Vortrag
I. E. Botschafterin Anne-Marie Descôtes
„Die deutsch-französische Zusammenarbeit im Lichte der aktuellen Herausforderungen für Europa“
verlesen von Generalkonsulin Dr. Ilde Gorguet
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, lieber Herr Stich,
sehr geehrter Herr Dr. Bremer,
sehr geehrte Damen und Herren,
ursprünglich war die französische Botschafterin, Frau Anne-Marie DESCOTES, als Festrednerin für den heutigen Abend angekündigt. Leider ist sie zu Beginn der Woche unglücklich gestürzt und befindet sich aufgrund eines gebrochenen Handgelenks noch in ärztlicher Behandlung. Sie bedauert sehr, dass sie deswegen nicht nach Koblenz reisen kann und lässt Ihnen ausrichten, dass es ihr eine Freude gewesen wäre, sich mit Ihnen gemeinsam über Deutschland und Frankreich auszutauschen. Frau Botschafterin hat mich gebeten, ihre Rede an ihrer Stelle zu verlesen.
Zunächst möchte ich meinen Vorrednern für ihre freundlichen Worte und dem Bremer Tabak-Collegium insgesamt für die Einladung zur heutigen Zusammenkunft danken. Ihre Vereinigung steht für Austausch und Offenheit. Die Tatsache, dass sich Ihre Versammlungen nicht nur auf Bremen beschränken, sondern an wechselnden Orten stattfinden, zeugt umso mehr von Ihrer Weltoffenheit. Mit dieser Einstellung bewähren Sie sich als Botschafter der Hansestadt Bremen, die sich selber durch ihre zahlreichen Verbindungen in alle Welt auszeichnet. Auch zu Frankreich gibt es viele Verbindungen, etwa durch den Airbus-Standort, Zulieferer der Luft- und Raumfahrt und zahlreiche Austausche zwischen Schulen und der Zivilgesellschaft. Ich habe Bremen bereits dreimal besucht und dort Vertreter aus Politik, Wirtschaft und dem Hochschulbereich getroffen.
Da wir uns heute aber in Koblenz befinden, möchte ich auch der Stadt Koblenz für ihre Offenheit und Gastfreundschaft danken. Sicher hat das Bremer Tabak-Collegium diesen Ort nicht ohne Hintergedanken ausgewählt, an dem Frankreich aufgrund der geografischen Nähe zu den engeren Nachbarn zählt. Koblenz ist übrigens seit 1963 – dem Jahr der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags – freundschaftlich mit der französischen Stadt Nevers im Burgund verbunden.
Die Beziehungen zwischen Koblenz und Frankreich haben ihren Ursprung jedoch in der entfernteren Geschichte. Koblenz – lateinisch Confluentes – ist die Stadt am „Deutschen Eck“, wo Rhein und Mosel zusammenfließen. Im Übrigen weiß ich als gebürtige Lyonerin nur zu gut, was es bedeutet, wenn eine Stadt an einem strategischen Punkt gelegen ist: in meiner Heimatstadt fließen schließlich die Saône und die Rhône zusammen und verleihen der Stadt ihren ganz spezifischen Charakter. Nicht nur das Wasser, das durch Ihre Stadt fließt, legt also die Assoziation mit Frankreich nahe. Auch die Jahre nach der Französischen Revolution haben Koblenz geprägt: zuerst Hauptstadt des historischen Département de Rhin-et-Moselle, dann im Geltungsbereich des französischen Code Napoléon und schließlich wieder preußisches Gebiet nach dem Rückzug der napoleonischen Verwaltung – die Geschichte von Koblenz ist reich an Umbrüchen.
Sehr gern wäre ich auch aus einem anderen Grund nach Koblenz zurückgekehrt. Nur zu gut kann ich mich noch an den Tag meines vorherigen Besuchs hier an Rhein und Mosel erinnern. Es war am 4. Mai 1988, als ich in meiner damaligen Funktion als Kulturattachée an der französischen Botschaft aus Bonn anreiste, um eine Rede des damaligen Staatspräsidenten, Valéry GISCARD D’ESTAING, zu verfolgen. Dieser war, wie Sie wissen, selber gebürtiger Koblenzer. Während der Debatte, die zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen stattfand, erreichte uns die bewegende Nachricht von der Befreiung der französischen Geiseln im Libanon. Die Botschaft von der Freilassung der Diplomaten und Journalisten nach drei Jahren der Geiselhaft ist bis zum heutigen Tage mit meiner Erinnerung an Koblenz verknüpft.
Meine Damen und Herren, ich bin nun seit mehr als vier Jahren Botschafterin Frankreichs in Deutschland. Wie ich bereits angedeutet habe, ist dies jedoch nicht meine erste Station in diesem Land. Seit meiner Jugend hatte ich mehrmals die Chance, Deutschland kennenzulernen und mich mit den Menschen auszutauschen. Ab meinem zwölften Lebensjahr kam ich regelmäßig zum Austausch in den Taunus in der Region um Frankfurt am Main. In den 80er-Jahren führten mich zwei Studienaufenthalte nach Hamburg und Berlin. Von 1987 bis 1990 war ich schließlich als Diplomatin an der französischen Botschaft in Bonn eingesetzt. So war es mir vergönnt, Berlin zur Zeit des Mauerfalls zu besuchen. Seitdem bin ich immer wieder neugierig auf die vielen Veränderungen, welche die deutsche Gesellschaft, die Wirtschaft und die Politik durchlaufen. Trotz aller Veränderungen, die es immer gab und geben wird, ist mir klargeworden, dass es bestimmte Konstanten in den Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland gibt. Nicht umsonst reden wir häufig vom deutsch-französischen Tandem, das sich im europäischen und weltweiten Kontext situiert und weit davon entfernt ist, nur ein Selbstzweck zu sein.
Ich bin mir ganz sicher: wie auch immer das Ergebnis der Bundestagswahl an diesem Wochenende aussehen wird, die deutsch-französischen Beziehungen stehen auf einem festen Fundament. Denn die Beziehungen unserer beiden Länder werden von vielen verschiedenen Akteuren gelebt, die unabhängig von politischen Vorgaben sind. Dennoch will ich Ihnen nicht verheimlichen, dass wir mit Wohlwollen bemerkt haben, dass die Spitzenkandidaten der drei großen Parteien sich im Wahlkampf als überzeugte Europäer positioniert haben. Ich bin überzeugt davon, dass jeder und jede von ihnen weiß, wie wichtig die deutsch-französischen Beziehungen als Motor für Europa sind.
Die Verteilung des deutsch-französischen Engagements auf viele Schultern macht die Stärke dieser bilateralen Zusammenarbeit in allen denkbaren Bereichen aus: sei es auf Ebene der Unternehmen, in der Vereinsarbeit, in der Forschungs- oder Stiftungsarbeit. Welche Koalition jedoch gebildet wird, kann heute noch niemand vorhersagen. Und auch die Kontaktaufnahme mit den Abgeordneten in einem Bundestag mit einer historischen Zahl an Sitzen könnte zur Herausforderung werden. Wir Franzosen wünschen uns sehr, dass die Arbeitsbeziehungen mit den neuen Parlamentariern, mit der neuen Bundesregierung sowie mit den neu besetzten Ministerien so schnell wie möglich aufgenommen werden können. Denn Frankreich steht schon in den Startlöchern für die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022. Nur wenige Monate später folgen die französische Präsidentschafts- und die Parlamentswahl. Es gilt also keine Zeit zu verlieren und die wichtigen Projekte so schnell wie möglich anzupacken.
Lassen Sie mich zunächst einen Schritt zurückgehen, um auf die Grundlagen des deutsch-französischen Tandems zu blicken. War noch der Elysée-Vertrag in der Nachkriegszeit maßgeblich für die Aussöhnung und Freundschaft unserer beiden Länder, genügte dieses Instrument in unserer globalisierten Welt nicht mehr. Um die Herausforderungen zu meistern, die wir alleine unmöglich bewältigen können, haben Kanzlerin Angela MERKEL und Präsident Emmanuel MACRON am 22. Januar 2019 den Aachener Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration unterzeichnet. Derzeit arbeiten wir trotz der Pandemie daran, die dort vereinbarten ehrgeizigen Projekte umzusetzen: das deutsch-französische Forschungs- und Innovationsnetzwerk für künstliche Intelligenz, die Zusammenarbeit im Raumfahrtsektor, der Wunsch nach gemeinsamen Fortschritten bei Spitzentechnologien wie zum Beispiel Wasserstoff, gemeinsame Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels. In diesem Zusammenhang sollen endlich wieder mehr Reisende die Möglichkeit haben, Zugverbindungen zwischen Frankreich und Deutschland zu nutzen. Daher sollen die Nachtzugverbindungen Paris-Berlin im Rahmen des Projektes Transeurop-Express wieder ausgebaut werden.
Diese Themenkomplexe halten wir für unbedingt notwendig, denn unser gemeinsames Europa steht derzeit vor einer Großzahl an Herausforderungen. Im Folgenden werde ich genauer auf die einzelnen Themen eingehen.
Erstens geht es um die Themen Klimawandel, Digitalisierung und ganz besonders auch um die Bewältigung der Pandemie. Die Erforschung von Impfstoffen, deren Produktion und Verteilung an hilfsbedürftige Länder, z.B. in Afrika, zählt ebenfalls dazu.
Zweitens sind unsere bilateralen Wirtschaftsbeziehungen von großer Bedeutung. In diesem Zusammenhang werde ich zudem einen Ausblick auf die Kultur geben und damit verbundene Themen wie Ausbildung und Kreativwirtschaft streifen.
Drittens geht es uns um die strategische Ausrichtung. Die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU ist eine gemeinsame Pflicht, die sich aus den Verträgen ergibt. Nicht nur die Angriffe auf den Rechtsstaat und die Pressefreiheit in Europa und den Anrainerstaaten sind alarmierend. Auch die Afghanistan-Krise hat gezeigt, dass wir handlungsfähiger werden müssen, ergänzend und nicht zulasten der NATO. Auch die Beziehungen zu unseren engsten Verbündeten, den USA und Großbritannien nach dem Brexit müssen wir neu bewerten. Hier sollten die Europäer alle Schlussfolgerungen aus dem neuen trilateralen AUKUS-Pakt im Indopazifik ziehen. Was bedeutet es für die Verlässlichkeit und die Berechenbarkeit der Allianz? Ist es nicht als Alarmsignal für die Notwendigkeit eines souveräneren Europas zu betrachten?
In vielen Punkten konnten wir bereits Fortschritte erzielen. Andere Projekte sind noch in Arbeit, und auch ein Blick auf die zukünftige Agenda sowie Perspektiven lohnt sich. Lassen Sie mich im Folgenden auf die eben erwähnten Bereiche eingehen.
I. Bewältigung der Pandemie bedeutet in die Zukunft zu investieren
Ich möchte kurz an den Kontext der deutsch-französischen Beziehungen erinnern, als die Pandemie heranrollte. Längere Zeit hat Deutschland sich ungeduldig gezeigt bezüglich der Reformen in Frankreich, die aus deutscher Sicht zu langsam vorangingen. Frankreich hat seit 2013 wichtige Reformen auf den Weg gebracht, die ab 2017 beschleunigt wurden. Diese Reformen haben Früchte getragen, denn Frankreich war 2019 das attraktivste europäische Land für neue Industrieprojekte und für neue Projekte im Bereich Forschung und Entwicklung.
Dies ist auf die strukturellen Reformen zurückzuführen, die Frankreich seit dem Jahr 2017 umgesetzt hat. Diese bedeuten ein flexibleres Arbeitsrecht, die Reform der beruflichen Aus- und Weiterbildung und die Reform der Besteuerung für Unternehmen, die bis 2022 auf 25 % gesenkt werden soll. Außerdem dient das Mittelstand-Gesetz [das sogenannte PACTE-Gesetz: plan d’action pour la croissance et la transformation des entreprises] dem Bürokratieabbau.
Die Pandemie ist ein schwerer Schlag für unsere Wirtschaft gewesen, aber der Nutzen der Reformen bleibt bestehen und die Regierung wird diese sobald als möglich fortsetzen.
Derzeit arbeiten wir an der Überwindung der Pandemie und investieren gemeinsam in die Technologien der Zukunft. Die gemeinsamen Investitionen zur Finanzierung des Plans „Next Generation EU“, der maßgeblich auf den deutsch-französischen Vorschlägen im Frühling 2020 beruht, sind ausschließlich auf die Zukunft gerichtet: Darauf, dass unsere Wirtschaft innovativer, grüner und krisenresistenter wird. Dafür findet eine Koordination der nationalen Wiederherstellungspläne statt. Der französische „Plan de relance“ sieht Investitionen in Höhe von 100 Mrd. € über einen Zeitraum von zwei Jahren vor. Davon sind 40 Mrd. € von der EU finanziert.
Der französische Präsident und die Bundeskanzlerin haben beschlossen, sich in den wesentlichen Bereichen der Digitalisierung, der Raumfahrt, der neuen Technologien und der Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften – zum Beispiel dank CO2-freier Energieerzeuger wie Wasserstoff – abzustimmen. Trotz der Krise haben Frankreich und Deutschland ein nie dagewesenes Maß an politischer Konvergenz erreicht.
Zeitgleich kommen die deutsch-französischen Initiativen für eine europäische Industriepolitik voran. Im Januar genehmigte die EU-Kommission die öffentliche Förderung von 2,9 Mrd. € für ein zweites Forschungs- und Innovationsvorhaben für die gesamte Batterie-Wertschöpfungskette. Neben Frankreich und Deutschland sind zehn weitere EU-Staaten an diesem Projekt beteiligt. Im Dezember 2020 hat sich die EU-Kommission dazu verpflichtet, Europas Kapazitäten im Bereich der Halbleiterproduktion auszuweiten, um auch hier kritische technologische Abhängigkeiten zu reduzieren. Die Ankündigung des European Chips Act erwarten wir in diesem Zusammenhang mit Spannung.
II. Die Grundlage dieser gemeinsamen Projekte: enge Wirtschaftsbeziehungen, die das Potential haben, weiter zuzunehmen
All diese ambitionierten Projekte sind nur möglich, weil die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen eine besonders solide Grundlage haben. Die Beziehungen sind äußerst breit gefächert und während der vergangenen Jahrzehnte immer weiter gewachsen. Zudem ist Frankreich heute der drittwichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands und Deutschland der wichtigste Partner Frankreichs.
Unsere Unternehmen wissen diese langfristig zuverlässige Partnerschaft zu schätzen. Seit 2019 ist Deutschland nach den USA der wichtigste Investor in Frankreich. Trotz der Pandemie haben sich 200 deutsche Unternehmen letztes Jahr entschieden, in Frankreich zu investieren. Dadurch wurden etwa 4000 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. Diese Synergien zwischen der deutschen und der französischen Wirtschaft werden voraussichtlich zunehmen, denn Frankreich bietet gute Investitionsbedingungen: eine dynamische Demographie, attraktive Forschungs- und Entwicklungspolitik, sowie hochqualifizierte Fachkräfte.
Das Stichwort der Aus- und Weiterbildung nehme ich zum Anlass, um auf einen wichtigen Aspekt der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu sprechen zu kommen, den wir nicht vernachlässigen dürfen: Das Erlernen der Sprache des Nachbarn spielt eine herausragende Rolle. Hier sieht Frankreich ein enormes Potential, denn neben den zahllosen deutsch-französischen Projekten, Initiativen und Vereinen erscheint der recht langsam voranschreitende Spracherwerb beinahe in einem Missverhältnis zu stehen. Dabei zählt die Sprache als Vehikel zur Verständigung zu den Kernpunkten, die zwischen General DE GAULLE und Bundeskanzler ADENAUER 1963 vereinbart worden ware. Zum einen beobachten wir in Deutschland seit Jahren einen Rückgang der Schülerzahlen im Französischunterricht. Zum anderen nimmt das Englische beim Spracherwerb junger Menschen immer mehr Raum ein. Daher scheint es mir umso wichtiger zu betonen, dass gerade die Pluralität unseren kulturellen Reichtum in Europa ausmacht. Dieser Reichtum ist mit unserer Geschichte verknüpft. Das Projekt Europa ist ja der Beweis dafür, dass es uns gemeinsam gelingen kann, nach Jahrhunderten der Konflikte in Harmonie zusammenzuleben, gemeinsame Projekte kreativ zu meistern und dennoch die Diversität der anderen zu respektieren. Frankreich und Deutschland sind hierfür ein Paradebeispiel und sollten nicht müde werden, dies auch zeigen.
Andere gelungene Beispiele sind deutsch-französische Gymnasien, AbiBac-Klassen, Doppeldiplom-Studiengänge an den Universitäten und Austauschprogramme für Auszubildende. Sehr gern würden wir noch einen Schritt weiter gehen, um noch mehr Schulpartnerschaften zu schaffen und Lehrkräften einen Austausch analog zum Erasmus-Programm zu ermöglichen. Nur wenn es uns gelingt, die Neugier der Menschen auf andere Länder zu wecken, können diese zu Multiplikatoren werden und die kommende Generation mit ihrer Begeisterung mitreißen.
Einen wichtigen Faktor für den gelungenen Austausch stellt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit ihren vielen Facetten dar. Hierbei geht es um konkrete Lösungen für die Bürgerinnen und Bürger, an denen Gemeinden, Landkreise und Regionen arbeiten.
Zum Abschluss dieser Ausführungen noch ein Wort zur Kultur- und Kreativwirtschaft, die nicht nur in Deutschland einen wichtigen Wirtschaftssektor darstellt. Wir dürfen Kultur und Wirtschaft nicht mehr getrennt voneinander betrachten, denn damit werden wir zum einen weder den verschiedenen kreativen Akteuren nicht gerecht. Zum anderen würden wir auf sträfliche Weise ausblenden, dass der Austausch kreativer Köpfe nicht nur national, sondern immer mehr auf internationaler und eben auch auf deutsch-französischer Ebene erfolgt. Es ist uns ein Anliegen, die europäischen Museen nicht nur auf der Ebene der Direktoren miteinander zu vernetzen, sondern dies auch auf der Ebene der Museumskonservatoren zu ermöglichen. Die Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin durch Bundespräsident Frank-Walter STEINMEIER offenbart einen Blick auf ein Kulturprojekt von ungekanntem Ausmaß. Im Hinblick auf die Provenienzforschung stellt dies die Forscher jedoch vor eine Herausforderung. Wir messen diesem Thema große Bedeutung bei. Nicht arbeiten wir daran, dass die Debatte um gleiche Bildungschancen auch die Zugangsmöglichkeiten junger Menschen zu den Museen berücksichtigen sollte.
Sie sehen, meine Damen und Herren, die EU ist nicht nur ein Binnenmarkt. Sie ist ein bedeutender wirtschaftlicher und politischer und kultureller Akteur. Sie verteidigt das multilaterale System und seine Werte in allen Bereichen. Um diese Qualitäten zu bewahren, muss sie ihre Interessen in allen Bereichen besser definieren und verteidigen.
III. Ein strategischer Kompass für Europa
Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sind wir auf europäischer Ebene entschieden vorangekommen. Diese Dynamik müssen wir fortsetzen, weshalb wir daran arbeiten, eine Kontinuität zwischen der deutschen und der französischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 herzustellen. Solidarität und Souveränität sind die beiden Grundpfeiler der EU. Gerade beim Thema des souveränen Handelns müssen wir uns eingestehen, dass wir als Europäer deutlich mehr machen müssen, um bei unseren Entscheidungen und Projekten nicht von Dritten abhängig zu sein. Das hat zuletzt die Afghanistan-Krise deutlich gezeigt. Deshalb wurde bereits unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 die Arbeit an einem strategischen Kompass der EU aufgenommen, der unter der französischen fertiggestellt werden soll. Bei diesem handelt es sich um die konkrete Ausarbeitung der strategischen außenpolitischen Ausrichtung, mit dem Ziel, einerseits die Herausforderungen und Bedrohungen zu ermitteln, mit denen die EU konfrontiert ist, andererseits Wege zu deren Bewältigung zu erarbeiten, im Sinne einer multilateralen Weltordnung.
Dazu gehört die Bewältigung der Bedrohungen in unserer Nachbarschaft. Unser gemeinsames und komplementäres Engagement in Sahel – das Engagement Frankreichs und Deutschlands – ist in dieser Hinsicht nach wie vor wesentlich. Es ist auch bemerkenswert, dass die anderen Europäer sich zunehmend zur Bekämpfung des Terrorismus in der Sahelzone mobilisieren. Beispiele hierfür sind Estland, Polen und Dänemark.
Die Bewältigung dieser Herausforderungen und Bedrohungen schließt natürlich ein, dass wir im Bereich Rüstung und Verteidigung über ausreichende eigene Mittel verfügen und uns auch hier unabhängiger machen müssen. Bei unseren gemeinsamen Rüstungsprojekten FCAS [Future Combat Air System – Kampfflugzeug] und MGCS [Main Ground Combat System – Panzer] konnten wir bedeutende Fortschritte erzielen. Wir haben den gemeinsamen Willen, diese noch weiter voranzubringen, um unsere gemeinsame europäische Souveränität zu stärken. Hier ist natürlich keine Souveränität im völkerrechtlichen Sinne gemeint – es geht allein um den Handlungsspielraum, die Möglichkeit zu handeln, die sich die EU verschaffen muss.
Dennoch sollten wir uns keine falschen Vorstellungen machen: Die EU kann nicht komplett unabhängig sein und alleine für ihre Sicherheit einstehen. Aber sie muss daran arbeiten, an Autonomie zu gewinnen, da die USA, auf die wir angewiesen sind, uns nicht bei allen Konflikten zur Seite stehen werden. Dieser Zustand stellte übrigens kein Spezifikum der Regierung von Präsident TRUMP dar. Er existierte bereits unter Präsident OBAMA, und Präsident BIDEN führt an diese Politik weiter. Europa muss für sich selbst Entscheidungen treffen können. Es muss seine eigenen Interessen verteidigen und darf sich nicht instrumentalisieren lassen.
Die USA haben nun einen neuen Präsidenten – und wir haben den neuen Ton und die neuen Ansätze der US-Regierung wohlwollend zur Kenntnis genommen, zum Beispiel im Bereich Klima. Aber es bleiben weiterhin Herausforderungen in den transatlantischen Beziehungen bestehen, gerade beim Thema der Besteuerung von Digitalkonzernen oder den Sanktionen gegen europäische Unternehmen. Vor allem mit dem neuen AUKUS-Pakt haben wir Anlass zu der Frage, ob der Ansatz und die Methoden der US-Administration sich wirklich geändert haben – aber darauf werde ich später zurückkommen.
In Bezug auf China muss die EU zwei Fallstricke vermeiden: sich der US-amerikanischen China-Politik anzuschließen oder im Gegenteil für eine Äquidistanz Europas gegenüber beiden einzutreten. Wir sind natürlich viel näher an den Vereinigten Staaten, aber wir müssen einen eigenständigen Ansatz entwickeln, der auf folgenden Kriterien gründet:
– wir wollen unsere Partnerschaften mit China, gerade in den Bereichen Handel und Klima, fortführen, vertiefen und neugewichten. Vor allem im Bereich des Handels muss dies aber stärker auf Gegenseitigkeit beruhen. Wichtig ist, dass die WTO-Regeln gelten.
– Der Respekt vor den Menschenrechten. Das Thema Zwangsarbeit und deren Überwachung ist ein Schlüsselelement in den Verhandlungen zum Investitionsabkommen CAI.
– Die Verteidigung unserer Sicherheitsinteressen, wozu auch die Wahrung des Zugangs zu umstrittenen Seegebieten gehört. Die Entsendung der Fregatte „Bayern“ in den Indopazifik ist in dieser Hinsicht eine sehr positive Entwicklung.
All diese Themen werden eng zwischen Frankreich und Deutschland abgestimmt und sollen noch in diesem Jahr zur Entwicklung einer europäischen Strategie für den Indopazifik beitragen. Frankreich ist seit langem eine maritime Macht und mit den USA sind wir das einzige Land, das auf den drei Ozeanen präsent ist. Frankreich hat hier eine besondere Erfahrung, aber auch eine besondere Verantwortung.
Die EU hat gerade erst ihren Entwurf für diese Region vorgestellt. Der Indopazifik wird zudem eine große Bedeutung während der französischen EU-Ratspräsidentschaft haben. Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass hierzu noch etwas anmerken: Es ist eben dieser strategische Beschluss auf europäischer Ebene, der zu so großen Irritationen auf französischer Seite in Bezug auf den AUKUS-Pakt und das Verhalten der USA hervorgerufen hat. Hierbei handelt es sich eben nicht nur um ein bilaterales Aufrüstungsabkommen, das von australischer Seite gebrochen wurde. Dieser Vorfall besitzt eine viel größere Tragweite, denn er gefährdet unmittelbar die Beziehung zwischen zwei Bündnispartnern im Rahmen der NATO; er bedeutet einen Vertrauensbruch, der die gesamte EU wachrütteln sollte. Ich erinnere daran, dass die Entscheidung ausgerechnet an dem Tag publiziert wurde, als die Europäische Kommission ihre Indopazifik-Strategie vorstellte. Nein, nicht nur Frankreich, sondern auch die Niederlande und Deutschland, ja die viele weitere EU-Staaten sind aktiv oder hegen Interessen in der Indopazifik-Region. Die Konfrontation, die wir erfahren haben, taugt dazu, für die USA, Australien und Großbritannien, die Spannungen mit China zu eskalieren.
Daher unterstreiche ich nochmals: der AUKUS-Pakt geht uns alle etwas an. Staatsminister Michael ROTH sagte, dies sei „ein Weckruf für alle Europäer“. Wir freuen uns sehr auf die bevorstehende Zusammenarbeit mit Deutschland zugunsten eines souveräneren Europas – auch im Indopazifik. Wir müssen das verlorengegangene Vertrauen wiederherstellen. Das ist das Anliegen, das beide Seiten betont haben. Präsident MACRON und Präsident BIDEN haben sich gestern ausgetauscht und dabei vereinbart, die Gespräche und den Austausch fortzuführen.
Frankreich ist seit langem eine maritime Macht und mit den USA sind wir das einzige Land, das auf den drei Ozeanen präsent ist. Frankreich hat hier eine besondere Erfahrung, aber auch eine besondere Verantwortung.
Frankreich und Deutschland sind überzeugt, dass nur eine multilaterale Ordnung, die auf der Achtung des Völkerrechts basiert, ein glaubwürdiger Garant für internationale Stabilität und Frieden sein kann. Deshalb haben beide Länder 2019 die Allianz für den Multilateralismus initiiert, um die Wichtigkeit des Multilateralismus zu unterstreichen. Von Anfang an und insbesondere auch seit Ausbruch der Pandemie ist sie ein dynamisches Forum für Austausch und für konkrete Aktionen für einen effektiven Multilateralismus, der den Werten, die uns einen, nützlich ist. In diesem Rahmen konnte die multilaterale Zusammenarbeit im Bereich Gesundheit durch die Schaffung eines hochrangigen „One Health“-Expertenrats gestärkt werden. In Zusammenarbeit mit Reporter ohne Grenzen die „Partnerschaft Information und Demokratie“ ins Leben gerufen, um für verlässliche Informationen für die Bürger und gegen Online-Desinformation zu kämpfen.
Bei allen Projekten, die wir gemeinsam verfolgen, ist es wichtig, dass wir uns darauf besinnen, was uns als Europäer ausmacht und eint; und dass wir als Europäer solidarisch miteinander sind. Nur so können wir die zahlreichen Herausforderungen bewältigen und unsere gemeinsame europäische Souveränität stärken. Dabei ist es unerlässlich, dass wir das Zugehörigkeitsgefühl zu einem gemeinsamen geographischen und historischen Raum verstärken. Dies wird auch ein wichtiges Anliegen der französischen EU-Ratspräsidentschaft sein. Umso mehr in einem Kontext, wo wir in mehreren Ländern der EU einen Anstieg des Nationalismus, des Populismus und antidemokratischer Bewegungen beobachten können.
Der deutsch-französische Dialog ist in jeder Hinsicht eine unerlässliche Bedingung, um gemeinsam vorankommen zu können, weil wir wissen, dass wir keine Fortschritte erreichen können, wenn wir nicht vereint sind. Gerade im aktuellen Kontext mit Situationen, in denen große Spannungen unser gemeinsames europäisches Projekt bedrohen, ist der deutsch-französische Dialog von so großer Bedeutung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.