Meine Herren,
Ihnen hier in Breslau zu sein. Das ist mein erster Besuch in Breslau. Eine Stadt, deren Namen ist zum ersten Mal, als ich dreizehn Jahre alt war, in der Schule hörte. Das war in der Deutschklasse und unser deutscher Lehrer versuchte uns zu erklären, dass wenn wir über die Städte von Europa sprechen wollten, müssen wir für viele Städte, viele verschiedene Namen lernen. Das kam uns sehr seltsam vor, weil bei uns die Städte nur einen Namen haben (meistens).
Aber er erklärte uns, dass Breslau jetzt Wroclaw hieß. Das war natürlich schwer zu verstehen. Aber noch schwerer war zu verstehen, dass diese Stadt früher in Deutschland war und sich jetzt in Polen befand.
Das war für uns das erste Zusammentreffen mit der Idee von fließenden Grenzen und von einer fließenden Geschichte.
Sie können Sie sich vielleicht nicht vorstellen, wie beunruhigend das für einen Briten ist, dass es Menschen gibt, die nicht wissen, wo ihre Grenzen liegen. Wenn man auf einer Insel lebt, dann weiß man genau, wo die Insel endet und wo das Ausland beginnt.
Dass das für die meisten Europäer nie der Fall gewesen war, war eine große und eine wichtige Entdeckung. Das war Teil der Entdeckung eines ganzen Kontinents und für uns Briten war die Verbindung zu den Nachbarländern die wichtigste Frage.
Da kamen natürlich die Verbindungen zu Deutschland und Frankreich – aber vor allem zu Deutschland!
Da sprach man sehr schnell von der Hanse. Wenn ich heute eine Verbindung zwischen London, Bremen und Breslau suchen sollte, dann wäre es natürlich, dass alle drei Hansestädte waren.
Die Hanse war für London bestimmt und vor allem für das London von Shakespeare. Es gab hier eine sehr wichtige deutsche Kolonie und Dank der Hanse hatten wir unseren größten britischen Künstler des 16. Jahrhunderts: Hans Holbein, der in London gewohnt hatte und den wir als einen englischen Künstler verehren. Als ich später Deutsch lernen wollte, haben meine Eltern entschieden, dass ich Deutsch in Hamburg lernen sollte. Für die Briten sind die Hamburger angesehene ‚Ehren-Briten‘.
Hamburg war kaum Ausland aber immerhin eine deutsche Stadt. Ich war zum ersten Mal allein und im Ausland.
Meine Gastfamilie konnte nicht freundlicher gewesen sein und ich habe mich sehr schnell in Hamburg verliebt.
Da habe ich gelernt, das Hamburg nicht nur Hansestadt, sondern auch freie Hansestadt war.
Weil die Mutter der Gastfamilie Bremerin gewesen ist, habe ich auch schnell gelernt, dass es zwar eine wunderbare Sache war, Hamburger zu sein, aber noch einen Tick vornehmer, Bremer zu sein.
Und heute Abend hat sich dieser Eindruck noch einmal bestätigt.
Später, als ich Direktor der National Gallery in London wurde, war für uns die Kunsthalle Bremen ein sehr wichtiges Beispiel mit sehr wichtigen Kollegen.
Die National Gallery in London ist 1824 gegründet worden. Die Kunsthalle Bremen 1823. Das hat uns natürlich immer geärgert. Dieses Jahr war sehr wichtig.
Die Aufgabe der beiden Sammlungen waren ähnlich. Beide waren Bürgerinitiativen ohne Einfluss der Regierung. Erst später haben die Regierungen ihre entsprechende Rolle übernommen. Beide Sammlungen wurden lange Zeit von Bürgern privat gefördert und bereichert.
Aber für uns in London war in einer gewissen Hinsicht die Kunsthalle Bremen das allerwichtigste Vorbild: das wegen des Direktors Gustav Pauli, Direktor der Kunsthalle in Bremen vor dem ersten Weltkrieg. Er hat aus dieser Kunsthalle eine wunderbare Sammlung von moderner Kunst, deutscher und französischer Impressionisten gemacht – das wissen Sie alle viel besser als ich. Das war zu der Zeit revolutionär.
1911 hat er mit dem Ankauf des Gemäldes „Mohnfeld“ von Vincent Van Gogh in ganz Deutschland einen Kunststreit unter Künstlern in ganz Deutschland ausgelöst. Das war ein sehr tapferer Ankauf!
Das beeindruckte uns, weil genau in denselben Jahren Hugh Lane den Trustees der National Gallery eine Reihe von französischen, impressionistischen Bildern kostenlos angeboten hat. Die Trustees haben dieses Angebot verweigert. Es gab eine heftige Debatte, in der einer der Trustees, Lord Redesdale, seine Meinung veröffentlich hat.
„I would rather see Mormons been married in St. Pauls Cathedral than see modern French painting on the walls of the National Gallery!“
Das französische Gemälde, die französische Malerei war moralisch gefährlich, künstlerisch gefährlich und sollte nicht bei uns ausgestellt werden.
Der Mut von Pauli war uns wahrhaft. In dieser Hinsicht war Bremen musterhaft.
Umso peinlicher war es, um so unglücklicher, die Geschichte der Kunsthalle in den 30er Jahren, als 1934 der Saal in dem Munch und die deutschen Expressionisten ausgestellt wurden, mit einem Vorhang geschlossen wurde auf dem geschrieben war: Ausländer und Moderne.
Genau das, was Lord Redesdale 30 Jahre zuvor als Grund zum Ausschluss französischer Malerei bei uns so wichtig fand.
Letzte Woche gab es in England eine große Konferenz über Erinnerungen und wie man mit Erinnerungen und Geschichte umgeht.
Wie Sie wissen, wird Deutschland überall in Europa, überall in der Welt bewundert für den Mut, wie Deutschland mit seiner sehr schwierigen Geschichte umgeht. Die Idee der Vergangenheitsbewältigung ist eine rein deutsche Idee und sie ist zum Muster der ganzen Welt geworden.
Haben wir den Mut, haben andere Länder den Mut, ihre eigene Geschichte richtig anzuschauen? Die unbequemen Fragen immer zu stellen und die noch unbequemeren Antworten zu geben.
Richard J. Evans, Regius Professor of History an der University of Cambrige, hat sich in seiner Rede entschieden, von einem Objekt zu sprechen. Als Muster für die richtige, die mutige, die bewundernswerte Weise, wie die Deutschen mit ihrer Geschichte umgehen. Er hat vom Bremer Elefanten gesprochen.
Ich weiß nicht, ob alle hier dieses wunderbare Denkmal/Mahnmal kennen. Die Geschichte des Bremer Elefanten ist, glaube ich, für uns alle ein Bespiel.
1908 wurde die Idee eines Denkmals in Bremen lanciert, als Kolonial-Krieger- Denkmal. Ein Denkmal für die Deutschen Soldaten, die im Krieg in Südwestafrika gestorben waren. Es gab 1913 einen Wettbewerb und Fritz Behn hat einen riesigen afrikanischen Elefanten aus Backstein entworfen und hat den Wettbewerb gewonnen. Dieser Entwurf wurde vom Senat abgelehnt. Der Kaiser war auch dagegen, er schrieb dazu persönlich im Juni 1914 einen neuen Wettbewerb aus. Durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges hatte der Kaiser andere Sachen zu tun, so dass nichts geschah. Bis 1931.
Die Bürgerschaft Bremens hat dann entschieden, dass man immerhin ein Kolonialdenkmal aufstellen sollte – aber jetzt als Reichs-Kolonial-Ehrendenkmal. Da wurden nicht nur die Namen der Soldanten, die im Krieg vor 1914 in Südwestafrika gefallen waren eingraviert, sondern die Namen von 1.500 deutschen Soldanten, die im 1. Weltkrieg in den Deutschen Kolonien gefallen waren. Die geehrten Toten sollten symbolisch unter afrikanischem Boden liegen. Das war nicht nur ein Krieger- Denkmal, sondern ein Denkmal zu den verlorenen Kolonien.
Bei der Einweihung am 6. Juli 1932 waren die Festreden von Revanchismus markiert. Man sprach nur von dem Verluste der Kolonien. Man bedauerte diesen Verlust und man verlangte die Rückgabe der Kolonien. Als Denkmal könnte das nicht problematischer sein.
Wenn es in Großbritannien ein solches Denkmal gegeben hätte, würde es heute sicherlich abgerissen werden.
Wir haben in Oxford zur Zeit eine große Debatte über die Statur von Cecil Rhodes. Rhodes, der sein enormes Vermögen in Südafrika, in den Bergwerken gewonnen hat. Ein grausamer Arbeitgeber, ein stolzer Imperialist, ein rassistischer Imperialist, der mit seinen Vermögen Stipendien in Oxford gegründet hat. Diese Stipendien existieren immer noch. Es gibt Rhodes-Scholar nicht nur in Amerika, in Kanada und dem früheren Britischen Weltreich und Deutschland, an die von Anfang an gedacht wurde, sondern natürlich auch in Afrika. Aber die Afrikanischen Studenten wollen die Statur wegnehmen und abreißen.
Wir haben bei uns keine Kompromisslösung, wenn es um unsere Denkmäler geht. Das Denkmal steht und der Mann wird verehrt oder das Denkmal geht. Das ist schwierig und das kann nicht so weitergehen.
Bremen, wie viele wissen, hat eine ganz andere Lösung gefunden. Eine deutsche Lösung. Weil Sie gehen mit Ihren Denkmälern anders um. Sie haben die wunderbare Gabe, ihre Denkmäler zu halten aber ihre Bedeutung total zu wechseln.
Das ist bewundernswert.
Der Backstein-Elefant, ich muss zugeben, dass dies vielleicht eines der hässlichsten Denkmäler in ganz Europa ist – entschuldigen Sie, aber so ist es – und mit der Ungerechtigkeit des Zufalls hat dieses Denkmal in tragischer Weise den Krieg überlebt und war immer noch da!
1990 hat die Bremische Bürgerschaft entschieden, dass die Bedeutung des Elefanten neu definiert werden sollte. Und als Namibia seine Unabhängigkeit feierte, feierte Bremen mit. Der Elefant wurde beim Freiheitsfest für Namibia als „Antikolonialdenkmal“ umbenannt.
Ganz einfach!
Es gab eine neue Inschrift, wo man zuerst die Geschichte des Denkmals von 1931 an erzählte und dann eine zweite Inschrift zum Gedenken an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia 1884 – 1914. Die Inschriften wurden von den Präsidenten von Namibia und vom Präsident des Senats von Bremen eingeweiht. Das finde ich musterhaft und bewundernswert.
Die Geschichte muss bleiben. Die Beweise der Geschichte müssen bleiben. Die Denkmäler müssen bleiben. Aber wie wir mit dieser Geschichte umgehen, das ist unsere Verantwortung, weil jede Genration eine neue Geschichte braucht. Jede Generation hat die Aufgabe nicht nur für sich sondern für die ganze Welt. Eine neue Geschichte der Welt auszustellen und dann nochmal neu zu schreiben. Das war von Anfang an die Aufgabe des Britischen Museums.
1753 war London die größte Handelsstadt Europas mit mehr als 1 Million Einwohner. Das war bei Weitem die kosmopolitischste Stadt Europas und die reichste Stadt Europas. Aber London hatte keine Universität.
Oxford und Cambridge waren im Parlament so stark vertreten, dass es ihnen immer gelungen war, alle Konkurrenz anderswo auszuschließen. Es gab immer nur zwei Universitäten.
Das Parlament verstand, dass wenn man mit der ganzen Welt in Handelsverhältnissen stehen möchte, dann muss man die ganze Welt kennenlernen und verstehen.
Und wie kann man in Europa die Welt kennenlernen, die Welt verstehen? Es gab viele Privatsammler und der allerwichtigste war Hans Sloane. Er war Arzt. Ein sehr kluger Arzt. Er hatte viele Patienten. Aber Patienten, die nicht sehr krank, sondern sehr, sehr reich waren. Er hat sehr schnell ein großes Vermögen gemacht und mit diesem Vermögen hat er angefangen, die ganze Welt zu sammeln. 1720 war es zum ersten Mal in der Geschichte der Welt möglich, in alle Welt zu segeln und zurück zu kommen.
Zum ersten Mal in der Geschichte war es möglich, die Welt zu sammeln. Die ganze Welt zu sammeln. Das war seine Aufgabe und er begann mit dem Grundprinzip der Aufklärung, dass im Grunde genommen sich alle Menschen und alle Gesellschaften ähneln. Alle Menschen haben dieselben Ängste, dieselben Hoffnungen und alle Gesellschaften haben dieselben Probleme. Aber alle finden verschiedene Lösungen. Alle machen dasselbe auf unterschiedliche Weise.
Wie kann man das darstellen? Wie kann man das erklären? Sloane hatte die geniale Idee mit Schiffskapitänen zu sprechen und die Schiffskapitäne sollten aus aller Welt Objekte derselben Art mitbringen. Er fing mit Schuhen an. Alle Leute brauchen Schuhe in aller Welt aber in jedem Land sind die Schuhe anders und sehen anders aus. Aus Leder, aus Stroh, aus Seide, usw. In allen Ländern werde Schuhe genutzt nicht nur, um den Fuß zu schützen, sondern auch um den sozialen Stand zu zeigen.
Da schaffte sich sehr schnell eine enorme Schuhsammlung. Daraus entstand die allerwichtigste Frage: welcher ist der beste Schuh?
Das ist natürlich eine absurde Frage. Das hängt von den Wetterverhältnissen, dem Bedarf, den Materialien, u.s.w. ab.
Dann fing er an, Götter zu sammeln. Alle Gesellschaften haben Religionen. Alle Gesellschaften müssen sich eine Idee von Ihrem Gott klar machen, obgleich durch eine Abbildung oder durch Schrift. Auch da hat er eine vergleichbare Sammlung gemacht.
Auch da kommt die immer wieder und heute noch wichtige Frage: welcher Gott ist der Beste? Wie kann man Götter vergleichen?
Das war die Frage von Voltaire, das war die Frage von Kant, das war die Frage von ganz Europa.
Wie kann man verschiedene Götter, verschiedene Religionen vergleichen?
Das hat Sloane auf eine ganz britische, auf eine ganz pragmatische Weise durch Dinge gemacht. Seine Sammlung wurde sehr schnell zu einer Maschine für die Toleranz. Da konnte jeder studieren. Die Sammlung war für alle offen. Und da konnte man zum ersten Mal von einer vergleichbaren Geschichte der Religionen und von dem Einfluss jener Religionen auf die Gesellschaft sprechen.
Diese Sammlung war, als er 1753 starb, die größte Privatsammlung, die nicht in den Händen eines Königs oder eines Fürstens war. Das war riesig. Die Sammlung befand sich in seinem Privathaus in Chelsea.
Sloane hatte unglückseligerweise nur zwei Töchter. Im 18. Jahrhundert, wenn man Wissenschaftler war oder eine solche Sammlung besaß, war das natürlich ein Nachteil. Die Töchter waren natürlich nicht in der Lage mit intellektuellen Fragen umzugehen und diese Tradition weiter zu führen.
Was konnte er machen? Er war nicht nur Arzt, er war auch Kaufmann. Er hat entschieden, seine Sammlung zu verkaufen.
Hier kommen wir zum Anfang des ersten nationalen Museums der Welt!
Diese Sammlung war für Sloane sehr wichtig, weil er in dieser Sammlung die ganze Welt zusammengefasst hatte.
Er hatte drei Bedingungen:
1. Die Sammlung durfte nie geteilt werden, sie muss immer zusammenbleiben, Teile davon dürfen nicht verkauft werden;
2. Die Sammlung muss allen studierten und neugierigen Leuten zugänglich sein
3. und dieser Zugang muss kostenlos sein
Unter diesen drei Bedingungen hat Sloane die Sammlung der britischen Regierungen angeboten. Und wenn die britische Regierung seine Sammlung nicht wollte, sollte sie nach St. Petersburg, nach Berlin, nach Paris oder Madrid angeboten werden.
Das zeigt, wie wenig es um eine nationale Sammlung ging. Das war eine Sammlung für die gelehrten Leute Europas. Für die gelehrte Republik der Aufklärung.
Er wollte 30.000 Pfund für seine Sammlung und die britische Regierung hat sie gekauft. Mit diesen 30.000 Pfund hat er seiner Tochter eine anständige Mitgift gegeben. Seine Tochter hat Lord Chelsea geheiratet.
Daher gibt es Sloane-Square, Hans-Place und so weiter.
Die britische Regierung hatte eine Sammlung gekauft. Und dann die Frage: Was macht eine Regierung mit einer Sammlung?
Es war ausgeschlossen, dass die Sammlung zur königlichen Sammlung übergehen sollte, weil die Forschung ohne einen politischen Einfluss weitergeführt werden sollte.
Die Regierung hat 1753 eine ganz neue Lösung erfunden: Ein Museum mit Trustees.
Die Trustees sind rechtlich die Besitzer der Sammlung, aber sie sind nur Behüter der Sammlung für alle Leute.
Diese Sammlung würde einmal das British Museum heißen. Obgleich es fast gar nichts aus der britischen Geschichte darin gab. Das Museum sollte britische Bürger bilden.
Von Anfang an gab es die zwei Bedingungen: diese Sammlung musste all curious and studied persons zur Verfügung stehen. Allen gelehrten und neugierigen Leuten zugänglich sein. Aber nicht nur all studied and curious – all curious persons – native and foreign. Briten und Ausländern.
Native, ist für uns das Wort, das wir immer für die indigenen im alten Weltreich benutzten.
Ich glaube, das ist das einzige Mal, dass die Briten sich selbst als ‚native‘ bezeichneten. Das war wichtig!
Außerdem musste der Zugang kostenlos sein. Seit dem, seit 250 Jahren, ist das Britishe Museum eine Sammlung der ganzen Welt, wo man eine vergleichende Geschichte der Menschheit erzählen kann und wo Forscher aus aller Welt die Sammlung untersuchen können. Das ist bis heute kostenlos!
Die Aufgabe war ganz einfach. Das war eine gesellschaftliche Aufgabe, eine neue Art von Bürger zu bilden – einen Weltbürger. Das ist, glaube ich, die Hauptaufgabe aller großer Museen heute. Sie sind da, um Bürger zu bilden. Vor allem heute, um Weltbürger zu bilden.
Sie erlauben uns allen, genau wie in Bremen mit dem Elefant, immer neue Geschichte zu erzählen. Immer wieder die Vergangenheit neu und besser zu verstehen – ohne sie zu verweigern.
Ich möchte mit ein paar Beispielen fortfahren:
Für die Briten am Ende des 18. Jahrhunderts war es die Zivilisation, die wir verstehen mussten, die Zivilisation Indiens.
Der junge Charles Stuart, Offizier in der Armee der East India Company mit schottischer Abstammung, evangelisch, ist in Kalkutta auf den Hinduismus getroffen. Er war von der Schönheit und der Weisheit des Hinduismus so beeindruckt, dass es sich zum Hinduismus bekannte. Dann hat er sofort entschieden, dass er all seine britischen Mitbürger auch sofort zum Hinduismus bekehren muss. Er war der Missionar gegen die Christen für den Hinduismus.
Er hat indische Skulpturen gekauft und in Kalkutta 1806 das erste Museum Indiens eröffnet mit Skulpturen der Götter des Hinduismus.
Zweck des Museums war es ganz klar, die Briten von der Überlegenheit des Hinduismus zu überzeugen.
Er hoffte letzten Endes, dass die englischen Damen ihre englischen Kleider, ihr Manteau, wegwerfen würden und Saris tragen würden.
Das ist ihm natürlich nicht gelungen, zeigt aber, mit welcher Begeisterung er sich seiner Aufgabe widmete.
Das Museum war kein großer Erfolg. Aber nach seinem Tod kamen die Skulpturen, und vor allem eine sehr schöne Skulptur vom Gott Shiva mit seiner Frau Parvati, in das British Museum. Da hat sich die Rolle des Objektes total verwandelt. In den letzten 50 Jahren haben wir in London eine enorme, eine riesige Zahl an reicher indischen Bevölkerung. Diese Bevölkerung findet in den Staturen von Stuart ihre eigene Geschichte.
Das finde ich sehr wichtig. Die Bevölkerungen der Großstädte Europas sind nicht mehr europäische Bevölkerungen. Sie sind Bevölkerungen aus aller Welt.
Wie können wir in unseren Museen die Geschichten der anderen Kulturen ausstellen, damit diese neuen Bürger ihre eigene Geschichte im Kontext der anderen Geschichte, im Kontext der Geschichte von Großbritannien, von Paris, von Deutschland dort entdecken können?
Regelmäßig fanden wir am Morgen im Britishen Museum kleine Opfer von Blumen und von Obst vor dieser Skulptur. Sie ist nochmal zu einer religiösen Skulptur geworden. Sie spielt noch die Rolle, für die sie vor langer Zeit gemacht wurde.
Das finde ich auch wichtig, dass die Objekte immer neue Bedeutungen, immer neue Rollen, immer neue Aufgaben in unseren Museen finden.
Das ist gerade heute eine immer wichtige Aufgabe.
In Berlin spielt das Islamische Museum jetzt eine sehr wichtige Rolle in der Integration der neuen Berliner. Der Direktor des Museums für Islamische Kunst hat Multaka- Führungen organsiert. Syrische Migranten haben Führungen, nicht nur durch die Sammlungen des Islamischen Museums, sondern auch im Deutschen Historischen Museum gemacht für andere Migranten. Das gibt allen die Gelegenheit, ihre Geschichte im Rahmen von unserer Geschichte zu entdecken und zu verstehen.
In dieser Hinsicht hat das Museum einen Vorteil, den kein anderer öffentlicher Ort besitzt: alle Bürger gehen auf demselben Fuß in ein Museum, mit derselben Berechtigung. Alle haben das Recht, sich dort zu Hause zu fühlen.
Das ist eine große Herausforderung für die jetzigen Universalmuseen. Und das wünsche ich mir für das Humboldt-Forum.
Ich möchte sehr, sehr herzlich Herrn von Boddien danken, für all das, was er gemacht hat, dass das Humboldt-Forum zu einem richtigen Ort wird, wo ganz Deutschland die Geschichte und die Verhältnisse zur Welt neu denken und neu verstehen kann.
Es ist für mich eine sehr große Ehre, an diesem Projekt beteiligt zu werden. Es ist für ganz Europa von allergrößter Bedeutung.
Europa wird jetzt in Berlin neu gedacht.
Nicht nur die Verhältnisse innerhalb Europas und das Verständnis der Europäischen Geschichte, sondern auch die Beziehungen zwischen Europa und den anderen Kulturen der Welt.
Im Humboldt-Forum, wenn es uns gelingt – leider ist Hermann Parzinger heute nicht hier – soll das neue Schloss der Ort sein, wo alle Berliner, wo alle Deutschen, wo alle Besucher sich verständlich machen können, wie eng die Kulturen der Welt nicht nur mit einander verbunden sind, sondern miteinander verflochten sind.
Das ist die Aufgabe. Das ist eine große Aufgabe für uns hier. Wir haben auch eine weitere Aufgabe im Ausland.
Die meisten Chinesen haben in ihrem Leben kein einziges Objekt je gesehen, das nicht in China hergestellt worden ist. Es ist den meisten Chinesen total unmöglich, sich eine Idee von anderen Kulturen zu machen. Nur durch Museen, nur durch Leihgaben ist es möglich, den Chinesen die Gelegenheit zu geben, die Welt zu verstehen. Indien auch.
Die großen Sammlungen in Paris, Berlin und London, die drei großen Sammlungen der Weltkulturen haben die Verantwortung, ihre Sammlungen anderen Ländern zur Verfügung zu stellen. Wir müssen unsere Objekte Indien, China, anderen Ländern nahebringen, damit man dort auch Weltbürger bilden kann. Das ist für uns alle die Herausforderung und eine schwierige Aufgabe.
Aber ich würde behaupten, dass die großen Sammlungen der Welt sich als Leihbibliotheken der Weltkulturen betrachten sollten. Sie sind Forschungsinstitute, sie sind Orte, an denen die große Öffentlichkeit die Welt entdecken kann. Sie sind aber auch dort, um anderen Ländern zu helfen.
Wenn es uns gelingt, dann werden wir unseren Beitrag erbracht haben, um die neue Welt zu gestalten, wie wir sie sehen möchten.
Eines der großen Vergnügen, in Deutschland zu arbeiten, ist es, dass man immer mehr neue deutsche Wörter entdeckt und trifft. Das neue Wort, das ich an meinem ersten Tag in Berlin gelernt habe, oder die Phrase war: Zeit- und Kostenrahmen. Das war für das Humboldt-Forum sehr wichtig. Zeit- und Kostenrahmen.
Das nächste Wort, das ich für sehr wichtig halten ist: zukunftsfähig. Unsere Sammlungen müssen zukunftsfähig sein. Unsere Aufgabe ist es nicht nur Bürger zu bilden, sondern zukunftsfähige Bürger zu bilden!
Danke!