik, sagt:“Eure Heiligkeit, selbstverständlich!“, fährt am nächsten Parkplatz rechts ran und setzt sich ganz bescheiden nach Hinten. Der Papst setzt sich ans Steuer, gibt Gas und ab geht die Post! Nach wenigen Kilometern passiert das, was passieren musste: Der Papst landet in einer Radarfalle der bayrischen Polizei und das Auto wird gestoppt.
Der junge Polizist nähert sich vorschriftsmäßig dem Wagen, sozusagen von hinten und schaut rein…Und schaut dann nochmal rein und beschließt dann erstmal seinen Chef in München anzurufen. Er sagt: „Chef, ich habe hier einen schwierigen Fall! Der ist 40 km/h zu schnell gefahren – aber mir scheint das so eine Art VIP-Sache zu sein! Soll ich dem jetzt wirklich einen Strafzettel geben?“.
Der Chef sagt:“Sagen Sie mal, junger Mann, haben Sie in der Polizeischule nicht aufgepasst? Bei uns in Bayern sind alle vor dem Gesetz gleich. Wenn der 40 km/h zu schnell gefahren ist, dann bekommt der natürlich einen Strafzettel, was soll denn dieser Anruf!“ und legt auf.
Unser junger Polizist denkt noch einmal nach, schaut noch einmal in das Auto und beschließt seinen Chef noch einmal anzurufen. Er sagt: „Chef, bevor ich jetzt einen ganz krassen Fehler mache, sind Sie wirklich der Meinung, dass ich dem ein Strafmandant ausschreiben sollte, wobei ich wirklich glaube, dass es so eine VIP-Sache ist?“. Da sagt der Chef: „wer verdammt noch einmal ist denn in diesem Auto?“. Da sagt der junge Polizist: „Chef, das ist ja genau das Problem. Ich weiß nicht, wer das ist. Was ich weiß ist, sein Fahrer ist der Papst!“.
Was diese Geschichte uns lehrt, ist, dass es manchmal schwieriger ist, als man denkt, die Dinge, die man glaubt zu sehen, richtig einzuordnen, sie vor allem politisch richtig einzuordnen.
Bei den sogenannten außenpolitischen Gewissheiten, die wir Deutschen, jeden Falls meine Generation und vermutlich viele von Ihnen, als gegeben unterstellt haben, da darf man heute große Fragezeichen machen.
Ich gebe Ihnen mal ein paar Beispiele:
Die erste außenpolitische Gewissheit, mit der ich groß geworden bin als junger Diplomat vor 40 Jahren, und die bis vor kurzen noch zu gelten schien, war die USA mit der nuklearen Garantie, symbolisiert durch den Art. 5 des NATO-Vertrages, sind auf ewig unser Protektor.
Das gilt offenbar nicht mit Ewigkeitsgarantie, nach dem, was wir in der Ära Trump erlebt haben. Wir müssen uns also interessanterweise darauf einstellen, dass diese unterstellte dauerhafte Absicherung Deutschlands oder Europas möglicherweise infrage gestellt wird. Keineswegs nur in Washington, sondern von denen, mit denen wir möglicherweise ein Problem haben, in Moskau oder andern Ortes.
Zweite feste Gewissheit für meine Generation von Außenpolitikern: wir arbeiten an dem Projekt der „ever closer European union“. Das ist der Begriff, der in den europäischen Verträgen steht, meine Damen und Herren.
„Ever closer European Union“: also der immer engere Zusammenschluss Europas. Wir haben über Jahrzehnte unterstellt, dass das ein Ziel ist, das von niemanden in Frage gestellt wird, weil es ja so selbstverständlich schien. Jetzt haben wir leider den Brexit und damit ist aus dieser Gewissheit eine Ungewissheit geworden. Im Augenblick ist die Europäische Union mühselig damit beschäftigt, sich am Leben zu erhalten, ihre inneren, ihre internen Probleme zu bewältigen. Ob und wann sie imstande sein kann – und das ist ja das eigentliche Thema meiner Ausführungen – sich als weltpolitischer Akteur im positiven Sinn Luft zu verschaffen, bleibt abzuwarten.
Dritte geglaubte Selbstverständlichkeit: wir haben über viele Jahrzehnte gedacht, meine Damen und Herren, Wandel durch Handel, Wandel durch Annäherung. China, so wurde vor 20 Jahren von wichtigen und sehr klugen Leuten gesagt, wird schon, je intensiver wir mit denen Handel treiben zu einem responsible stakeholder werden. Zu einem verantwortungsvollen und verantwortungsbewussten Akteur und Aktionär in einem von uns getragenen internationalen System.
Inzwischen wissen wir, dass China alle möglichen Ziele hat, aber sicherlich nicht das Ziel vertritt, das von uns oder von dem Westen nach dem 2. Weltkrieg geschaffene System eins-zu-eins zu übernehmen und in diesem System glücklich zu werden. China verfolgt seine eigenen Ziele mit möglicherweise völlig anderen Prioritäten und Zielsetzungen.
Ich könnte die Liste an verloren gegangenen Gewissheiten fast beliebig fortsetzen.
Insbesondere natürlich zum Thema Russland. Einer unserer großen Auseinandersetzungspunkte.
Lassen Sie mich an dieser Stelle nur sozusagen in Klammern, damit mir hinterher nicht vorgeworfen werden kann, ich hätte das Thema nicht angesprochen, drei Sätze sagen zum Thema Nord Stream 2, ein sehr beliebtes Thema der außenpolitischen Auseinandersetzungen. Nord Stream 2 wurde von der Bundesregierung präsentiert als ein Projekt der Business-Community, als ein Projekt von Unternehmen, also ein Projekt, das rein wirtschaftlichen Interessen dient.
Nun hat unglücklicherweise kein geringerer als Vladimir Putin bei einer Veranstaltung in Sankt Petersburg der Bundesregierung genau dieses Argument mit großer Brutalität aus der Hand geschlagen, in dem er gesagt, es liegt jetzt natürlich an der Ukraine; wenn die sich gut benehmen werden in den weiteren Jahren, werden wir weiter Gas durch die Ukraine liefern. Wenn nicht, dann halt nicht.
Mit anderen Worten: Putin hat indirekt uns allen gesagt, das Projekt ist natürlich nicht ein Projekt, das nur Businnes-Relevanz hat. Das ist ein geostrategisches, ein politisches und damit auch ein strategisches Projekt. Das ist der erste Punkt.
Und der zweite Punkt ist: Man mag das bedauern, dass das so weit gekommen ist, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in langen Jahren kein Thema deutscher Außenpolitik gegeben hat, bei dem die Glaubwürdigkeit, die Verlässlichkeit deutscher Außenpolitik von so vielen Nachbarn, Partnern und Freunden der Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig in Frage gestellt worden ist.
Auf gut Deutsch gesagt, das Thema Nord Stream 2 ist zu einem Mühlstein um den Hals deutscher Glaubwürdigkeit geworden. Unglücklicherweise. Niemand bedauert das mehr, als ich. Wenn man so eine Lage hat, die man hoffentlich, so wie ich es jetzt darstelle, halbwegs richtig diagnostiziert, dann muss man sich natürlich die Frage stellen, wie werde ich diesen Mühlstein los.
Mir hat vor wenigen Tagen ein amerikanischer Freund, der eine wichtige Rolle in der neuen Administration hat, zu verstehen gegeben, dass wenn bei dem Besuch der Kanzlerin in der kommenden Woche in Washington nicht ein gesichtswahrender Ausweg in dieser Frage gefunden wird, den beiden Administrationen nichts anderes übrig bleiben werde, als die angedrohten Sanktionen gegen Firmen und andere Institutionen wegen Nord Stream 2 doch endlich in Gang zu setzen.
Der Druck aus dem amerikanischen Senat ist sehr, sehr stark und er führt dazu, dass die Biden-Administration wegen Nord Stream 2 und wegen ihres Verzichts auf Sanktionen gegen Deutschland im Augenblick die eine oder andere Kandidatur für wichtige Positionen in der Administration nicht durch den Senat bekommt.
Da wird sozusagen der Preis von Tag zu Tag hochgetrieben. Wie kann die Lösung aussehen? Ich will Sie jetzt nicht mit Details langweilen. Aber wenn Sie mich als Praktiker der Außenpolitik fragen, dann muss man sich in einer solchen Lage, in der man einen Mühlstein um den Hals hat, die Frage stellen, ob man den Mühlstein nicht einem seiner Gegner um den Hals hängen kann. Und wenn ja, wie kann ich das machen. Ich will Ihnen nur in einem Satz andeuten, wie es vielleicht gehen könnte oder in welche Richtung es gehen könnte. Es könnte sein, dass die Bundesregierung der russischen Seite signalisieren könnte: die Rahmenbedingungen, die außenpolitischen und atmosphärischen Rahmenbedingungen die vor längeren Jahren existierten, als wir uns über dieses Projekt einig geworden sind, sind dramatisch verändert worden. Und zwar nicht durch uns.
Sondern durch den Vorgang Nawalny, durch den Vorgang Krim, durch den Vorgang Donbass, durch den Vorgang Syrien, durch den Vorgang Skripal, … und die Liste kann man fast beliebig verlängern.
Und deswegen ist es an Euch, liebe Russen, den Versuch zu unternehmen, die atmosphärischen Rahmenbedingungen so zu reparieren, dass wir, ohne dass wir Sanktionen unserer amerikanischen Freunde befürchten müssen, oder ohne, dass wir zum dritten Mal eine Niederlage im Europäischen Parlament in dieser Frage erleiden, halbwegs ungeschoren aus dieser Lage herauskommen. Der Ball wird sozusagen in den russischen Strafraum zurückgespielt. Das wäre, wenn ich es zu verantworten hätte, mein Vorschlag.
Ich hoffe, in unser aller Interessen, dass es in der kommenden Woche, zu einem irgendwie gearteten Ausweg kommt in dieser Frage.
Ich will in aller Kürze noch ein paar Punkte nennen, um Ihnen zu zeigen, woran das eigentlich liegt, dass wir uns in einer Zeitenwende befinden, in der die Rahmenbedingungen unserer außenpolitischen früheren Gewissheiten sich so dramatisch verändert haben.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel:
Viele von Ihnen werden Großväter oder Väter gehabt haben, die im 1. oder 2. Weltkrieg gedient haben. Meine beiden Großväter waren im 1. Weltkrieg, mein Vater war im 2. Weltkrieg Luftwaffenoffizier. Diese unsere Großväter, Väter oder Onkels waren immer nur in Konflikten involviert, bei denen es um Konflikte zwischen Staat A und Staat B ging. Also das Deutsche Reich gegen Frankreich oder Deutschland gegen den Rest der Welt und so weiter.
Das sind die klassischen Konflikte des 19. und des 20. Jahrhunderts. Wenn Sie die Konflikte des Jahres einmal durchdeklinieren von A wie Afghanistan bis Y wie Yemen, dann werden Sie feststellen, dass Sie nicht einen einzigen Konflikt finden, der dem klassischen Muster, der klassischen Kriege zwischen Staaten ähnelt.
Alle diese aktuellen Konflikte sind im Kern eher Konflikte innerhalb von Staaten. Wo also die Afghanen von der einen Seite mit den Afghanen von der anderen Seite im Klinsch liegen. Wo die einen Yeminiten mit den anderen Yeminiten kämpfen. Unter der Beteiligung ausländischer Mächte in verschiedensten Konstellationen.
Aber das ist, meine Damen und Herren, genau der Punkt!
Wir hatten im Jahr 2010 81 gewaltsame Konflikte dieser Art auf der Welt. Im Jahr 2019 waren es 152, also fast schon doppelt so viele. Ist die internationale Politik, die internationale Gemeinschaft imstande, mit diesen neuartigen Konfliktlagen, die wie gesagt, nicht Konflikte zwischen Staaten sind, sondern die Konflikte sind im Kerne innerhalb von Staaten, umzugehen? Die Antwort liegt auf der Hand, Nein!
Da müssen Sie in der Geschichte lange zurückgehen, bis Sie einen Fall finden, in dem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen internationalen Konflikt tatsächlich mit Entschlossenheit und Einstimmigkeit zu Ende bringen konnte. Die Zeiten sind aus verschiedensten Gründen vorbei. Ich würde gerne eine Überlegung hier anstimmen: Vor 400 Jahren gab es ein wesentliches völkerrechtliches und außenpolitisches Ereignis. Das war der Friedensschluss nach dem 30-jährigen Krieg. Der Friede von Münster und Osnabrück.
Aus diesem Friedensschluss ist das moderne Völkerrecht entstanden und am Schluss auch die Charta der Vereinten Nationen. Einer der Kernsätze des Friedensschlusses von Münster und Osnabrück war die Souveränität der Fürsten.
Das ging so weit, dass man sagte, wenn der Fürst evangelisch ist, dann haben gefälligst sein Untertanen auch evangelisch zu sein oder umgekehrt. Plötzlich gab es einen heiligen Schein über der Souveränität der Fürsten.
Das Prinzip der Unantastbarkeit der staatlichen Souveränität hat sich über die letzten mehreren hundert Jahre übertragen bis in die Gegenwart und steht in der UN-Charta. Das ist der Grund, warum Russland beliebig – natürlich auf Einladung von Baschar al-Assad – in Syrien herumfliegen und gemeinsam mit den syrischen Kräften die schlimmsten Verbrechen begehen konnte, während wir, der Westen, weil wir natürlich nicht eingreifen können, ohne Einladung in einem fremden Land, das auf seine Souveränität pocht, sozusagen machtlos am Spielfeldrand saßen.
Was ich damit sagen möchte, meine Damen und Herren, ist jetzt ein etwas wagemutiger Satz. Ich hoffe, dass einige von Ihnen sich irgendwann einmal mit dieser Frage befassen, ich bin mir bewusst, dass hier auch ein paar renommierte Juristen hier unter uns sind.
Das geltende Völkerrecht ist ein Recht, das Diktatoren schützt und Menschen schutzlos macht.
Das kann nicht das Völkerrecht sein, das wir wollen.
Deswegen ärgere ich mich persönlich über Sprüche – auch aus den Reihen unserer eigenen Regierung – wie toll es wäre, wenn wir eine Allianz der Multilateralisten schaffen, um sozusagen die guten Kräfte des Westens zusammenzuführen.
Der Multilateralismus ist ein Instrument, es ist ja kein Ziel.
Ich will Ihnen sagen, was aus meiner Sicht ein relevantes Ziel, eines Zusammenschlusses des Westens sein könnte. Nämlich darauf zu drängen, dass das Völkerrecht geändert wird. Völkerrecht ist ein Recht, dass sich durch Praxis ändert.
Dass das Völkerrecht sich ändert von einem Recht, das Diktatoren schütz, hin zu einem Recht, das Menschen schützt.Vom Diktatorenschutz zum Menschenschutz.
Und wie kriegt man das hin?
Die Juristen unter Ihnen werden das wissen: vor 15 Jahren hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen die sogenannte Schutzverantwortung, Responsibility to Protect, mit überwältigender Mehrheit angenommen. Aber dieses Prinzip, dass genau in diese Richtung führt, harrt weiterhin auf Umsetzung.
Ich glaube, das wäre ein großartiges Reformziel, dem sich nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern die ganze Europäische Union und ihre Partner verschreiben sollten und könnten, um in die richtige Richtung weltpolitisch zu agieren.
Ich will einen letzten Punkt nennen, um dann von der Diagnose in meinen letzten 10 Minuten oder 15 Minuten zur Therapie zu kommen.
Was wir leider konstatieren müssen, als das Ergebnis der letzten etwa 10 Jahre weltpolitischen Ereignissen, ist ein fast vollkommener Vertrauensverlust zwischen den wichtigeren Mächten. Angefangen zwischen den beiden nuklearen Supermächten USA und Russland, zwischen denen es seit Jahren, beispielsweise auf der Ebene hoher militärischer Führer, nur noch ein absolutes Minimum an Kontakten gegeben hat.
Die Zeiten in denen junge russische Generäle oder Generalstabsoffiziere an der Harvard-University oder in anderen Ausbildungsprogrammen teilnehmen konnten, die sind leider längst vorbei. Das Vertrauen ist auf ein Minimum geschrumpft. Übrigens auch das zwischen der Bundesregierung und der russischen Föderation – aus all den Gründen, die ich hier nicht erläutern muss. Es ist leider so, meine Damen und Herren, dass Vertrauen die Währung der Diplomatie ist. Es ist überdies nicht nur die Währung in der Diplomatie. Das gilt ja auch im Privaten. Wenn Sie kein Vertrauen zwischen zwei Ehepartnern haben, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Ehe kaputtgeht.
In der Diplomatie gilt das tatsächlich als ganz zentraler Grundsatz. Sie werden keinen durchhaltbaren, von den Parlamenten ratifizierbaren, internationalen Vertrag zustande bringen, wenn da nicht ein Mindestmaß an gegenseitigen Vertrauen existiert. Das fehlt seit Jahren und die Diagnose kann sogar noch einen Schritt weitergehen. Das ist mein letzter Punkt, den ich Ihnen vortragen werde, bevor ich zu der Frage komme, was können wir als Europäische Union in dieser Lage jetzt tun.
Wir haben es in den letzten Jahren mit einem fundamentalen Wandel bei der Natur von Konflikten und bei der Anwendung von Gewalt zu tun.
Ich habe gerade schon darüber gesprochen, dass die Konflikte zwischen den Staaten übergegangen sind zu Konflikten innerhalb der Staaten.
Jetzt kommt nochmal ein etwas juristischer Punkt. Als junger Jurist lernen Sie an der Hochschule, dass der Staat für sich in Anspruch nimmt, dass er das Gewaltmonopol hat.
Sie als Bürger dürfen ein Kampfflugzeug nicht haben, sie dürfen auch keinen Panzer haben und sie dürfen eine Jagdwaffe nur haben, wenn Sie einen Jagdschein haben. Nur der Staat darf Gewalt anwenden. Das galt bis vor Kurzem auf der ganzen Welt und wurde auch als Prinzip von allen akzeptiert.
Jetzt ist aber leider der Fall eingetreten, dass die Fähigkeit zur Schadenszufügung inzwischen in den Händen von Privatpersonen in einer Weise gelandet ist, die die Fähigkeit zur Schadenszufügung durch staatliche Institutionen in den Schatten stellt.
Denken Sie mal an Rancelware, denken Sie mal an Hacking im großen Stil, das Stilllegen der amerikanischen Pipelines mit Milliardenkosten – erst vor kurzem passiert.
Wir haben also plötzlich den Verlust des staatlichen Gewaltmonopols der staatlichen Institutionen, wir wissen auch nicht genau – Stand heute -, wie wir mit diesen unbekannten Akteuren sinnvoll umgehen können. Das klassische Prinzip der Abschreckung wirkt ja nur, wenn man den Gegner auch irgendwie identifizieren kann.
All diese Vorgänge führen dazu, dass wir nicht nur einen Verlust an Glaubwürdigkeit und an Vertrauen haben, sondern, dass die Bürger, insbesondere in unseren Staaten, im Westen auch im Begriff sind, ihr Vertrauen in die Konfliktlösungskompetenz ihrer staatlichen Institutionen zu verlieren.
Alles, was ich jetzt vorgetragen haben sind nicht besondere „good News“.
Ich bitte um Nachsicht, wenn das alles hier jetzt etwas bedrohlich klingt.
Aber das führt mich zu der Frage, was kann Deutschland tun?
Was sollte oder was müsste Europa tun, um in dieser Lage die eigenen Interessen an Selbstbestimmung, an Aufrechterhaltung unseres Wohlstandes, Verhinderung europäischer Erpressbarkeit, u.s.w., durchzusetzen.
Das Erste, was ich Ihnen sagen möchte, ist, dass es kein Land gibt, nicht nur kein Land in der Europäischen Union, sondern fast kein Land weltweit, das so sehr in seinem Wohlstand, in dem Erreichten, in seiner Stabilität abhängig ist, von dem bisherigen Funktionieren der weltpolitischen Gegebenheiten, angefangen von der Freiheit der Meere bis zur Abwesenheit von militärischen Bedrohungen, und zur ungehinderten Fähigkeit der deutschen Wirtschaft, ihre Produkte weltweit exportieren zu können.
Wir sind die größten und wichtigsten Stakeholder eines stabilen und liberalen, auf westliche Werte gegründeten, globalen Systems. Ich fürchte, dass das den Wählern, die im September in Deutschland zur Wahl gehen werden, bis heute nicht hinreichend klar ist.
Für uns steht ungeheuer viel auf dem Spiel. Unsere Prosperität ist weit mehr gefährdet, falls es wegen Taiwan zu einem Konflikt im südchinesischen Meer kommen sollte, als die Prosperität Portugals.
Denn es wird so sein, dass in Ingolstadt und in Wolfsburg die Lichter vergleichsweise schnell ausgehen, wenn plötzlich die Autoexporte nach Fernost aus welchen Gründen auch immer nicht mehr funktionieren.
Deswegen, meine Damen und Herren, kann unser Rezept nur das Rezept sein, was ein kluger belgischer Außenminister und späterer EU-Kommissar vor über 30 Jahren einmal gesagt hat. Der hieß Paul Henri Spaak und ich will ihn aus dem Gedächtnis zitieren: In der Europäischen Union gibt es zwei Sorten von Staaten. Es gibt kleine Staaten und es gibt ein paar Staaten, die noch nicht begriffen haben, dass Sie klein sind.
Das ist weltpolitisch betrachten, eine sehr weise Einsicht. Ich muss manchmal ein wenig grinsen, wenn ich diesen Satz auf den Lippen habe und dann an unsere Freunde in England denke, die ganz offensichtlich der Meinung sind, dass sie alleine mit Staaten wie China oder Indien oder Brasilien oder den USA besser umgehen können, als im Zusammenschluss der Europäischen Union.
Also wir jedenfalls hängen mehr als alle anderen ab vom Funktionieren des weltpolitischen Systems und vom Funktionieren der Europäischen Union.
Was für eine Europäische Union aber wollen wir?
Meine Damen und Herren, wir haben aus Gründen, die nicht Deutschland zu vertreten hat, in der ganzen Regierungszeit von Frau Merkel, wenn Sie das Regierungsschiff einmal als Schiff betrachten wollen, dann waren wir die ganze Zeit zwischen 2005 und 2021 damit beschäftigt, kleine Lecks oder auch größere Lecks oder Lecks, die durch Torpedos verursacht wurden, zu kitten, zu schließen, das Schiff vor dem Sinken zu bewahren.
Wir haben diese ganzen letzten 15 Jahre, die ganze Ära Merkel, nicht damit verbringen können, das europäische Schiff flottzumachen, um den Punkt zu erreichen, den Jean Claude Juncker, der frühere Präsident der Europäischen Union, mit dem Begriff formuliert hat, die Europäische Union welt-politikfähig zu machen. Wir haben im Grunde nur Reparaturarbeiten unternehmen können und müssen, um das Schiff vor dem Sinken oder vor den Wassereinbrüchen zu bewahren.
Jetzt – interessanterweise wegen der Pandemie – im Jahre 2021 kommt plötzlich dieser großartige Wiederaufbaufond mit vielen 100 Milliarden Mitteln, von denen wir nur hoffen können, dass sie tatsächlich nicht in der Landwirtschaft landen oder zu sonstigen sinnlosen Zwecken eingesetzt werden, sondern dass sie tatsächlich zur Modernisierung der Europäischen Union beitragen.
Was für eine Europäische Union brauchen wir, damit wir eine handlungsfähigere Europäische Union haben?
Jetzt sind wir hier im Fliegerhorst Wunstorf bei der Bundeswehr, deswegen würde ich zum Ende meiner Ausführungen sicher einen Fehler machen, wenn ich nicht ein einziges Wort sagen würde zu diesem Begriff der ständig durch die politischen Parteiprogramme geistert, nämlich der europäischen Armee. Das Wunschbild der europäischen Armee!
Meine Damen und Herren, ich finde, die Zielvorstellung einer europäischen Armee eine wunderbare Zielvorstellung. Aber lassen Sie uns doch bitte einmal ein kleines bisschen Bodenhaftung bewahren. Im Augenblick geht es bei der Außenpolitik der Europäischen Union ja nicht um den Einsatz einer Armee, die wir ja in der Tat noch nicht haben, sondern es geht darum, überhaupt die Fähigkeit herzustellen, zu 27 mit einer Stimme zu sprechen.
Das gelingt uns in sehr vielen Fällen, selbst in zweitrangigen Fragen, leider nicht. Und warum gelingt es uns nicht? Weil die Außenpolitik der Europäischen Union nach dem Einstimmigkeitsprinzip funktioniert. Bei jeder drittklassigen Fragen, kann jeder unter den 27 sein Veto einlegen, ohne dass das irgendeinen politischen Preis kostet.
Meistens macht man das natürlich aus innenpolitischen Gründen, damit man zu Hause sagen kann, ich bin ein ganz toller Hecht, ich habe da eine Entscheidung verhindert, die für uns nicht vorteilhaft gewesen wäre.
Ich freue mich darüber, dass eine zunehmende Zahl von Stimmen in der Bundesregierung inzwischen das Ziel unterstützt, auch in der Außenpolitik der Europäischen Union zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen. Also das Veto eines einzelnen Mitgliedsstaates nicht mehr zu akzeptieren. Ich frage mich aber nachdem Frau Merkel, nachdem Herr Maas, nachdem Herr Weber im Europäischen Parlament, nachdem Frau von der Leyen und viele andere, dieses Ziel der Einführung von Mehrheitsentscheidungen inzwischen unterstützt haben, wann wird denn mal ein konkreter erster Vorschlag unternommen wird, um zu zeigen, dass wir es ernst meinen. Dass wir nicht nur rhetorische Formeln von uns geben, sondern dass wir tatsächlich die Europäische Union nach vorne treiben wollen.
Wenn mein Anfangssatz richtig ist, dass wir uns in einem Zeitalter rasanter fundamentaler Veränderungen befinden, machtpolitische Veränderungen, fundamentale weltpolitische Veränderungen, dann kann es nicht richtig sein, wenn wir glauben, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir die Europäische Union einfach weiter verwalten. Emmanuel Macron hat vor drei Jahren große Entwürfe vorgelegt. Über die kann man streiten. Aber was auch meiner Sicht vollkommen unzulässig war, war das dröhnende Schweigen, was auf diese Vorschläge aus Paris aus Berlin kam. Es kam nur Schweigen. Es kamen keine Gegenvorschläge. Man sagte gar nichts. Das reicht nicht.
Jetzt will ich noch einen Punkt hinzufügen: Wenn wir wünschen, dass die Europäische Union weltpolitikfähig wird, dass sie, wie Josep Borrell sozusagen der Außenminister der Europäischen Union kürzlich formuliert hat, die Sprache der Macht lernt, dann wird die Europäische Union dieses Ziel nicht erreichen können, wenn ihr wichtigstes und stärkstes, zumindest ökonomisch stärkstes Mitglied nicht auch die Sprache der Macht lernt, nicht auch weltpolitikfähig wird.
Wenn ich hier fröhlich sage, die Europäische Union sollte mit einer Stimme sprechen, dann müssen wir natürlich zunächst einmal hier zu Hause in Berlin unsere Hausaufgaben machen und dafür sorgen, dass die Bundesregierung mit einer Stimme spricht. Ich kann Ihnen sagen, ich habe ja nur noch wenig Haare, aber die sind alle ziemlich grau geworden! Sie sind vor allem deswegen grau geworden, weil ich es über die Jahre und Jahrzehnte zu oft erlebt habe, dass das deutsche Außenministerium in Brüssel dieses, und das Verteidigungsministerium jenes und der Entwicklungshilfeminister und der Wirtschaftsminister noch etwas anderes vorgetragen haben.
Bei mir zu Hause nannte man das immer, das System „Sauhaufen“. Das kann es nicht sein. Das schadet unserer Glaubwürdigkeit.
Die Hausaufgabe lautet: eine systematische, geordnete Vorbereitung und Exekution außen- und sicherheitspolitischer Entscheidungen. Deswegen freue mich, dass einige der künftigen Verantwortlichen aus Deutschland, oder zumindest die, von denen man annehmen könnten, dass sie möglicherweise Verantwortung haben werden, z.B. Armin Laschet aber auch Frau Baerbock von den Grünen, sich anfreunden können, mit dem Gedanken einer Reform des Bundessicherheitsrates. Also ein systematischeres Aufarbeiten außen- und sicherheitspolitischer Entscheidungsprozesse, damit wir nicht mehr unsere Nachbarn und Partner mit drei oder vier verschiedenen Stimmen aus Deutschland mehr verwirren, als führen.
Worauf kommt es an? Es kommt auf die drei Ts an. T wie Theodor. Die gibt es nur auf Englisch, sonst passen die drei Ts nicht: truth (Wahrheit), trust (Vertrauen) und transparency (Transparenz).
Das müssen die Grundsätze sein, nach denen eine Europäische Union weltpolitisch agiert. Sie muss Vertrauen schaffen können, sie muss mit einer Stimme sprechen können und sie muss transparent agieren können.
Das Verabreichen von homöopathischen Kügelchen, mag bei einem leichten Grippeanfall im Einzelfall zu Heilungszielen führen. Ich glaube, dass das Verabreichen von homöopathischen Kügelchen, in diesem Fall rhetorischen Kügelchen, in der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage Europas, weder uns als Bundesrepublik Deutschland noch der Europäischen Union nützt.
Ich bin deswegen dezidiert der Meinung, wir brauchen – und wir werden hoffentlich jetzt in dem beginnenden Wahlkampf in Deutschland – eine größere Hinwendung zu außen- und sicherheitspolitischen Themen haben.
Außenpolitik ist Daseinsvorsorge. Das ist nicht Luxus von so ein paar Thinktank-Fritzen und dem auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages.
Das ist Daseinsvorsorge. Ohne die Absicherung durch eine angemessene militärische Fähigkeit bleibt Außenpolitik häufig in Rhetorik stecken. Deswegen ist das Zusammenwirken von diplomatischen und militärischen Fähigkeiten auf der nationalen Ebene so wichtig, damit wir uns mit einer Stimme einbringen können.
In eine dann hoffentlich mit einer Stimme sprechenden Europäischen Union.
Es kann nicht sein, dass die deutsche Politik sich weiter darin gefällt, zu sagen, das berühmte zwei-Prozent-Ziel der Nato ist im Grunde irrelevant, was ist das für ein komische Kriterium…
Entschuldigung?!? Wir haben das selber mit beschlossen! Es war kein geringerer als der gegenwärtige Bundespräsident, der das als Außenminister vorbereitet hat, in Wales 2014 und es war niemand anderes als die gegenwärtige Bundeskanzlerin, die das Gipfeldokument in Wales mitunterschrieben hat.
Was ist denn mit deutscher Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit? Ich dachte immer, das sind Primärtugenden der Bundesrepublik Deutschland.
Ich staune darüber, dass unsere Politiker quasi ungestraft so tun können, als müsse sie das nicht mehr interessieren, was sie vor gerade mal sechs Jahren selber mitbeschlossen haben.
So wird es nichts mit trust, truth and tranparency.
Und noch einmal, zum Abschluss, meine Damen und Herren, wenn wir Europa wollen, dann wird es nur gehen, wenn Deutschland mit führt. Ich mag diese Sprüche nicht über deutsche Verantwortung. Es geht gar nicht so sehr um deutsche Verantwortung. Natürlich tragen wir eine Mitverantwortung. Aber es geht um die Wahrung und Sicherung unserer Interessen als 450 Millionen Mitglieder der Europäischen Union.
In einer Welt, die zunehmend gekennzeichnet wird – und ich habe ja versucht ein paar Hinweise darauf zu geben – von ziemlich bitteren Großmachtkonflikten, ungelösten Strukturen internationaler Zusammenarbeit. Und das wird nach meinem Urteil in den nächsten Jahren keineswegs leichter werden, sondern eher problematischer. D. h., Paul Henri Spaak hatte Recht, wenn er sagt, es gibt nur zwei Kategorien, kleine Staaten und solche, die noch nicht kapiert haben, dass sie klein sind. Und wenn wir alle kapiert haben, dass wir klein sind und nur bestehen können, gegenüber China und Indien und anderen Großmächten und auch Russland.
Wenn wir mit einer Stimme die Durchsetzung unserer Interessen beschließen, dann wird das nur gehen, wenn Deutschland mit gutem Beispiel voran geht.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!