Vortrag: Prof. Dr. rer. pol. Klaus M. Leisinger
„Menschenrechte und Unternehmen“
Herzlichen Dank für die liebenswürdige Einführung.
Meine Herren,
als vor etwa einem Jahr Herr Dr. Haßkamp und Herr Lampe zu mir nach Basel kamen und mich fragten, ob ich prinzipiell bereit wäre, einen solchen Vortrag zu halten und auch noch vor wenigen Wochen, als Herr von Boddien in Basel war, hatten wir immer nur über den Vortrag gesprochen. Dass da zwei Löffeltrünke, zwei Bier, mehrere Brote und diese Schnäpse dazwischen liegen, hatte man mir nicht gesagt – aber ich fand das eine gute Idee!
Ich möchte Ihnen heute einerseits den Hintergrund zu einer Debatte geben, die von den meistens Managern unserer Zeit total unterschätzt wird. Ich möchte Ihnen zweitens den Hintergrund der politischen Art geben, denn ist ein hochpolitisches Thema, dass von unterschiedlichen Experten ganz unterschiedlich interpretiert wird. Und ich möchte sie ‚last but not least‘ einfach über den gesunden Menschenverstand an das Thema heranführen. Weil ich glaube, dass kein normaler Mensch Geschäfte tätigen möchte, die mit Kollateralschäden für Menschenrechte verbunden sind.
Wie gesagt, das Thema war eigentlich traditionell immer nur ganz nah an Ölfirmen, an Goldminen, an Diamanten und es wurde immer in Verbindung gebracht mit Menschenrechtsverstößen, die nicht direkt von Unternehmen aber im Umfeld der Arbeit von Unternehmen in der extraktiven Industrie zustande kamen.
Mit dem Jahre 2000 bekam das Thema plötzlich eine völlig andere Dimension.
Der Weltentwicklungsbericht des United Nation Development Programs machte das Thema „Business und Human Rights“ zum zentralen Thema. Und plötzlich war es eben nicht das, was wir alle mit Human Rights violations assoziieren, nämlich illegale Tötungen, Entführungen, Folter oder sonstige Dinge, sondern es waren plötzlich Geschäftspraktiken, es war der Umgang mit der Umwelt, es war die Unterstützung korrupter Regime, Menschen, die durch Umgehung von Boykotten Despotenregime unterstützen (der von Herrn von Boddien erwähnte Mann, der über Moskau in den Irak verkauft), und es wurde die Frage gestellt, ob Unternehmen sich einsetzen sollen für politische Veränderungen.
Wenn ich so in die Runde rumschaue, dann sehe ich alles Jahrgänge, die sich vielleicht noch erinnern können an Salvador Allende und an die Firma ITT sowie an den damaligen Vorwurf, ITT hätte geholfen die politischen Veränderungen in Chile zu Lasten von Salvador Allende zu Stande zu bringen.
Heute wird von vielen Leuten aus der civil society erwartet, dass Unternehmen ihre bargaining power, ihre Verhandlungsmacht, einsetzen, um sich z.B. in China oder in anderen Ländern für politische Veränderung einzusetzen.
Die Diskussionslage hat sich in den letzten 10 Jahren fundamental verändert.
Die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen haben im Jahre 2003 auch Menschenrechte als Thema aufgenommen und damit etwas angerissen, das normale Bürger in einem völlig anderen Zusammenhang betrachten.
Wie Sie wissen, kamen gegen Ende des Jahres 1945 die Staats- und Regierungschefs aus aller Welt in San Francisco zur Gründung der Vereinten Nationen zusammen. Die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs im Hintergrund noch deutlich vor Augen, verankerten sie in der Präambel zur Charta der Vereinten Nationen einen Verweis auf die Grundrechte des Menschen: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen [sind] fest entschlossen, … unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Frau und Mann sowie von allen Nationen, ob gross oder klein, erneut zu bekräftigen…“.
Im April 1946 begann eine Gruppe von Fachleuten über das zu arbeiten, was später als Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu Stande kam. Hintergrundinformationen bezeugen, dass Eleonore Roosevelt, die Frau des damaligen Präsidenten, der schon sehr krank war und nicht mehr viel für dieses Projekt tun konnte, den Draft fast alleine ausgearbeitet hat. Die Menschenrechtserklärung wurde am 10. Dezember 1948 verkündet und zwar als „Ideal, das allen Völkern und Nationen gemeinsam sei“.
Und jetzt wird es interessant: In dieser Menschenrechtserklärung gibt es einerseits bürgerliche und politische Rechte, vor allem zum Schutz jedes Einzelnen vor unrechtmässigen staatlichen Eingriffen wie z.B. das Recht auf Leben, Diskrimi-nierungsverbote, Gewährleistung fairer Gerichtsverfahren sowie das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, aber auch wirtschaftliche Rechte wie z.B. das Recht auf Arbeit, das Recht, Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten sowie das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, soziale Rechte z.B. das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard sowie auf Nahrung, Kleidung, Wohnung und medizinische Versorgung – ich komme nachher noch einmal auf das Recht auf medizinische Versorgung zurück, und kulturelle Rechte wie z.B. das Recht auf Bildung und auf die Teilnahme am kulturellen Leben der Gemeinschaft.
Sie sehen, sind das seht unterschiedliche Angelegenheiten und es gibt in der Praxis unterschiedliche Gewichtungen. Wenn Sie mit Menschenrechtsspezialisten reden, sagen die zwar dass die Menschenrechtserklärung ein Ganzes darstellt und die einzelnen Kategorien nicht voneinander zu trennen sind – ich jedenfalls bin jedoch der Meinung, dass es ein relevanter Unterschied ist, ob man jemanden foltert oder außergerichtlich tötet oder ob jemand aus irgendwelchen kulturellen Beschränkungen nicht zur Schule kann.
Wie dem auch sei: die allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist heute als der massgebende Normenkatalog anerkannt – viele Leute halten ihn für internationales Gewohnheitsrecht. Und dennoch wird er permanent verletzt: vor zwei Wochen kam der neue Bericht von Amnesty international heraus. Dort sehen sie, dass die Welt in dieser Hinsicht keineswegs in Ordnung ist. Die Stichworte, die sie finden sind: außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwinden lassen von Personen, Folter, Gewalt gegen Männer, gegen Frauen, gegen Kinder, Verletzung der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen. Das sind alles Dinge, die für zivilisierte Menschen eigentlich unerträglich sind und die keiner möchte.
Ich habe in 38 Jahren beruflicher Erfahrung auch keinen Manager erlebt, dem es Freude bereiten würde, mit solchen Dingen in Verbindung gebracht zu werden.
Man braucht nicht besonders intelligent zu sein, um zu erkennen, dass der Respekt der Menschenrechte wichtig ist. Die Frage ist allerdings, in welchem Kontext wer welche Rechte hat. Und, das ist ja immer die andere Seite der Medaille, wer welche Pflichten hat, die die Rechte zu erfüllen.
Es war Mary Robinson in ihrer Zeit als Menschenrechtskommissarin, die darauf hingewiesen hat: „schaut euch mal die Präambel der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an, dort steht, dass das ein gemeinsames Ideal ist und jeder einzelne“ – und jetzt kommt der wesentliche Satz – „und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen sollen, die Umsetzung und die Anerkennung solcher Rechte zu fördern“. Und Mary Robinson war es auch die darauf hinwies, dass Unternehmen selbstverständlich Organe der Gesellschaft sind und also auch von der Menschenrechtserklärung angesprochen und in Pflicht genommen sind!
Ich hatte das professionelle und persönliche Vergnügen über viele Jahre mit Mary Robinson zusammenzuarbeiten. Sie ist eine wunderbare und charmante Frau, aber auch eine eisenharte Lady, was die Durchsetzung ihrer Ideen angeht. Nicht zuletzt auf ihren Hinweis oder auf ihr Drängen hin sind auch diese beiden Menschenrechts-Artikel in United Nation Global Compact hineingekommen. Der Global Compact, für die, die das nicht wissen, das ist ein 10-Punkte-Katalog, der für corporate responsibility steht. Ca. 8.000 Unternehmen sind Mitglied.
Der Global Compact ist heute die international anerkannteste Basis, für die „dos“ und „don`ts“ im Kontext von corporate responsibility. Der Global Compact hat diese Menschenrechtsdimension von corporate responsibility quasi offizialisiert und die Diskussion damit in die Unternehmenspraxis gebracht.
Interessant für das Klima, in dem sich die unternehmensspezifische Menschenrechtsdiskussion abspielt ist auch – wenn ich das noch eben zitieren darf, weil der Herr Hülle hier ist – der neue Amnesty-Bericht: Dieser hat in seinem einleitenden Text den Hinweis, „das Profite der Unternehmen häufig zu Lasten der Gemeinschaften vor Ort gehen und das Regierungen nicht dafür sorgen, dass die Wirtschaftsunternehmen die Menschenrechte achte“. Das ist heavy. Das wird etwas impliziert, worüber sich jeder seine eigenen Gedanken machen soll. Und ich, als jemand, der für den privaten Sektor arbeitet, wundere mich mit welcher Pauschalität hier argumentiert wird.
Der Global Compact, um auf diesen zurück zu kommen, hat zwei Menschenrechtsartikel, vier Arbeitsnormen, er hat drei Umweltnormen und eine Anti-Korruptionsnorm. Anti-Korruptionsnorm, Umweltnormen und Arbeitsnormen, das ist daily bread and butter für Unternehmen. Das stellt ein Unternehmen also vor keine unlösbaren Probleme.
Die Menschenrechtsdimension hat eine andere Qualität – sie ist eine, die nach wie vor als ungewöhnlich oder zumindest gewöhnungsbedürftig ist. Das Problem ist, dass hier eine Welle von Forderungen auf Unternehmen zurollt, und die meisten Unternehmen zumindest bis heute die Hausaufgaben nicht gemacht haben. Wie Sie wissen, gibt es zwei Möglichkeiten mit einem issue umzugehen. Die eine ist, sie bereiten sich seriös vor, evaluieren die Fakten und bilden sich ihre eigene Meinung und handeln entsprechend proaktiv – oder Sie warten bis die Amnesty oder die Greenpeace aus Protest an ihrem Fabriktor angekettet ist – dann ist es nicht nur schwer, sie wieder los zu kriegen, Sie haben den Kampf um die öffentliche Meinung bereits verloren.
Ein grosses Problem ist, dass sich die Menschenrechtsargumentation für Spezialisten völlig anders darstellt als für die meisten Manager: so schreckliche Dinge wie außergerichtliche Tötung oder Folter werden von den meisten Verantwortungsträger in Unternehmen nicht in Verbindung gebracht mit Handlungsweisen des Unternehmens Sie schenken daher der Diskussion keine Aufmerksamkeit oder fragen sich “Was hat das denn mit uns zu tun? So etwas tun wir doch nicht“. Aber die Diskussion ist jedoch viel komplexer – sie ist ein politisches Minenfeld.
Es ist auch in dieser Hinsicht sinnvoll, wenn sich jedes Unternehmen überlegen würde ob es potentiell Problemkreise gibt, die mit dieser Diskussion aus der Sicht von Menschenrechtsaktivisten etwas zu tun haben könnten? Sollte dies der Fall sein, stellen sich die Fragen nach dem wo und der Art und Weise wie damit umgegangen wird.
Wissen Sie noch, als die Umwelt-Diskussion angefangen hat, damals in den Jahren 1973/1974 mit der Stockholmer Umweltkonferenz und dem Bericht „The Limits of Growth“ von Meadows? Die Umweltdiskussion ist heute in den Unternehmen angekommen und gehört zur verantwortlichen betrieblichen Normalität.
Auch die Umsetzung von der Arbeitsnormen, Sozialnormen oder Anti-Diskriminierungssachverhaltenen des Global Compact sind heute gute Management-Praxis. Das gleiche gilt für die Korruptionsbekämpfung.
Und jetzt eben die Menschenrechtsdiskussion, sie ist in der UNO und in den entsprechenden NGOs auch gelaufen – aber bei weitem noch nicht in den Unternehmen angekommen.
Wie gesagt, es war Mary Robinson, die den wesentlichen Impuls dafür gegeben hat, dass man über Business und Human Rights konkret anfing zu debattieren. Begonnen hat dies mit einer Arbeitsgruppe im Jahre 2000, die wurde von einem amerikanischen Juristen, David Weissbrodt, geführt wurde. Ich hatte die Gelegenheit als Experte zu dieser Arbeitsgruppe hinzugezogen zu werden und habe mich gewundert, wie das Thema diskutiert wird. Im damaligen Menschenrechtsrat gab es Situationen, in denen Vertreter von Staaten saßen, in denen lauf Amnesty International viele Menschenrechtsverletzungen begangen wurden – darüber aber kein Wort verloren und alle Probleme nur bei den multinationalen Unternehmen verorteten. Die Ergebnisse der Weissbrodt-Arbeitsgruppe waren so, das Unternehmen im Prinzip die gleichen Pflichten hätten, wie die Staaten, nämlich die Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren.
Wie Sie wissen, gibt es bürgerliche und politische Rechte, es gibt aber auch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte und während die einen im Prinzip Freiheitsrechte der Bürger vor illegalen Eingriffen des Staates sind, stellen die anderen positive Rechte dar, wo irgendjemand ein Recht hat und jemand anders eine Pflicht. Im Großen und Ganzen der Menschenrechtsdiskussion war es immer der Staat, der die Pflicht hat und plötzlich sollten es die Unternehmen gleichwertige Pflichtenträger sein.
Das Ergebnis der Weissbrodt-Arbeitsgruppe wurde vom damaligen Menschenrechtsrat abgelehnt, hauptsächlich wegen des starken Widerstands derjenigen, die der angelsächsischen Rechtsauffassung sind. Die Länder der Dritten Welt waren vehement dafür, die Kontinentaleuropäer hielten sich relativ bedeckt – es kam zu einem Patt und blieb äußerst kontrovers.
Der Ausweg aus dem Patt war ein Beschluss, der UNO Generalsekretär müsse einen Sonderbeauftragten für Business und Human Rights benennen und dieser solle einerseits Standards für die Verpflichteten und Verantwortlichkeit multinationaler Konzerne im Hinblick auf die Menschenrechte definieren, zum zweiten soll er die Rolle des Staates klar machen und damit auch die Rolle für die Regulierung für die Einhaltung der Menschenrechte festlegen.
In der Erörterung von geschäftsbezogenen Menschenrechtsfragen im Rahmen des Global Compact kommt es auf die konkrete Klärung zweier Dinge ganz besonders an: was ist der Einflussbereich („sphere of influence“) eines Unternehmens und wie definiert man „complicity“ – also Mittäterschaft an Menschenrechtsverletzungen Dritter. Was ist der Einflussbereich eines Unternehmens? Ist es das, was Sie innerhalb ihres Fabrikzauns haben oder ist es noch die Gemeinde oder ist es der Staat in dem sie investiert haben? Da gab und gibt es noch immer einen großen Meinungspluralismus: Manchen gehen so weit zu sagen, dass ein Unternehmen in einem Land das Menschenrechtsverletzungen begeht, Steuern bezahlt – es diese Bürokratie alimentieren und sind somit zum Komplizen wird. Die Frage wäre dann, wie es zu beurteilen wäre, wenn ein Unternehmen seine Steuern nicht bezahlt…?
So eine ähnliche Problematik kam beispielsweise bei Google in China auf. Google wurde von verschiedenen Seiten angegriffen, sie hätten auf Druck der chinesischen Behörden gewisse Websites blockiert, so dass sie beispielsweise, wenn sie in Peking oder in Shanghai sind und versuchen Amnesty international zu googeln, lediglich „These page is not displayed“ finden.
Google hat auf diese Vorwürfe u.a. darauf verwiesen, dass man lediglich getan habe, was das chinesische Gesetz vorschreibt und die chinesischen Behörden verlangt haben. Soll ein internationales Unternehmen gegen die lokalen Gesetze verstoßen? Wohl kaum – wir sind also in einer ganz schön schwierigen Lage!
Die Ergebnisse, die der Special Representative for Business and Human Rights des UNO Generalsekretärs, John Ruggie; vorgelegt hat, wurden von allen Seiten akzeptiert und ihre Umsetzung stellt für integer arbeitende Unternehmen eigentlich kein Problem dar.
Die Konzepte von „complicity“ und von „sphere of influence“ werden allerdings noch immer unterschiedlich breit definiert, das ist Teil einer pluralistischen Gesellschaft, damit kann man umgehen. Es ist schwierig, einen Korridor zu definieren, dem alle zustimmen. Das Interessante hier ist, dass oft der gesunde Menschenverstand verloren geht. Ich habe mehrfacherlebt, dass eine Amnesty oder eine Human Right Watch auf der einen Seite Dinge verlangt hat, die für mich zu extrem – oder sagen wir zu idealistisch – waren und auf der anderen Seite die International Chamber of Commerce in Paris Dinge so eng sah, dass dies auch keine Chance auf Zustimmung hatte. Der bekannte und von den Philosophen immer wieder genannte Mittelweg, der für die Sache Sinn macht und dem entspricht, was der gesunde Menschenverstand sagt, spielt in der politisierten Debatte oft keine Rolle. Man hat das Gefühl, es werden auf beiden Seiten Pflöcke eingerammt, damit man Kompromissmöglichkeiten hat. Mit dem hab ich etwas Mühe, man verliert ganz viel Zeit, um die Leute dort abzuholen, wo sie eigentlich gar nicht bleiben wollen.
John Ruggie hat vor drei Jahren sein Konzept vorgelegt und nannte es „Protect, Respect, and Remedy“
1. Menschenrechte schützen – das soll die Pflicht der Staaten sein;
2. Menschenrechte respektieren – ist die Aufgabe der Unternehmen und zwar unabhängig davon, ob der Staat seine Hausaufgaben gemacht hat oder nicht und
3. Remedy – bedeutet, dass dann wenn es zu Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen gekommen ist, die Entschädigung der Opfer auf eine unbürokratische Art und Weise passiert und eben nicht, wie das manche amerikanischen Unternehmen machen, man zwei Rechtsabteilungen und drei Anwaltsbüros dagegen in Stellung bringt und dann im Prinzip fünf Jahre prozessiert. Die Anwälte werden dabei reich und die Opfer bekommen nichts – das kann es ja dann auch nicht richtig sein.
Die Pflicht des Staates, den Schutz der Menschenrechte sicherzustellen, ist zwar international Konsens – aber keineswegs immer praktizierte Realität. Wenn sie sich den Bericht der Amnesty International anschauen sind es eben oft die Regierungen und Behörden der Staaten, die entweder, wenn es despotische Staaten sind, mit den Menschenrechten so umgehen, wie es ihnen ins politische Kalkül passt – besonders wenn es um die Verfolgung der politischen Opposition geht – oder dass die Gesetze auf dem Papier zwar existieren, diese aber nicht durchgesetzt werden. Wie sollen Unternehmen Unternehmer oder Menschen mit gesundem Menschenverstand auf solche Situationen reagieren? Ich kann Ihnen keine allgemein gültige Antwort geben, zumindest jedoch sollte man alles in der eigenen Macht stehende versuchen, nicht Teil des Problems zu werden.
Zum zweiten Punkt: „Menschenrechte respektieren“, sie zu achten. Es liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse von Unternehmen, alles zu tun, um Menschenrechtsverletzungen im eigenen Einflussbereich zu vermeiden und diesbezügliche negative Auswirkungen der Geschäftstätigkeit so weit als irgend möglichauszuschliessen. Was genau aber fällt in der gegenwärtigen Diskussion unter die Rubrik „negative Auswirkungen“? Die kurze Antwort ist: „zu viel und zu Verschiedenes!“:
Ich kann ihnen Publikationen zeigen, die zum Ausdruck bringen, „wenn ihr einen zu hohen CO2-Ausstoß habt, dann leistet ihr einen Beitrag, der zu Global Warming führt. Und dieses Global Warming führt dazu, dass es auf den Malediven oder auf andere Inseln zu einer Erhöhung des Wasserstandes kommt und da Menschen vertrieben werden und die dort nicht mehr leben können. Also ist es eine Menschenrechtsverletzung.“
Wenn Sie ein Unternehmen in einem Land haben, dessen Regierung die Menschenrechte missachtet, oder diesem den Auftrag bekommen ein Produkt zu liefern oder ein Gebäude zu erstellen und Sie nehmen diesen Auftrag an. Werden Sie dadurch mitschuldig an dem, was der Präsident Mitgliedern der Opposition antut – der geht Sie das gar nichts an, weil Sie ohnehin nichts dagegen tun können?
Wie gehen wir damit um, wenn die Regierung eines Landes systematisch Teile der Bevölkerung ausgrenzt und nicht wünscht, dass sie in Ihrer Fabrik eine andere Politik verfolgen, weil sie nach anderen Kriterien einstellen und befördern?
Wenn Sie in Ihrer indischen Niederlassung ein Management haben, dass völlig aus Brahmanen besteht und alle Putzfrauen Harijanis sind, ist das Diskriminierung – oder ist das eine kulturell-religiöse Angelegenheit, die Sie als Teil dessen, was im Land als normal angesehen wird, hinnehmen sollten?
Meines Erachtens ist es auch mit der Korruption nicht so einfach, wie das manchmal gesehen wird: In vielen Kulturen gehört Reziprozität zum guten Ton, zum minimalen Anstand. Wo hört Reziprozität auf, wo fängt Korruption an? Das deutsche Finanzamt sagt vielleicht bei 50 Franken oder 50 Dollar aufwärts. Bei manchen Firmen dürfen Sie niemanden zum Nacht-Essen einladen, wenn es mehr als 80 Franken pro Person kostet. Ist es die Art von micro-management, die wir leisten möchten, um Korruption zu bekämpfen?
Wir sind mitten in einer Diskussion, in der ich mir manchmal wünschen würden, dass die Unternehmen nicht nur vornehm schweigen, sondern aktiv an der Diskussion teilnehmen und von Zeit zu Zeit auch mal sagen “Hey, hör mal, das geht so nicht, und wir möchten gerne einmal unsere Sicht der Dinge aufzeigen“.
Es geht aus meiner Sicht überhaupt nicht darum, Verletzung von Menschenrechten durch ihre Geschäftstätigkeit zu vermeiden. Das gehört zur guten Management-Praxis und zum normalen gesunden Menschenverstand – jenem Minimum an Anstand, den wir bei Menschen erwarten können.
Die Frage, um die es hier geht ist die, was genau gemeint ist, wenn wir von Menschenrechtsverletzungen reden. Und hier ist eben der Pluralismus sehr groß. Ich gebe Ihnen ein Beispiel:
In Art. 25 der Menschenrechtserklärung heißt es u.a., dass jedermann ein Recht auf medical care – auf ärztliche Versorgung habe. Die Konvention über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte macht daraus sogar ein Recht auf Gesundheit, „the right to the highest attainable standard of physical and mental health. Und das impliziert ein Recht auf Zugang zu Medikamenten, die diese Gesundheit wieder herstellen, wenn sie verletzt ist.
Ich arbeite bei einem Unternehmen in der Schweiz das Arzneimittel herstellt. Es gibt 2,5 Milliarden Menschen auf dieser Welt, die ein Pro-Kopf-Einkommen von 2 Dollar oder weniger haben – und dennoch oder gerade deshalb oft krank sind. Keiner diesen Menschen kann sich auch nur ein Produkt leisten, das in der Schweiz erforscht, entwickelt, hergestellt und in Schweizer Franken fakturiert ist. Verletzt jetzt ein Pharma-Unternehmen die Menschenrechte, Art 25 – right to medical care, wenn es sich an Marktpreise hält?
Das sind keine theoretischen oder unwichtigen Fragen. Sagen Sie mir, welche Antwort Sie hören wollen und ich sage Ihnen, wen sie fragen sollen. Deshalb ist es so wichtig, das Unternehmen an dieser Diskussion teilnehmen. Deswegen ist es so wichtig, auf die bewährte Arbeitsteilung in einer Gesellschaft hinzuweisen, anstatt mit moralisierenden Urteile über andere Menschen das Leben schwer zu machen: eine NGO hat eine andere Funktion in der Gesellschaft als ein Unternehmen beide haben unterschiedliche Rollen, unterschiedliche Pflichten und unterschiedliche Funktionen. Deswegen ist es wichtig, das man rüber unterschiedliche Positionen redet und darauf aufmerksam macht, dass das, was Amnesty International, Human Rights-Watch oder Médecins sans Frontière in die Diskussion einbringt, ein „on the one hand“ ist und es daneben in guten Treuen auch ein „on the other hand“ gibt. Und darüber sollten man mit Menschen guten Willens, denen es um Fortschritte in der Sache geht, reden können.
John Ruggie hat auch verlangt, dass jedes Unternehmen eine Unternehmenspolitik haben soll, die ihre Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte festschreibt, einen Due-Diligence-Prozess, mit dem man im Zweifel oder einmal im Jahr über die Bücher geht und feststellt, ob es irgendwo irgendwelche Hinweise auf mögliche Menschenrechtsverletzungen gibt. Und Drittens Verfahren zur Wiedergutmachung aller Menschenrechtsverletzungen entwickelt.
Die Arbeit von John Ruggie hat große internationale Unterstützung bekommen und das ist auch richtig so. Ich bin damals, als ich für Kofi Anan gearbeitet habe, voller Idealismus durch die Welt gezogen und habe allen Unternehmen, Präsidenten und CEO, die ich vor das Gesicht bekommen habe gesagt, ihr müsst unbedingt den Global Compact unterstützen – heute würde ich das so nicht mehr machen. Heute würde ich empfehlen, Ihr solltet den Global Compact unterstützen, aber, bevor ihr das öffentlich macht, über die Bücher gehen und die Geschäftsrealität im Lichte der 10 Prinzipien auf eventuelle Schwachstellen durchleuchten. Der Grund ist, dass ein Unternehmen, das heute moralisch kommuniziert (und nichts anderes ist es, wenn man verspricht, die 10 Prinzipien des Global Compact und damit auch die zwei Menschenrechtsprinzipien umzusetzen), schon morgen an Parametern gemessen wird, die ihm vielleicht gar nicht bewusst sind. Also: macht zuerst die Hausaufgaben und bringt eventuelle Defizite in Ordnung, und kommuniziert dann.
Heute stellen sich Manager, die ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verrichten, in Bezug auf die Menschenrechts-Artikel immer noch die Frage, „Was genau muss ich morgen anders machen?“. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten.
Warum? Weil Menschenrechte etwas „Besonderes“ sind!
Ich glaube, die meisten Menschen würden zustimmen, dass ein Unternehmen das seinen Arbeitern in der Schweiz 25 Franken pro Stunde bezahlt, in Indien aber nur 5 Franken pro Stunde, nicht unmoralisch handelt – die Kaufkraft ist eine andere und der Warenkorb ist ein anderer. Solche Unterschiede kann man erklären.
Ähnliches gilt für Umweltschutz: Nach dem Unglück in Schweizerhalle war das politische Ziel der Basler Regierung, dass es im Rhein wieder Lachs haben solle – dieses Ziel wurde übrigens dieses Jahr erreicht. Das hat Milliarden gekostet, die man vielleicht kosteneffizienter für Umweltanliegen an anderen Orten hätte einsetzen können. Ich kenne aber wenig Menschen, die das „Lachsansiedlungs-Postulat“ für das Wasser im gelben Fluss oder im Bramaputra für angemessen halten würden – Abweichungen bei verschiedenen Umweltstandards das kann man auch erklären, solange man sich an gute Praktiken des europäischen Durchschnitts hält.
Bei den Menschenrechten ist es aber nicht so – hier ist es wie bei einer Schwangerschaft. Entweder man ist schwanger oder man ist es nicht. Es gibt nicht „ein bisschen schwanger“ und Menschenrechte ein bisschen zu verletzten, das geht auch nicht. Das Problem ist, dass es bei den Menschenrechten keine „Richterskala“ gibt:. Obwohl wahrscheinlich keine Erdbebenspezialisten unter sind, wissen die meisten von Ihnen, dass, wenn sie in den Nachrichten hören, es gab ein Erdbeben mit
7,9 auf der Richterskala: „das war schlimm“. Und wenn wir hören 2,5, dann wissen wir intuitiv, das war vermutlich unangenehm, aber nicht schlimm.
Wenn wir in der Zeitung lesen, ein Unternehmen hat Menschenrechtsverletzungen begangen, sagen wir in Burma oder im Kongo, dann ordnen die meisten Menschen das spontan auf der Richterskala bei irgendwo über „6“ ein – weil sie mit Menschenrechtsverletzungen mit schlimmsten Dingen wie Völkermord, Kriegsverbrechen, Sklaverei, Folter, Hinrichtungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder gesetzwidrige Inhaftierung assoziieren. In der unternehmensbezogenen Menschenrechtsdiskussion sind aber auch Handelsfragen, Investitionsfragen ja sogar Patentfragen gemeint – da ein Patent einem Unternehmen eine relativ grossen Spielraum für die Preissetzung erlaubt, sind patentierte Arzneimittel meist zu teuer für arme Patienten – sie haben dann keinen Zugang.
Man muss also im konkreten Fall erst einmal herausfinden, was gemeint ist, wenn man von unternehmensbezogenen Menschenrechtsverletzungen spricht.
Fakt ist, dass die öffentliche Meinung keine grossen Stücke auf die Integrität von Unternehmen hält, wenn internationale Ikonen wie Desmond Tutu oder eine Mary Robinson etwas gegen ein Unternehmen sagen, dann hat das ein anderes Gewicht als wenn jemand von einem Unternehmen etwas Anderes sagt. Die öffentliche Meinung ist eine immense normative Kraft – ganz besonders dann, wenn es um den Respekt der Menschenrechtsproblematik in all seinen Erscheinungsformen geht. Man sollte als Unternehmen deshalb alles dafür tun, dass diese Diskussion vom Unternehmen fern gehalten werden kann.
Nach dem John Ruggie im Jahre 2008 das Protect, Respect and Remedy-Konzept vorlegte, wurde dieser vom Menschenrechtsrat angenommen – aber auch ein neuer Auftrag für zwei Jahre gegeben, nämlich das Konzept zu operationalisieren. Heute liegen dazu 31 Leitlinien vor – Sie finden diese bei Google. Fünf wesentliche Punkte stehen im Vordergrund.
• Um die Inhalte des Rahmenkonzepts im Geschäftsalltag zu integrieren, empfehlen die Leitlinien den Unternehmen, ihre Verantwortung für die Respektierung der Menschenrechte ausdrücklich in ihrer Unternehmenspolitik zu fixieren. Eine Grundsatzerklärung soll
• durch die höchste Führungsebene des Unternehmens genehmigt werden;
• unter Mitarbeit interner und externer Fachleute formuliert werden;
• die Erwartungen an Personal, Geschäftspartner sowie andere Beteiligte festschreiben;
• bei Angestellten, Geschäftspartnern und weiteren interessierten Kreisen bekannt gemacht werden und
• in betrieblichen Richtlinien und Verfahren aufführen, um sie im gesamten Unternehmen zu verankern.
Wo immer es im Unternehmensalltag darum geht, Geschäftsziele zu formulieren, Vorschriften einzuhalten, Leistungen zu beurteilen oder Prämien festzulegen, soll das Engagement für die Menschenrechte als Teil der Unternehmenspolitik präsent sein.
Der menschenrechtliche Due-Diligence-Prozess ist von besonderer Bedeutung:
Wenn Fehlverhalten Einzelner ans Licht kommt, können diese Unwissenheit vorschützen. Für Unternehmen gilt dies nicht. Denn die Mehrzahl der Menschen in OECD-Ländern erwartet, dass Unternehmen alle aktuellen oder potenziellen Risiken ihrer Aktivitäten kennen. Dasselbe verlangt auch die Forderung nach menschenrechtlichen Due-Diligence-Prüfungen. Gemäß den Leitlinien „Menschenrechte und Wirtschaft“ sollen diese Verfahren
• Beeinträchtigungen der Menschenrechte erfassen, die ein Unternehmen durch eigene Aktivitäten verursacht oder zu denen es im Zusammenhang mit Produkten oder Dienstleistungen von Geschäftspartnern beiträgt; und
• regelmässig durchgeführt werden, weil sich die menschenrechtliche Risiken durch die Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit und des betrieblichen Umfelds verändern können.
Zur Unterstützung sollten Unternehmen interne oder externe Menschenrechtsexperten und andere Ressourcen hinzu ziehen. Sie sollten zudem je nach Grösse, Art und Geschäftsumfeld das Gespräch mit direkt Betroffenen und anderen Interessengruppen suchen. Die Resultate aller Anstrengungen sollen einen kontinuierlichen Lernprozess stimulieren, der sich prägend auf die gesamte Unternehmenskultur auswirkt.
Über ihre Erfahrungen, heisst es in den Leitlinien, sollen die Unternehmen öffentlich Rechenschaft ablegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Probleme durch Betroffene oder in deren Auftrag vorgebracht wurden. Unternehmen, deren Betrieb oder Geschäftsumfeld Risiken für schwere Beeinträchtigungen der Menschenrechte bergen, sollen in aller Form über entsprechende Gegenmassnahmen berichten. Den Leitlinien zufolge sollte die Berichterstattung in allen Fällen
• in Form und Häufigkeit den menschenrechtlichen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit gerecht werden und den jeweiligen Zielgruppen zugänglich sein,
• ausreichende Informationen liefern, um ein Urteil über die Angemessenheit der ergriffenen Massnahmen zu ermöglichen, ohne aber
• ein Risiko für Betroffene, das Personal oder die legitime Wahrung von Geschäftsgeheimnissen darzustellen (Whistleblowing).
Wenn Menschenrechte durch unternehmerische Tätigkeiten verletzt wurden, fordern die Leitlinien Wiedergutmachung im Rahmen rechtmässiger Verfahren. Unternehmen sollten auf keinen Fall eine Armee von Anwälten aufbieten, um es den Opfern unmöglich zu machen, eine faire Entschädigung für das erlittene Unrecht zu erhalten.
Was bedeutet dies alles für die Praxis?
Für Unternehmen, die sich dem Wettbewerb integer stellen, sind weder das Rahmenkonzept „Protect, Respect, and Remedy“ noch die Leitlinien ein Problem. Ihre Festlegungen gehören zum eisernen Bestand moderner Unternehmensführung, und sie entsprechen auch dem Stand der Forschung im Bereich unternehmerischer Verantwortung. Die Diskussion über Menschenrechte und Wirtschaft ist jedoch politisch und emotionell hoch aufgeladen. Die Beteiligten sind uneinig darüber, was ein Menschenrechtsproblem darstellt, wer zu welchen Handlungen verpflichtet ist und zu wessen Gunsten – und das macht das Terrain unübersichtlich.
Die von John Ruggie und seinen Kollegen vorgestellten Empfehlungen trugen massgeblich dazu bei zu klären, welche Verantwortung Unternehmen im Hinblick auf die Respektierung der Menschenrechte zu übernehmen haben. Das Management insbesondere grosser Unternehmen ist gut beraten, die UNO Leitlinien der eigenen Unternehmenskultur anzupassen und die Regeln so detailliert zu formulieren, dass ihre Einhaltung überwacht werden kann.
Das Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte ist heute nicht länger nur eine Frage der guten Sitten und des Anstands, sondern ein „normales“ Element guter Unternehmensführung. Für global tätige Unternehmen ist es wichtig, von der Mehrheit der Bürger als „Teil der Lösung“ angesehen zu werden, und nicht als „Teil des Problems“. Verantwortliche Führungskräfte wissen, dass es unmöglich ist, als Spitzenunternehmen mit erstklassigen wirtschaftlichen Ergebnissen aufzutrumpfen und gleichzeitig als zweitklassig in Sachen Menschenrechte wahrgenommen zu werden. Sie sie handeln entsprechend und proaktiv.
Deshalb ist es empfehlenswert, einen unternehmensinterner Prozess in Gang zu setzen, der folgende Phasen umfasst:
• Sammeln von Informationen und unterschiedlichen Sichtweisen (Analyse), Beratung mit Interessengruppen (Stakeholder-Dialog) und Entwicklung einer Unternehmenspolitik im Hinblick auf Menschenrechtsfragen (Reflexion),
• Entscheidung über geeignete menschenrechtliche Unternehmensrichtlinien und Managementprozesse (Definition) und
• Umsetzung der getroffenen Entscheidungen im unternehmerischen Alltag.
• Beurteilung des „menschenrechtlichen Umfelds“ von Geschäftspraktiken
Meine Erfahrungen als Sonderberater von UN-Generalsekretär Kofi Annan für den Global Compact haben mich gelehrt, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen, die den Global Compact der Vereinten Nationen unterstützen, trotz bester Absichten zunächst keine klare Vorstellung davon haben, was es für sie bedeutete, innerhalb ihres Einflussbereichs „den Schutz der international verkündeten Menschenrechte zu unterstützen und zu respektieren“ sowie „sicherzustellen, an Menschenrechtsverletzungen nicht beteiligt zu sein“. Angesichts der Komplexität des human rights and business Themas ist es allerdings nicht ratsam naiv davon auszugehen, dass einem dieses Thema nicht betrifft.
Die Existenz des UN-Rahmenkonzepts und der Leitlinien bietet einem Unternehmen eine gute Möglichkeit, das Thema neu aufzurollen: In der Diskussion über Menschenrechte und Wirtschaft interpretieren engagierte NGOs erheblich tiefer als die meisten Führungskräfte erwarten würden. Da die gesellschaftliche Akzeptanz und die Beurteilung der Legitimität einer Geschäftstätigkeit nicht von der Überzeugung des Managements abhängen, untadelig zu wirtschaften, sondern vom Urteil der Zivilgesellschaft abhängt, ist es ratsam, sich neuen Sichtweisen mental zu öffnen. Dies bedeutet auch Informationen aus alternativen Quellen zu sammeln und die Entscheidungsbasis zu erweitern. Je mehr Fakten über heikle Themen zur Verfügung stehen und je mehr Erkenntnisse über den bestehenden Wertepluralismus in Bezug auf diese Fakten vorliegen, desto leichter sind fundierte Entscheidungen zu treffen. Konkret: Unter anderem sollte jedes Unternehmen für sich die folgenden Fragen klären:
• Welche Bedeutung hat die Diskussion über Menschenrechte und Wirtschaft für die Aktivitäten unseres Unternehmens?
• Welche Aspekte unserer Geschäftstätigkeit könnten in diesem Zusammenhang exponiert sein?
• Wo sehen aussenstehende Anspruchsgruppen potenzielle oder tatsächliche menschenrechtliche Probleme im Zusammenhang mit unserer Geschäftstätigkeit?
• Gibt es Schwachstellen durch die Zusammenarbeit mit Dritten, und wie gehen wir damit um?
Im Idealfall entwickeln Unternehmen im Hinblick auf die Respektierung der Menschenrechte eine eigene Strategie, welche darauf abzielt, den Geist der international anerkannten Normen in die eigene Geschäftstätigkeit zu integrieren.
Zur Standortbestimmung lohnt es sich, mit Hilfe der bestehenden Schulungs- und Beurteilungs-Werkzeuge Elemente zu ermitteln, die für das Unternehmen in der aktuellen Situation hilfreich sein können. Selbst wenn ein Unternehmen nicht über das ausgereifteste und umfassendste Werkzeug (das Human Rights Compliance Assessment (HRCA) des Danish Institute for Human Rights) verfügt, kann es
mit eigenen Mitteln beginnen, seine Geschäftstätigkeit aus einer unabhängigen Menschenrechtsperspektive zu betrachten und Fragen zu stellen, die im Elfen-beinturm der Manager nicht zur Routine gehören. Bei Führungskräften, deren Verantwortungsbereich auf die Alltagsroutine bestimmter Geschäftsfunktionen (Finanzen, Marketing, Herstellung) begrenzt ist, kann die intensive Suche nach Antworten auf Fragen ausserhalb der Haupttätigkeit sensibilisierend wirken. Schon allein die Tatsache, dass Menschenrechtsfragen aus eigener Initiative – und nicht aus einer defensiven Position heraus – intern erörtert werden, ohne dabei kritischen Fragen auszuweichen, erhöht die Sozialkompetenz der Firma.
Ein Unternehmen vertieft seine Kompetenz für das Thema, wenn es intern und extern ein möglichst breites Spektrum von Meinungen erfasst. Wer sich ausschliesslich auf interne Analysen verlässt, läuft Gefahr, wichtige Aspekte auszublenden – nicht aus bösem Willen, sondern weil das jeweilige „Silo“, in dem Menschen professionell engagiert sind, verschiedene Themen unterschiedlich priorisiert. Ratsam ist es unabhängige Dritte bei schwierigen politischen Entscheidungen und in Zwangslagen bei zu ziehen. Es zeugt von Klugheit, das Wissen und die Erfahrungen von spezialisierten Fachleuten oder Organisationen zu nutzen – und sich dabei einer Vielfalt von Meinungen, Werten und Interessen auszusetzen. Dialoge mit externen Experten und Interessengruppen sind nicht dazu da, ohne weiteres deren Forderungen zu erfüllen – sie können aber das Verständnis für einen „Meinungsmarkt“ fördern, auf dem sich die Ansichten und Urteile eines einzelnen Unternehmens mit vielen anderen „Produkten“ messen müssen. Auf diese Weise verbessern sie die Qualität der endgültigen Entscheidung.
Beratungsprozesse sind nicht nur wertvoll, um die ganze Vielfalt der vorhandenen Ansichten zu erfassen; sie sind auch notwendig, um die Akzeptanz für die resultierenden Richtlinien und Managementwerkzeuge zu sichern. Erfahrungen haben gezeigt, dass Regelungen, die als „von oben“ aufgezwungen erscheinen, in der täglichen Praxis weniger wirksam sind als Regelungen, die als „eigene“ Entscheidung gelten. Wenn Veränderungen von Richtlinien als Bedrohung erfahren werden (für Investitionspläne, Marketingpolitik, Kundenbeziehungen), kann dies – trotz Entscheidungsfindung auf Ebene der Unternehmenspolitik – zu passivem
Widerstand, Verschleierungspraktiken und letztlich zu „Potemkinschen Dörfern“ führen.
Meine Herren, externe und interne Debatten sind kein Selbstzweck – das wissen Sie alle aus Ihrer eigenen Geschäftspraxis. Wenn durch Experten-Hearings und einen ausführlichen Meinungsaustausch eine solide Entscheidungsbasis geschaffen ist, muss klar definiert werden, wofür das Unternehmen Verantwortung übernehmen will. Ein intensives Abwägen von Vor- und Nachteilen verschiedener Optionen schafft Klarheit über Reichweite und Grenzen der menschenrechtlichen Verantwortung. Aufgrund des Rahmenkonzepts und der Leitlinien sollte sich im Prozess der Entscheidungsfindung auch die Bedeutung von Begriffen wie „Einflussbereich“ und „Mittäterschaft“ klären lassen.
Das Ergebnis des Beratungs- und Entscheidungsprozesses sollte in menschenrechtliche Unternehmensrichtlinien übersetzt werden, die vom Geist des Rahmenkonzepts und der Leitlinien geprägt sind. Sobald ein Unternehmen die Einzelheiten seines Engagements festgelegt hat, werden sie Bestandteil der normalen Managementprozesse umgesetzt. Das heisst: die Einhaltung der menschenrechtlichen Richtlinien wird zum Bestandteil der alltäglichen Routine.
Ich komme zum Schluss: Die Diskussion über Menschenrechte und Wirtschaft wird auch nach dem Abschluss der Arbeit von John Ruggie weitergehen. Unternehmen sind daher gut beraten, sich auch künftig an der Debatte zu beteiligen und ihre legitimen Interessen einzubringen. Es ist absehbar, dass sich die Wirtschaft zunehmend mit der Forderung nach menschenrechtlichen Due-Diligence-Prüfungen konfrontiert sieht. Gewisse Länder sowie die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte werden – u.a. im Zusammenhang mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit – stärker in den Fokus geraten. Gute Manager zeichnen sich in diesem Zusammenhang durch vorausschauende Eigeninitiative aus. Sie nehmen Menschenrechtsfragen aus eigenem Antrieb in Angriff, bevor sie durch externen Druck dazu gezwungen werden. Die Human Rights Working Group des Global Compact und der Global Agenda Council on Human Rights des Weltwirtschaftsforums sind in diesem Kontext die wichtigsten internationalen Foren.
Unterstützung und Respektierung der international anerkannten Menschenrechte gehören heute neben dem Engagement für faire Sozial- und Umweltstandards und neben der Korruptionsbekämpfung nicht nur zum moralischen Grundkonsens, sie liegen auch im geschäftlichen Interesse – und zwar weit über den Schutz des guten Rufs hinaus. Das Angebot menschenwürdiger und sicherer Arbeitsplätze, die respektvolle Behandlung der Angestellten, Massnahmen gegen Diskriminierung und die Förderung der Diversität unter den Beschäftigten, wie auch gute Beziehungen zur Nachbarschaft, kommen einem nachhaltigen Geschäftserfolg zugute.
Nachhaltige Fortschritte der menschlichen Entwicklung sind nur möglich, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft ihren Beitrag dazu leisten. Durch Investitionen, Produktivität, Arbeitsplätze, Löhne, Ausbildung und die Förderung der Eigeninitiative sowie durch Produkte und Dienstleistungen trägt die Wirtschaft signifikant zu einer Entwicklung mit menschlichem Antlitz bei. Der Beitrag der einzelnen Unternehmen ist dabei abhängig vom Führungsstil und dem Wertehorizont des Top-Managements – insbesondere von dessen Fähigkeit, zuzuhören und von Gesprächspartnern zu lernen, vom Mut, auch schwierige Probleme anzugehen und sich Wertekonflikten zu stellen, sowie von der Entwicklung von Führungspersönlichkeiten, welche die Meinungsvielfalt und den Umgang mit schwierigen Problemen als Bereicherung empfinden und nicht als Last. Zu guter Letzt: Ein Gebot kann nicht oft genug betont werden – es gilt für Menschenrechtsfragen ebenso wie für soziale und ökologische Belange – das Gebot gemeinsamen Handelns! Nachhaltige Verbesserungen der Menschenrechtssituation sind nur zu erzielen, wenn alle Akteure – die internationale Gemeinschaft, nationale Regierungen, die Zivilgesellschaft und private Unternehmen aber auch jeder einzelne Konsument mit der Allokation seiner Kaufkraft – wenn also wirklich alle ihre Anstrengungen bündeln, mit robustem Vertrauen zusammenarbeiten und sich glaubwürdig, weil nachhaltig engagieren. Eine Patentlösung gibt es nicht. Und keiner der Beteiligten kann diese Aufgabe im Alleingang erfüllen – alle müssen ihren Teil der Last tragen. Und was an Konferenzen und in Erklärungen versprochen wird, muss gehalten werden.
Jenseits der täglichen unternehmerischen Verantwortungen, stellen sich auch für Manager globaler Unternehmen Werte-Fragen wie: „Was für eine Welt wünschen wir uns und unseren Kindern?” und „Wie kann ich in meiner persönlichen und professionellen Rolle einen Beitrag dazu leisten?“ Was auch immer die individuelle Wertewahl hinsichtlich eines Lebens in Würde, Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Fairness sein mag – es kann keine Welt sein, in der die Menschenrechte nicht gewahrt werden. Welche Verpflichtungen wir in dieser Hinsicht bereit sind einzugehen, muss jeder Einzelne in seiner Familie, seiner Arbeit und in seiner Rolle als Bürger selbst entscheiden.
„Wandel“ – auch Wandel in Unternehmen- geht immer von Minderheiten aus, von geistigen Eliten, die das Risiko von Vorreitern in unübersichtlichem Terrain auf sich nehmen, die großen Dinge werden immer nur von einer kleine Zahl von Menschen befördert. Aber das sollte niemanden, der einen Beitrag leisten will zu einer Welt, wie wir sie alle für unsere Kinder und Enkel erhoffen, pessimistisch stimmen – wir sollten uns stattdessen an Margaret Mead’s Diktum erinnern: „Man sollte nie daran zweifeln, dass eine kleine Gruppe nachdenklicher, engagierter Bürger die Welt verändern kann. Tatsächlich sind sie die einzigen, die dies vermögen.“
Weil ich heute von Herrn von Boddien und von Herrn Paul Helminger so schöne Geschichten gehört habe, möchte ich auch mit einer solchen schließen: Es gab in einem sehr entlegenen Dorf in China einen weisen alten Mann, der auf alle Fragen immer die richtige Antwort hatte. In diesem Dorf gab es auch zwei junge Männer, die waren auf den Alten richtig sauer, es konnte nicht sein, dass er Alte immer Recht hat. Sie beschlossen also ihn vorzuführen und zu beweisen, dass der Alte auch irren kann. Sie hatten sich folgenden Trick ausgedacht: der eine hatte einen Vogel gefangen und hielt diesen hinter seinem Rücken in seinen Händen. Dann fragte der andere den Alten: „Sag, Alter, was halte ich hinter meinem Rücken?“ Der Alte lächelte und sagte „einen Vogel“. Nun kam die nächste Frage – und die war „geladen“: „Und? Lebt der Vogel oder ist er tot?“. Und die Abmachung war, dass, wenn der Alte sagt, „er lebt“, er den Vogel in seinen Händen tot drückt und wenn er sagt, „der Vogel ist tot“, er ihn zum Beweis des Gegenteils fliegen lässt. Nun also „Lebt der Vogel oder ist er tot?“ Der weise Alte antwortete: “Das liegt ganz allein in euren Händen!“.
Und so ist es mit Menschenrechten in Unternehmen.
Herzlichen Dank!