Meine sehr geehrten Herren des Bremer Tabak-Collegiums, Herr Generaldirektor, Herr Staatsminister, Herr Professor Biedenkopf, Königliche Hoheit, ich danke Ihnen sehr für die Einladung und für die Möglichkeit, Ihnen an dieser Stelle etwas von meiner persönlichen Leidenschaft erzählen zu dürfen. Und ich danke Ihnen, Herr Generaldirektor, dass dieser Vortrag im Angesicht eines der Hauptwerke dieses Museums stattfinden kann! Sie sehen es hinter mir. Und auch, wenn Ihnen vermutlich die Restauratoren gesagt haben, dass sie große Sorgen haben, ob dieses Bild wirklich die Rauchschwaden des Abends unbeschadet überstehen wird – ich hoffe, Ihnen in meinem Vortrag darlegen zu können, dass dieses Bild nicht nur die Rauchschwaden, sondern sogar die Restauratoren überleben wird.
Was Sie schon immer über die Dresdner Romantik wissen wollten aber bisher nicht zu fragen wagten – mein Vortragstitel enthält eine gewisse „Flapsigkeit“, für die ich mich bei all denen entschuldigen möchte, die sich von einem Festvortrag etwas mehr Haltung versprechen. Mein Vortrag dagegen enthält ein gewisses Maß an Ersthaftigkeit, für die ich mich bei all denen entschuldigen möchte, die hofften, dass jetzt bereits der gemütliche Teil des Abends beginnen würde.
Die erste Frage, die sich aufdrängt, wenn man über die Dresdner Romantik spricht, ist ganz eindeutig: Heißt Romantik, dass es um Männer und Frauen geht? Nein! Die Dresdner Romantik fußt auf denselben Statuten, wie das Bremer Tabak-Collegium: wie haben es also heute Abend nicht nur vor den Bildern, sondern auch auf den Bildern ausschließlich mit Männern zu tun.
Die zweite Frage: Ist Kerzenlicht Teil der Dresdner Romantik?
Auch in diesem Fall: Nein! Der Dresdner Romantiker schätzt zur Beleuchtung den Mond.
Die dritte Frage: Was ist dann die Dresdner Romantik überhaupt? Da ist die Antwort schon schwieriger.
Als Politiker würde ich sagen:“Ich möchte mich dazu nicht äußern, sondern die Frage zunächst in den Gremien besprechen.“
Die Schwierigkeit, die Romantik auf einen Begriff zu bringen, ist so alt, wie die Romantik selbst.
1797 schrieb Friedrich Schlegel aus Dresden an seinen Bruder – und da hatte die Bewegung so gerade erst angefangen – „Eine Erklärung des Wortes „romantisch“ kann ich Dir nicht schicken, weil sie 125 Seiten lang ist.“ – Keine Sorge, ich versuche es heute kürzer.
Was ganz wichtig ist: die Dresdner Romantik ist natürlich nicht nur eine Bewegung der Malerei. Es ist eine geistige Bewegung – ein sehr komplexes geistesgeschichtliches Phänomen. Aus allen Teilen Deutschlands kamen ab 1800 Künstler und Intellektuelle nach Dresden.
Novalis und Schelling, Tieck, Kleist, Weber, Wagner, Schubert, Schumann und eben die großen Maler Friedrich, Runge, Kersting, Dahl. Es war eine Überwindung der Zeit der Klassik und deren Gestus, Antworten zu wissen. Denn die Dresdner Romantik war eine Kultur des Fragens.
Insofern ist der heutige Titel meines Vortrags jenseits aller Bezüge zu Woody Allens Film geistesgeschichtlich eigentlich sehr konsequent.
Was hat das eigentlich alles mit Dresden zu tun?
So lautet die nächste Frage. Und da Sie mich nicht selbst fragen können, versuche ich die Fragen, die Sie vielleicht stellen wollen, ein wenig zu simulieren.
Was also, Herr Illies, hat das eigentlich mit Dresden zu tun?
Natürlich wird man nie wissen, warum sich der Weltgeist zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt an einem ganz bestimmten Ort niederlässt. Aber Dresden wird mit der Ankunft Caspar David Friedrichs kurz nach 1800 zum Hauptort der Romantischen Malerei. Und anders als in Rom und Wien, den beiden anderen Zentren der Romantischen Malerei, hat sich, wie es in der wunderbaren Definition von Hans-Joachim Neidhardt heißt, der glücklicherweise heute hier unter uns ist, „in Dresden hat sich der romantische Geist mit unbeirrbarer Konsequenz in der Landschaftsmalerei verwirklicht“.
Frage: Könnten wir bitte ein Beispiel sehen für romantischen Geist und unbeirrbare Konsequenz?
Sehr gerne! Wir müssen uns nur das Bild anschauen, was hier zwischen uns thront. Es trägt einen ganz ungewöhnlichen Titel. Es heißt: „Erinnerung an eine bewaldete Insel der Ostsee“. Gemalt hat es Carl Gustav Carus im Jahre 1834/35 in seinem neu bezogenen Dresdner Wohnhaus. Und zwar 16 Jahre nachdem er diese Landschaft an der Ostsee besucht hatte. Damals im Sommer 1819 hatte er auf Caspar David Friedrichs Spuren die einsame Insel Vilm im Bodden vor Rügens Küste besucht. Die Unberührtheit dieser Insel hat ihn sehr berührt. Er malte dort das kleine Gemälde „Hünengrab bei Mondschein“, das heute in der Bremer Kunsthalle hängt. Und ich werde Ihnen im späteren Verlauf noch eine viel weitere, zentralere Beziehung zwischen Dresden und Bremen aufzeigen, ohne dass ich geahnt hatte, dass es eigentlich die Pflicht des Vortragenden ist, mehrere dieser Bezüge ausfindig zu machen.
1819 also ist Carus in Rügen und 1834 in Dresden malt er dieses Bild. In seinen Erinnerungen schreibt er über diese Naturreise, „wie ungestört und ehrwürdig sind da Eichen mit so ungewöhnlichen Umfange aufgewachsen“. Als das Bild 1835 auf der Dresdner Akademieausstellung zu sehen ist, gibt Carus ihm diesen Titel: „Die Erinnerung an eine bewaldete Insel“.
In seinen Lebenserinnerung schrieb er über die Insel Vilm und die dortige – wie er es nennt Urnatur des Nordens
Zitat:
„Ich habe später in dem Bild ‚Erinnerung an eine bewaldete Insel der Ostsee‘ einiges aus dieser Scenarie der Urnatur mir geistig zu reproduzieren versucht“
Es ist ein ganz seltsames Bild, ein bewegendes Bild und es ist ein Bild über die beiden großen Grundmotive der Romantik. Über Heimweh und über Sehnsucht.
Geht es etwas genauer?
Ja!
Keine Menschenseele ist zu sehen auf diesem Bild. Nur die Natur. Carus selbst schrieb in dieser Zeit an einer großen Theorie über das „Erdlebenbild“. Und genauso darf man diese Landschaft hier verstehen. Er selbst hat sich einmal als Historienmaler der Natur bezeichnet. Der Betrachter soll nicht nur die Eichen sehen und somit zurück blicken auf den Zeitpunkt, als vor 300, 400 Jahren eine Eichel keimte auf dieser Insel, sondern er soll die 1000 Jahren zurückblicken, als die Küste entstand und der Bodden und das Land und das Wasser und das Meer. Ja, wenn man lange genug auf das Bild schaut, scheint es sich zu wölben im unteren Bereich, als wäre es ein wirklicher Ausschnitt der Erde, die man hier sieht und die keinen Menschen mehr braucht. Wir sehen keinen Menschen, weil das Bild von Natur handelt und eigentlich davon erzählt, wie austauschbar jeder einzelnen Mensch ist, wie vergänglich, wie kurzlebig angesichts des langen Atems dieser Eichen, angesichts des langen Atems dieser Natur. Ja eigentlich wirkt diese Natur, als hätte kein Mensch sie je betreten. Dramatisch türmen sich die Wolken auf und pathetische recken die alten Eichen ihre Zweige in den Himmel, Steine kommen aus dem Boden als kämen sie aus der Tiefe der Erde nach oben gespült. Es wirkt als sei 1834 das menschliche Zeitalter vorbei und die Natur habe wieder das Sagen. Das ist eine umso radikalere Aussage, wenn man weiß, dass Carl Gustav Carus, einer der großen Maler der Dresdner Romantik, im Hauptberuf einer ganz anderen Profession nachging und nur am Feierabend malen konnte. Er war Arzt u.a., er war Philosoph, Psychologe – aber vor allem war er Arzt, Gynäkologe und er half als Geburtshelfer in Mitte des 19. Jahrhunderts jedem zweiten Dresdner auf die Welt. Noch heute trägt das Universitätsklinikum der Stadt seinen Namen. Derselbe Mensch also, der Leben in einem parktischen und drastischen Sinne Tag täglich auf die Welt brachte, stand als Maler ganz im Banne von Kreuz, von Ruinen, von Abenden, von Natur jenseits aller Menschen.
Dieses Bild hier ist ganz anders, als man das herkömmlich von der Romantik erwarten würde. Ein Bild über die Sinnlosigkeit. Man kann Kunstwerke theoretisch erschließen und sie wie dieses als „Erdlebenbild“ erklären. Man kann aber – und ich halte davon viel – Kunstwerke zusätzlich auch geografisch präzisieren. Die Tatsache, dass von den 11 Kindern , die Carus mit seiner Frau Karoline hatte, fünf unmittelbar oder kurz nach der Geburt verstorben sind, hat sicherlich nicht nur seine Berufswahl beeinflusst, sondern auch seine Weltsicht. Wer fünf Kinder im kleinesten Alten verloren hat, der hat ein anderes Verhältnis zu Sinn und Sinnlosigkeit des Einzelnen. Und auch beim Tod eines späteren Kindes wird Carus wieder versuchen, sich durch das Zeichnen abgestorbener Eichen selbst zu therapieren. „Die Erinnerung an eine bewaldete Insel in der Ostsee“ ist also nicht nur ein Hauptwerk der Dresdner Romantik, sondern auch ein Frühwerk des Existenzialismus.
Frage: Kann ein Hauptwerk des Existenzialismus auch zu einem Werk der Hoffnung werden?
Ja!
Uwe Tellkamp, der große Dresdner Schriftsteller, der mit seinem Roman „Der Turm“ im Fortleben der Dresdner Romantik an den Elbhängen im 20. Jahrhundert ein Denkmal gesetzt hat, hat die Bedeutung genau dieses Gemäldes von Carus zu Zeiten der DDR beschrieben. Der Spot von der „Insel der Ahnungslosen“, die Dresden angeblich wegen des schlechten Fernsehempfanges war, wendet sich bei Tellkamp in eine Insel der Ahnungsvollen. Tellkamp schreibt, dass Carus in Dresden stets eine ganz besondere Anhängerschaft hatte und jenes Bild der ‚Erinnerung an eine bewaldete Insel der Ostsee‘, das zu DDR-Zeiten den prosaischen Titel ‚Eichen am Meer‘ trug (immer wieder schön, diese Fähigkeit der DDR zu ‚Prosarisierung‘ großer emotionaler Dinge), wurden zu einem geheimen Pilgerpunkt, denn es stellte genau jene Insel Vilm dar, die, wie Tellkamp sagt, für Normalbürger unzugängliches Eiland war, südlich vor Rügen, auf dem der Ministerrat der DDR Urlaub machte und selbst der Genosse Generalsekretär, da kein Minister, nur als Gast seiner Gattin , der Volksbildungsministerin, auftrat.
Man konnte sich also einbilden, von Dresden aus, aus der „Galerie Neue Meister“ einen verbotenen Blick in dieses Sperrgebiet zu werfen. So kam, schreibt Tellkamp, Carus „unter die real existierenden Dissidenten“.
Aber und so darf man Carus ergänzen, dieses Bild erlaubt noch mehr. Es ist nicht nur die Möglichkeit einen voyeuristischen Blick durch die Vergangenheit auf die Gegenwart zu werfen, sondern es ermöglicht auch die Möglichkeit eines utopischen Blicks aus der Gegenwart in die Zukunft. Auf eine Insel Vilm also, auf der nicht mehr der Ministerrat der DDR Urlaub macht, weil es ihn nicht mehr gibt und nur noch Eichen im Wind rauschen und sie sich mit dem Demonstranten aus dem Herbst 1989 fragen: „Wer war Egon Krenz ?“
Aber nochmal zurück zum Existenzialismus. Wieso gehört er so unauflöslich zur Dresdner Romantik?
Das liegt an dem zentralen und legendären Gemälde „Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich. Auch hier ist es die Ostsee, die Friedrich zu einer Befragung der menschlichen Existenz animiert hat. Denn der große, geniale Kunstgriff der Romantiker war die Erfindung der Rückenfigur. Was mit dem Mönch am Meer beginnt, wird für vierzig oder fünfzig Jahre zur maßgeblichen Körperhaltung in der Deutschen Malerei. Man sieht die Menschen bevorzug von hinten. Es wird bis zu den großen Realisten Menzel und Leibl dauern, bis die Maler den Mitmenschen wieder unverwandt und eindringlich in die Augen schauen.
Die Rückenfigur ist deshalb so zentral, weil sie den Kern der romantischen Kunst enthält. Zumal wenn man sich das völlig andere Weltverhältnis vorangegangener Jahrhunderte anhand eines markanten Bildmotivs verdeutlicht. Der Vordergrundgestalt, die den Betrachter anschaut und mit der Hand in die Landschaft hineindeutet, um deren Schönheit zu würdigen. Bei Friedrich nun werden die Menschen am Vordergrund zu Stellvertretern des Betrachters – wir sollen durch sie Teil des Bildes werden. Kleist hat es im Angesicht des Bildes so formuliert: „Und so ward ich selbst zum Kapuzinermönch“. Man wird zu der Rückenfigur, man wird zu der Figur im Bild. Kleist wie die heutigen Betrachter empfinden schmerzlich, was die romantische Malerei erkannt hat: Der Mensch muss, wie es scheint, der Natur erst entfremdet sein, ausgestoßen aus ihr, um überhaupt empfindender Betrachter des Naturganzen im Sinne der Romantik werden zu können. Höldenlins Hyperion sagt: „Vereinzelt in der schönen Welt, ausgestoßen aus dem Garten der Natur“. Das ist das geheime Motto der Dresdner Romantik. Es ist ein sentimentales Verhältnis des neuen, modernen Menschen einer Natur gegenüber, deren er selbst nicht mehr teilhaftig ist. Es geht also in der Romantik auch immer um den Schmerz dieses Verlustes. Er kann dann so weit getrieben werden wie bei diesem radikalen Gemälde von Carus, dass der Mensch ganz aus dem Bild verschwindet.
Kunstkritisch könnte man anmerken, dass es manchmal auch sinnvoll war, dass Carus sich auf die Landschaftsmalerei konzentriert hat, weil die Figurengestaltung nicht seine größte künstlerische Stäke war. Aber ich möchte nicht ablenken.
Wir verdanken dem „Mönch am Meer“ eine Betrachtung von Kleist, in der er sagt: „Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein als die Stellung dieses einsamen Mönches in der Welt.“ Denn das ist eigentlich das wirklich revolutionäre an der Romantik und hat nichts damit zu tun, was die Klischee über sie verbreiten, denn sie zeigt, dass die Heilsversprechen der Religion selbst für einen Mönch an einem regnerischen Nachmittag an der Ostsee schwer zu finden sind, und er sich hineingeworfen fühlt in die Fragen nach dem Sinn des Lebens.
Schon Ludwig Richter, die letzte große Figur der Dresdner Romantik, Spätromantik, wie man in seinem Fall sagen muss, hat genau diese verstörende Sogwirkung der Gemälde der frühen Romantiker Friedrich und Carus kritisiert. Er sagt: „Seine meisten Bilder atmen jene kranke Schwermut, jenen Fieberreiz, welcher jeden gefühlvollen Beschauer mächtig ergreift, aber immer ein untröstliches Gefühl hervorbringt“. Das ist dann die Atmosphäre, gegen die die Spätromantik ankämpft. Mit Wunschwelten aus Märchen und Mittelalter, mit einer Natur, die Wärme ausstrahlt und Geborgenheit. Und die versucht, jene Täler rund um Dresden, die Friedrich und Carus zu diesen atemberaubenden Bildern der verstörenden und betörenden Ausweglosigkeit von Abenduntergang und Endzeit inspiriert hatten, zu Idyllen zu machen, zu jener Form von Romantik, die eine wärmende Wolldecke sein will gegen die Kälte der Zeit. Man kann es auch anders sagen: Was Ludwig Richter befremdete, ist das, was Friedrich und Carus in ihren Werken zeigten – nämlich die Unmenschlichkeit der Natur.
Selbst der Mönch ist verloren im angesichts der Weite des Meeres, eigentlich nur die Eichen trotzen dem Wind und dem Sturm, nicht aber der Mensch. Das ist die Erfahrung der Romantik: Sie ist die Kunst des Zweifels.
Frage: Könnte es sein, dass die Malerei der Romantik gar nicht romantisch ist?
Antwort: Ja.
Was spricht noch dagegen?
Dagegen spricht ein Element, welches beim Blick auf die Malerei oft vergessen wird. Denn in der Tat stehen am Ende des Werkprozesses oft jene monumentale Bilder mit verschlüsselten oder unverschlüsselten Bildinhalten. Aber am Anfang steht etwas ganz anderes: Die Studie im Angesicht der Natur.
1830 wird Goethe verärgert schreiben mit Blick auf die Dresdner Malerei, dass dort immer noch dieses krankhafte Zeichnen vor der Natur ‚en vogue‘ sei und man sich immer noch nicht wieder den idealen Bildinhalten zugewendet habe. Und das war die Dresdner Eigenheit, sich nicht um die klassischen Disziplin der Akademien zu scheren, sondern das ganze Augenmerk auf die Landschaftsmalerei zu lenken. Und so haben Friedrich, Carus, Dahl, Gille, und auch Ludwig Richter in den 1820er und 1830er Jahren bei ihren Wanderungen durch das Elbsandsteingebirge, durch den Großen Garten, entlang der Elbe und im Liebetaler oder Rabenauer Grund das malerische Naturstudium auf ein neues Qualitätsniveau gehoben. Die Ölstudien auf Papier oder Pappe, entstanden in wenigen Minuten, oft versehen mit dem Datum oder Uhrzeit. Sie sind die Basis der gesamten Romantik – es geht dabei nicht um ein großes Thema wie bei den Kollegen in Wien oder Rom. Es geht nur um den Lichteinfall oder um eine Wolke, die über die Pappeln am Elbufer zieht. Vor allem Johann Christian Dahl, der ab 1818 mit Friedrich in einem Haus wohnte und Friedrichs Sohn Malunterricht gab, hat in dem Medium der Ölstudie Meisterwerke der Dresdner Romantik geschaffen. Er ist der zweite Hauptmeister der Dresdner Landschaftsmalerei mit seiner spontanen und völlig freien Form der Wirklichkeitsaneignung.
Frage: Wie kommt es, wenn man das alles hört, dass die Kunst der Romantik als kitschig gilt?
Antwort: Ich habe keine Ahnung.
Doch ich bin sicher, jeder von Ihnen, der sich morgen nur eine Minute mit den Werken von Caspar David Friedrich beschäftigen wird oder jetzt – gezwungenermaßen eine Stunde vor diesem Bild von Carl Gustav Carus, wird dies nicht nachvollziehen können. Der schlechte Ruf kommt von der Spätromantik. Doch auch das ist völlig falsch – Ludwig Richter war ein großer unruhiger Geist, und ein großer Maler. Die Bilder der Romantik stellen permanent Fragen an jeden, der sie betrachtet. Sie wissen keine Antwort. Sie kennen nur Zweifel. Natürlich gibt es noch das, was Klaus Herding, die Grundpfeiler der romantischen Denkens genannt hat: Also die Themen Natur, Religion, Vaterland und Geschichte. Aber: Sie werden nur genutzt, um Fragen an ihrer Bedeutung und an ihre Fortwirkung zu stellen, nie mehr um sie zu feiern. Schon zu ihrer eigenen Zeit hat die Romantik eigentlich alle Klischees, die es über das Romantische gibt, ad absurdum geführt.
Was also zeichnet ein romantisches Bild aus?
Dass es den Betrachter auf sich selbst zurückwirft. Und zwar ganz gleich, ob er im Jahre 1835 in der Dresdner Akademieausstellung auf dieses Bild von Carus blickt oder 2013 im Albertinum.
Wann fängt die Dresdner Romantik eigentlich an und hört sie eigentlich auf? Die Malerei fängt eigentlich an, mit der Ankunft des Hansestädters aus Greifswald, mit der Ankunft Caspar David Friedrichs in Dresden.
Und wann hört sie auf?
Sie hört, wollte man es genau datieren, vielleicht im Jahre 1869 auf, als die Schüler von Ludwig Richter, Viktor Paul Mohn und Albert Venus, aus Italien zurückkehren und die Spätromantik zu einer letzten italienischen Blüte gebracht haben.
Frage: Für wir groß halten Sie die Malerei der Dresdner Romantik?
Antwort: Für sehr groß.
Aber das muss nicht sein. Die größten Könner brauchen sehr wenig Platz. Manchmal reichen 9 Quadratzentimeter. Ich habe Ihnen aus unserer nächsten Auktion kleinste Beispiel der Dresdner Romantik mitgebracht, das mir bislang bekannt ist – eine Abendstimmung am Meer, der Mond hinter Wolken, vorne die Rückenfiguren.
Frage: Wollen Sie diesen ehrwürdigen Rahmen nutzen, um eine Verkaufsveranstaltung daraus zu machen?
Nein, natürlich nicht.
Aber ich habe gelernt, dass ein Grund dafür war, dass die Bremer Kaufleute so groß wurden, dass die immerfort die Frage stellten: geht’s auch eine Nummer kleiner. Darauf wollte ich eingehen.
Das Schöne ist übrigens: Wir wissen nicht, wer das Bild gemalt hat. Es könnte Carus sein, es könnte Dahl sein. Aber wir wissen nicht, ob beide je auf Metall malten. Wir wissen nur, dass wir hier die Weltsicht der Dresdner Romantik: Mond, abfahrendes Schiff, Rückenfigur, auf kleinstmöglichem Raum versammelt sehen. Damit Sie etwas kurz in Händen haben, dürfen Sie auf dieses Bild blicken – wer es fallen lässt, muss es kaufen! Wer hineinschaut, wird begreifen, was die Dresdner Romantik ausmacht.
Kommen wir nun zu einer weiteren zentralen Frage: Was hat die Dresdner Romantik eigentlich mit Bremen zu tun?
Sehr viel mehr, als man zunächst denkt. Die zentrale Figur, die beide Sphären verbindet heißt Friedrich Lahmann. 1858 als Sohn einer angesehenen Bürgersfamilie in Bremen geboren, wirkt er vom Habitus und auf den frühen Fotografien wie ein Doppelgänger des anderen großen Bremer Bürgersohns und Kulturermöglichers, Friedrich Wilhelm Oelze. Und so wie Oelze durch seine Briefe aus dem großen Gottfried Benn Zeilen herauslockte, die zur Weltliteratur wurden, so bewahrte Friedrich Lahmann der Bremer in Dresden fast alleine den Schatz der Dresdner Romantik für die Nachwelt. 1906 übersiedelte Lahmann auf den Weißen Hirsch bei Dresden in das weltberühmte Sanatorium seines Bruder Dr. Heinrich Lahmann. Die Situation darf man sich bildlich vorstellen: Während in den Behandlungszimmern versucht wurde, Rilke und Kafka Linderung für Ihre Seelenqualen zu verschaffen und während ein paar Zimmer weiter Oskar Kokoschka mit der Puppe zusammenlebte, die er nach der Trennung von Alma Mahler in monatelanger Arbeit maßstabsgetreu von seiner früheren Geliebten herstellen ließ und mit der er übrigens länger zusammenlebte als mit der lebendigen Alma Mahler selbst – nun wäre fast doch noch eine Frau hineingekommen in den heutigen Abend – aber sie bleibt eine Puppe, die von Oskar Kokoschka eigenhändig in Dresden verbrannt wurde! Währenddessen also saß in einem Seitenflügel des riesigen Sanatoriums Friedrich Lahmann und sammelt und sammelt, und sammelt Werke der Dresdner Romantik. Und man darf nicht glauben, dass dies am Anfang des 20. Jahrhundert irgendjemand interessierte. Nein, spätestens an Silvester 1899 war das 19. Jahrhundert vergessen, es galt als verschmockt und altmodisch, die Zeit und die Kunst rannte weiter und stürmte vorweg. Erst 1906 gab es eine große Ausstellung, die sogenannte Jahrhundertausstellung in Berlin, in der, man glaubt es heute nicht mehr, Künstler wie Caspar David Friedrich oder Carl Gustav Carus und Ludwig Richter wiederentdeckte, einen, wie es damals hieß, begabten Maler des frühen 19. Jahrhunderts. Ja, Caspar David Friedrich war eigentlich schon vergessen. Und so saß also dieser Bremer Bürgersohn in seinen kalten Sanatoriumsflügel und sammelte und kaufte, wo immer er etwas finden konnte. Er reiste durch die Dörfer und kaufte Werke von Friedrich, von Carus, von Richter, von Gille und vielen anderen. Er war der erste, der erkannte, dass es sich dabei nicht um eine regionale Sonderkunst handelte, sondern um Teil des, sagen wir es ruhig pathetisch, Teil des Weltkulturerbes. Und dieser Friedrich Lahmann war sozusagen die symbolische Waldschlösschenbrücke, die die Zeit um 1820 mit der um 1920 wieder verband. Als er 1937 starb, verfügte er, dass die wichtigsten seiner Bilder zu gleichen Teilen in die Bremer Kunsthalle und in die Dresdner Museen eingehen sollten – und so stellt Friedrich Lahmann die schönste Brücke zwischen dem Vortragstitel und dem heutigen Ereignis dar. Und dass mit Günther Busch ein solcher Kenner und Liebhaber der Romantik dann später Leiter der Bremer Kunsthalle wurde, führte dazu, dass sich der Bestand an Kunst jener Zeit weiter füllte – es gibt kaum einen anderen Ort, wo sich die Kraft und Schönheit der Dresdner Romantik im Westen besser konzentriert bewundern lässt als hier.
Frage: Weil den ganzen Abend über so viele Namen fielen, sei an dieser Stelle die Frage erlaubt: Welchen Dresdner Romantiker sollte man denn kennen, wenn man
morgen Dresden wieder verlässt?
Vielleicht hilft ein Spruch, der in Dresden schon seit hundert Jahren hilft, die Fülle und Eigenheiten der Romantik zu ordnen. Um in der „Galerie Neue Meister“ innerlich flexibel zu bleiben, dichtete man:
Hast Du Kummer mit dem Friedrich/
Und ist Richter Dir zu lieblich/
dann geh doch in den andren Saal/
zu Carus, Gille, Clausen Dahl.
Um es noch einmal anders zu sagen: Es gibt also den Olymp Caspar David Friedrich. Doch er ist Teil eines Hochgebirges. Auf dem Weg zum Gipfel gibt es die benachbarten Hügel, die Carl Gustav Carus markiert, der sich sehr eng an Friedrich anlehnt und der den Geist der Dresdner Romantik in seiner Unperfektheit fast noch reiner verkörpert, als das kühle Genies Friedrich. Auch Carl Robert Kummer, der für seinen Namen nicht kann, ist ein solcher Künstler im Schatten des großen Meisters, der den Geist der Dresdner Romantik mit seinen grauen Wolkenfetzen vor lilablauem Abendhimmel selbst in der schottischen Hochebene und im fernen Dalmatien fand.
Und es ist dem jeweiligen Geschmack überlassen, ob man eher die durch erzählten Idyllen eines Ludwig Richter für einen Achttausender hält in diesem Hochgebirge oder die furiosen Naturstudien von Johann Christian Clausen Dahl und seinem Schüler und Fortsetzer Christian Friedrich Gille.
Aber mit Friedrich, mit Ludwig Richter, mit Clausen Dahl hat man die drei großen prägenden Figuren auch der Dresdner Akademie, die zahllose Schüler an sich banden und prägten. Und die singuläre künstlerische Figuren wie etwa Gille oder August Heinrich oder später Albert Venus erkannten und förderten. Aber das wird jetzt doch zu komplex. Um das zu vertiefen, empfehle ich Ihnen allen das Standardwerk von Hans-Joachim Neidhardt „Die Malerei der Romantik in Dresden“. Den Prachtband „Meisterwerke der Romantik in der Dresdner Galerie“ von Gerd Spitzer. Oder eben den schönen Stabreim:
Hast Du Kummer mit dem Friedrich/
Und ist Richter Dir zu lieblich/
dann geh doch in den andren Saal/
zu Carus, Gille, Clausen Dahl.
Kurze Zwischenfrage: Ist das wirklich ein Spruch aus dem späten neunzehnten Jahrhundert in Dresden oder haben Sie sich den eben ausgedacht, Herr Illies?
Kein Kommentar.
Was bleibt nun als Botschaft der Dresdner Romantik?
Etwas sehr überraschendes – nämlich deren Modernität. Die vor allem darin liegt, dass die Kunst nicht mehr so tut, als könne sie alle Fragen beantworten, sondern weiß, dass es vor allem darum geht, neue Fragen zu stellen.
In diesem Sinne stehen wir vor diesem wunderbaren Bild von Carl Gustav Carus und sehen betroffen: den Vorhang zu und alle Fragen offen.
Vielen Dank!