Begrüßung – Minister a.D. Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Heinz Paqué
Meine Damen und Herren,
bei der Begrüßung des Bremer Tabak-Collegiums ist es Tradition eine Verbindung zu ziehen zwischen dem Thema des Abends, der Herkunft des vortragenden Gastes und der Stadt Bremen. Unser Gastredner ist heute ein Engländer, Professor Timothy Garton Ash, gebürtig in London. Normalerweise, wenn er schon da wäre, würde ich sagen: “Lieber Timothy, wir sind glücklich, dass Du heute hier in Bremen den Abend mit uns verbringst und einen Vortrag hältst mit dem wunderbaren Titel: „Warum Großbritannien in Europa bleibt – und bleiben muss“. Lieber Timothy, wir sind gespannt auf Deinen Vortrag und die anschließende Diskussion am späteren Abend und begrüßen Dich hiermit ganz herzlich in unserer Runde.“
Er rief mich heute an und schicke mir eine Message: Was herrschte in London? Nebel – daher musste Timothy Garton Ash einen späteren Flug aus London nehmen. Aber er rief mich eben nochmal an und teilte mit, dass wir gegen 19.30 Uhr mit seiner Ankunft rechnen können. Ich bitte um Nachsicht. Aber das ist Force Majeure. Die Briten im Nebel…
Ich werde daher auch meine sehr persönliche Tischrede erst nach dem Hauptgang halten, damit Timothy Garton Ash diese auch mithören kann.
Wir haben leider noch einen weiteren Ausfall, die Senatorin Vogt, die die erste Tischrede halten sollte, ist erkrankt und lässt sich entschuldigen.
Aber nun genug mit Organisatorischem:
Meine Damen und Herren,
Bremen und Britain – das ist keine Verbindung dynastischer Art, wie wir sie feiern könnten, wenn wir nicht weit von hier in der niedersächsischen Hauptstadt Hannover wären, in die ja die Wurzeln des Königshauses Windsor zurückreichen, seit Georg I im Jahr 1714 den Thron bestieg. Es ist auch keine Verbindung der wehmütigen Erinnerung an eine große Persönlichkeit wie Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, den geliebten Gemahl von Königin Victoria, der kulturell so viel für seine neue Heimat Großbritannien und vor allem London leistete – die Royal Albert Hall erinnert daran. Aber wir sind eben nicht in Niedersachsen oder Thüringen, sondern in Bremen. Und genau deswegen gehen wir noch viel weiter zurück in die Geschichte, um der langen Verbindung zwischen Bremen und Britain gerecht zu werden.
Wir schauen mehr als 700 Jahre zurück – ins Jahr 1281. Damals begann in London die Geschichte des „Steelyards“, des „Stalhofs“. Dort befand sich eines der vier Kontore der Hanse, gelegen direkt am Nordufer der Themse, mitten in der späteren Londoner City, wo heute das Gelände der Cannon Street Station liegt, von der die Regionalzüge in den Südosten Englands verkehren. Viele von Ihnen kennen das heutige Erscheinungsbild dieses Bahnhofs – mit seinen beiden Türmen zur Themsebrücke hin, die 1866 mit dem historischen Bahnhofsgebäude errichtet wurden, 13 Jahre nachdem die Städte Bremen, Hamburg und Lübeck als Rechtsnachfolger der historischen Hanse den Steel Yard verkauft hatten. Das war übrigens ein außerordentlich schlechtes Geschäft. Ich glaube, es wäre besser gewesen, sie hätten ihn behalten. Das ist so eine Sache: Kommunalverwaltungen und Immobilien!
Der Steelyard war der westlichste der Kontore der Hanse, gewissermaßen der westliche „Outpost“ jener klassischen Handelsroute der Hanse, die von dort über Brügge, Bremen, Hamburg und Lübeck bis zu den „wendischen“ Städten Wismar, Stralsund, Danzig, Riga, Reval und Novgorod reichte, mit abzweigenden Routen im Norden nach Bergen und im Süden über Land entlang der Rheinroute über Köln, Frankfurt am Main, und Augsburg bis nach Venedig in Norditalien. Man muss sich diesen Handel als recht rustikal vorstellen. In London wurde englische Schafwolle vor allem zur Verarbeitung in Flandern nach Brügge und von dort weiter verschifft. Die norddeutschen Handelsstädte wiederum exportierten Transitware aus dem Osten – Pelze, Wachs, diverse Rohstoffe, und die Bremer exportierten vor allem ihr offenbar schmackhaftes und gut haltbares Kräuterbier.
In dieser frühen Handelswelt der Städtehanse waren Bremen und Britain enge Partner – über Jahrhunderte. Tatsächlich gaben im Steel Yard zwei deutsche Handelsstädte den Ton an, Köln und Bremen, vorneweg Köln mit seinem Wein aus dem Rheinland, gefolgt von Bremen mit seinem Bier. Das führte übrigens bei beiden Städten zu ständigen Konflikten mit der Hanse, die zunehmend von den wendischen Städten im Osten dominiert wurde. So ließ sich Bremen gegen Ende des 13. Jahrhunderts nicht für einen Hansekrieg gegen Norwegen einspannen, weil der Nordseehandel über Bremen mit Fisch aus Bergen dadurch gefährdet war – mit dem Ergebnis des ersten Brexits der Geschichte. Bremen flog nämlich aus der Hanse raus. Ein zweiter Brexit für Bremen folgte Ende des 15. Jahrhunderts, als sich die Stadt gegen übermäßige Hanse-Regulierungen aus Lübeck wendete – und die Bremer Bürger die entsprechenden Bekanntmachungen in ihrer Stadt empört herunterrissen.
Beides erinnert auffallend an die Argumentation der Brexiteers in Britain 2016: „Take back control“ war der damalige Slogan. Als ich vor sechs Jahren – kurz nach dem Bexit-Vote – an dieser Stelle den ehemaligen Handelsminister Großbritanniens Lord Green begrüßte, habe ich schon einmal in diesem Kreise daran erinnert. Es gab später sogar noch einen dritten Brexit von Bremen – im 16. Jahrhunderts, der hatte konfessionelle Gründe: ein Streit zwischen Protestanten und Reformierten, in den sich die Hanse einmischte.
Wohlgemerkt: Stets kehrte Bremen politisch in die Hanse zurück, was uns für Britain hoffen lässt. Wir brauchen nur etwas Geduld. Beim ersten Brexit waren es 83 Jahre, bis die Bremer ein devotes Wiederaufnahmegesuch stellten, das gnädig positiv beschieden wurde. Wir können also kurz nach dem Jahr 2100 mit einer entsprechenden britischen Initiative rechnen.
Aber klar ist: Politische Integration ist das eine, wirtschaftliche das andere. Dafür ist die Geschichte der Hanse ein wunderbares Beispiel. Beide – Bremen und England – waren bereits in vorhansischer Zeit gute Handelspartner. Sie blieben es auch, als England immer mehr von einem ärmlichen Wollexporteur zu einem prosperierenden Tuchproduzenten wurde, der immer mehr hochwertige Textilien exportierte und dabei die vormals dominierende italienische Konkurrenz von Weltmärkten verdrängte. Der unaufhaltsame Aufstieg des Landes begann, und mit ihm der Aufstieg der englischen „merchant adventurers“ – ein wunderbares Wort, im Deutschen müsste es heißen: der Abenteurer des Handels. Parallel zum Aufstieg der Textilproduktion verdrängten diese „merchant adventurers“ immer mehr die deutschen Hansehändler – und wurden deshalb vor allem in den östlichen Handelsstädten systematisch diskriminiert. Die Folge war im 15. Jahrhundert sogar ein Krieg zwischen England und der Hanse, der trotz einem gewissen militärischen Erfolg den Niedergang der Hanse nicht aufhielt. Auffallend wiederum die Zurückhaltung Bremens in diesem Krieg: Man hatte in dieser Stadt wegen der Bedeutung des Nordseehandels kein wirkliches Interesse, die guten Beziehungen zu England zu gefährden.
Mit dem Niedergang der Hanse kam auch die Schließung des Kontors in London, verfügt übrigens von Königin Elisabeth 1598, als eine Art Vergeltung wegen der systematischen Behinderung der englischen „merchant adventurers“. Zur Zeit Shakespeares war eben das englische Interesse an der Hanse praktisch erloschen – und das lag natürlich auch an der beginnenden Verlagerung der Wachstumsschwerpunkte des Handels: weg von Nord- und Ostsee hin zu dem Atlantik mit Zugang zu den Weltmeeren und vor allem zu Amerika. Auch in England verlagerten sich die Wachstumspole zu den Hafenstädten der Westküste, nach Bristol und Liverpool.
Aber die Handelsverbindungen zwischen Bremen und England blieben. Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert erlebten sie sogar einen kräftigen Aufschwung, zumal Bremen – mehr als viele andere deutsche Städte – vom Wachstum des transatlantischen Handels profitierte, ganz ähnlich wie Großbritannien. Und wenn heute die Bremer Handelskammer über die Bedeutung des Handels mit England spricht, so betont sie, dass es um das drittwichtigste Partnerland überhaupt geht – und dies in einer Stadt, deren Wertschöpfung zu einem Großteil aus Handel besteht. Seit 2013gibt es übrigens eine Bremer Vertretung des British Chamber of Commerce in Germany, deren Chairman, Herr Ubbo Oltmanns, übrigens heute unter uns ist, wie ich der Teilnehmerliste entnahm. Klar ist also: Der Handel zwischen Bremen und Britain blüht weiter – trotz Brexit!
Hinzu kommt eine emotionale Nähe Bremens zu Britain: Man muss nur durch jene Straßen der Stadt spazieren, in denen sich gepflegte klassizistische Bürgerhäuser mit schönen Gärten aneinanderreihen. Das erinnert doch schon sehr stark an Earl’s Court oder Kensington in London, auch wenn es stets eine Nummer kleiner ausfällt.
Meine sehr geehrten Damen, meine Herren,
unser heutiger Gastredner ist Professor an der University of Oxford. Er arbeitet in der Atmosphäre einer großen akademischen Tradition mit ihren wunderbaren Colleges im gotischen oder im Renaissance-Stil – ein wenig vergleichbar dem Bremer Rathaus. Da steckt viel gemeinsame nordwesteuropäische Geschichte drin. Und die lässt sich nicht so leicht verwischen, auch nicht durch einen Brexit-Beschluss und einen Brexit-Vollzug. Die weltoffene Stadt Oxford war ja auch ein Hort des Widerstands gegen den Brexit. In der Bevölkerung der Stadt votierten über 70 Prozent für den Verbleib in der EU, eine der höchsten Voten in Großbritannien und allemal in England.
An der Universität von Oxford war der Anteil der Remain-Voters übrigens wahrscheinlich noch größer als in der Stadt insgesamt, auch wenn sich das statistisch nicht präzise feststellen lässt. Aber es gab seinerzeit 2016 dort eine Umfrage zu den Brexit-Vote-Absichten der akademischen Lehrerschaft. Das Ergebnis: 92 Prozent für Remain, 8 Prozent für Brexit. Ein Politikwissenschaftler der Universität Oxford wurde damals befragt, wie dieses Ergebnis zu bewerten sei. Er antwortete mit britischem Humor sinngemäß: „Sorry, but the outcome must be wrong. I have never met anybody of the 8 percent.”
Meine Damen und Herren, wir freuen uns gemeinsam auf einen wunderbaren Abend und die baldige Ankunft von Timothy Garton Ash.
Normalerweise würde ich jetzt den Löffeltrunk mit Senatorin Vogt einnehmen. Da Sie erkrankt ist, werde ich den Löffeltrunk mit meinem lieben Freund Hans-Dieter Lampe zelebrieren. Das ist auch gut, weil er mich dann durch den komplexen Text des Trinkspruches führen kann: