Begrüßung – Dr. Patrick Wendisch
Sehr geehrte Herren,
seien Sie herzlich willkommen zum Bremer Tabak-Collegium.
Ich begrüße Sie hier im Rathaus zu Bremen, in dem das letzte Collegium des Jahres, das sogenannte Jahresschluß-Collegium, regelmäßig stattfindet. Deshalb gilt unser aller Dank dem Senat der Freien Hansestadt Bremen der es wiederum ermöglicht hat, die Tore des Rathauses für die Gäste des Tabak-Collegiums weit geöffnet zu haben. Herzlichen Dank dafür an Herrn Jens Böhrnsen, an unseren Bürgermeister, der kurzfristig leider nicht dabei sein kann, weil ihm gerade eine Senatorin abhanden gekommen ist! Die Senatorin hat nicht nur einen Doppelnamen, sondern ist auch sehr gewichtig, weshalb sie offensichtlich durch zwei Senatoren ersetzt werden muss. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Das Jahresschluss-Collegium erfreut sich einer äußerst großen Beliebtheit bei den Bremer Freunden und bei den Gästen von auswärts. Bei den ersten wohl, weil sie ein sogenanntes „Heimspiel“ haben, und die Beschwerden der An- und Abreise sich in den üblichen Grenzen halten, nämlich, in den sehr engen Grenzen unseres kleinen Bundeslandes. Deshalb schulden wir unseren auswärtigen Gästen einen viel größeren Dank; dass sie sich teilweise von weit her wiederum zu uns gewagt haben, um sich einmal mehr unseren besonderen Sitten und Gebräuchen freiwillig und ohne zu wissen, was auf sie zukommt, zu unterstellen.
Wir wollen Ihnen heute wieder ein guter Gastgeber sein, so wie seinerzeit der erste preußische König Friedrich I., der das Tabak-Collegium am preußischen Hofe etablierte. Wir begehen heute sozusagen ein Stück preußischer und bremischer Tradition. Denn ich stehe hier mit meiner Begrüßung natürlich nicht von ungefähr; denn der Sohn Friedrichs I., Friedrich Wilhelm I., der gemeinhin als der Soldatenkönig bekannt ist, richtete das Tabak-Collegium als reine Männergesellschaft aus und verlegte die Collegiumsrunden in das Jagdschloss Königs Wusterhausen. Dieses Schloss hieß ja bekanntlich bis zum Jahre 1718 Wendisch Wusterhausen. Damit – also quasi mit mir als ihrem Sprecher heute – kehrt das Bremer Tabak-Collegium an seine Ursprünge im Schloss Wendisch Wusterhausen zurück. Wer hätte das gedacht, dass Bremen und das Tabak-Collegium sogar über die handelnden
Personen derart enge Bezüge zu Preußen haben. Und vielleicht können wir ja das Rathaus – zumindest heute – in „Wendischhaus“ umbenennen.
Auch Friedrich I., der die Tabak-Collegien wohlweislich noch im etwas festlicheren Berliner Stadtschloss abhielt, hatte damals schon das heutige Bremer Tabak-Collegium im Sinn, denn mein verehrter Freund und Kollege aus dem Kleinen Gremium des Tabak-Collegiums, Wilhelm von Boddien, widmet sich ja bekanntlich dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses mit ganzer Kraft. So hatte also auch Friedrich I. bereits mit dem seinerzeitigen Tabak-Collegium an einen Wiederaufbau nach einer möglichen Zerstörung seines Schlosses gedacht.
Ja, meine Herren, wer hätte das von Ihnen geahnt, dass die Weiterführung der preußischen Tradition der Tabak-Collegien in Bremen sozusagen seine Vollendung findet. Eine Kreuzung zwischen Berliner Stadtschloß und Königs Wusterhausen ist unser schönes Rathaus dagegen beileibe nicht. Aber es ist einerseits festlich, was Sie später in unserer wunderschönen Oberen Halle des alten Rathauses feststellen werden, und andererseits hanseatisch zurückhaltend genug, um nicht dem Eindruck des Protzes zu unterfallen.
Doch auch Friedrich der Große, der Sohn des Soldatenkönigs, hatte seine Wurzeln in Bremen. Meine Herren – Sie staunen? Auch die Geschichtskenner unter Ihnen fangen an nachzudenken, wo denn wohl diese Wurzeln liegen. So wird aber durch umfangreiche bremische Geschichtsforschung immer wieder aufgedeckt, was keiner jemals zu vermuten gewagt hätte. Denn Friedrich der Große, mit seinen damals 10.531 BRT, wurde als Doppelschrauben-Salondampfer auf der Vulkan Werft gebaut, dessen unrühmliches Ende, beider, nämlich des Vulkan und Friedrich des Großen Ihnen möglicherweise bekannt sein werden. Beide gerieten in schweres
Fahrwasser und waren anschließend völlig abgebrannt.
Womit sich wieder der Kreis zu Bremen schließt. Bremen ist eine Tabakstadt und wenn hier etwas abgebrannt ist, dann ist es der Tabak nach ausgiebigem Genuss.
So schreibt der bremische Haushaltskalender aus dem Jahre 1824 „was den Rauchtabak anbetrifft, so ist es sehr zu bewundern, wie ein Kraut, das man mit Recht unter die giftigen, betäubenden Kräuter gerechnet hat, und welches wirklich Betäubung, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Ekel, Ohnmacht, Durchfall, Zittern der Glieder, Blässe und Angst, demjenigen, der zum ersten Male davon Gebrauch macht, verursacht, zu einer solchen Ehre hat kommen können, dass sich Menschen jeden Standes seiner mit so viel Lust und Vergnügen bedienen, und, einmal daran gewöhnt, es nicht wieder fahren lassen mögen“. Dem ist nichts hinzu zu fügen!
Meine Herren, ich hoffe es ist Ihnen bewusst, auf was Sie sich hier heute tatsächlich gewagt haben einzulassen. Aber dazu werden Sie auch noch gleich beim Löffeltrunk Gelegenheit haben, der aus einem im Zinnlöffel kredenzten Mittelwächter-Schnaps besteht.
Der bietet übrigens eine sehr gute Grundlage für das Bremer Abendbrot, welches wir Ihnen im Festsaal des Rathauses gönnen, bis es zur eigentlichen Collegiums-Runde in die Obere Halle des alten Rathauses geht; unser bremisches Heiligtum hanseatischen Bürgerstolzes, in dem wir sogar Tonpfeifen anzünden dürfen – (Ja, meine Herren, ich weiß nicht, wie es bei den auswärtigen Gästen zuhause zugeht, aber hier in Bremen sind die Pfeifen immer noch aus Ton!) – denn in dieser wunderschönen, festlichen, Oberen Rathaushalle wird dann unser Ehrengast und Redner des Abends, Herr Giovanni di Lorenzo, den ich in Ihrer aller Namen ebenfalls ganz herzlich begrüßen möchte, über die Macht der Presse uns seine Gedanken mitteilen.
Die Beziehungen von Ihnen, Herr di Lorenzo, nach Bremen sind ja ebenfalls, wie die von Preußen, bekannt. Jetzt denkt natürlich jeder an die Talkshow „3 nach 9“, aber das meine ich gar nicht. Wer hätte gedacht, dass Sie als der Herausgeber einer Zeitung, die ihr Wappen im Titelblatt einem Brief verdankt, der von unserem Bürgermeister Wilhelm Kaisen, der keine 5 m von diesem Stand entfernt in seinem Büro, am 12. Juni 1946 an Ihre ZEIT-Redaktion, Herr di Lorenzo, in Hamburg, einen Brief geschrieben hat.
Das Problem der ZEIT trugen Sie wie folgt vor:
Wie wir zum Bremer Schlüssel im Titel unserer Zeitung kamen … …“ Als unsere Zeitung gegründet wurde, hatten wir auf der ersten Seite das Hamburger Wappen. Als wir erfuhren, dass dies nach Hamburger Recht nicht zulässig sei, wandten wir uns an den Bremer Senat und erhielten folgende Antwort:
Bremen, 12. Juni 1946
Ich komme erst jetzt zurück auf ihr Schreiben vom 31. Mai dieses Jahres, in dem Sie den Antrag stellen, das Bremer Wappen im Kopf Ihrer Zeitung führen zu dürfen. Nach Rücksprache mit meinen Kollegen im Senat sind wir gerne bereit, Ihnen die Erlaubnis zu geben. Ihre Zeitung ist nach unserer Meinung ausgezeichnet redigiert, sie ist gut, riskiert etwas, und wir freuen uns, wenn wir Ihnen helfen können, im Kopfe ihres Blattes zu betonen, dass sich auch das Gebiet an der Weser mit Ihnen und Ihrer Arbeit verbunden fühlt.
gez. Kaisen, Bürgermeister.
Nicht nur die Preußen sondern auch die ZEIT-Redaktion hatten die hellseherische Fähigkeit vorauszuahnen, dass ihr heutiger Herausgeber, ebenso wieder an den Ursprung seiner eigenen ZEIT-Geschichte zurückgekehrt ist.
Wir kommen nunmehr zum Höhepunkt des 1. Teils, nämlich zum Löffeltrunk, den ich sodann das Vergnügen habe, mit Staatsrat Heseler zu zelebrieren. Dazu gebe ich Ihnen noch die von mir bekannten Hinweise und Richtlinien zum Löffeltrunk. Sie müssen übrigens nach dem Löffeltrunk selbigen nicht abgeben. Das könnte, meine Herren – Sie lachen noch, auch angesichts Ihres teilweise fortgeschrittenen Alters, tatsächlich als kompromittierend empfunden werden.
Auch wollen wir Sie nicht über den Löffel barbieren.
Dieser Ausdruck stammte aus der Zeit, als es bei Menschen durchaus auch Ihres Alters schon, meine Herren, keinen Zahnersatz gab und die Barbiere die eingefallenen Wangenknochen vermittels einem in die Mundhöhle geschobenen, umgedrehten Löffels, der nach den Anwendungen nicht gereinigt wurde, nach außen so ausbeulten, dass eine glatte Rasur der äußeren Wangen gelang. Aber auch die übertragene Bedeutung dieses Satzes liegt uns fern, denn schließlich sind Sie zu allem eingeladen.
Sie bekommen bei uns auch keinen „hinter die Löffel“. Die Wirkung dieses Satzes kennen Sie ja bestimmt noch aus Ihrer Jugend, auch wenn das wiederum bei Ihnen allen schon einige Zeit her sein wird.
Wie Sie sehen, bietet so ein Löffel allerhand Anknüpfungspunkte für eine launige Begrüßung. Doch einer seiner besten Verwendungen ist, wie ich finde, ihn als Werkzeug zum Löffeltrunk zu verwenden, zu dem ich nun komme. Deshalb für alle hier die unerbittliche und finale Trinkanleitung.
Sie stehen also Ihrem Nachbarn, den Sie völlig wahllos aus Ihrer Umgebung auswählen, gegenüber. Sie brauchen nicht viel über Ihren Nachbarn zu wissen, sollten allerdings spüren, dass er zu jenen gehört, die von der Hast und Betriebsamkeit unserer Zeit eher unberührt geblieben sind und mit Maß und Grenzen allen menschlichen Lebens vertraut die Dinge mit ruhiger Besonnenheit betrachten. Sofern Sie sich als bremischer Gastgeber betrachten oder im Löffeltrunk-Trinkspruch bewandert sind, übernehmen Sie die Initiative und schauen Ihrem Gegenüber in die Augen, was ich dem Gegenüberstehenden seinem Gegenüber, also Ihnen, die ich zuerst angesprochen hatte, auch empfehle. Sie dürfen dabei natürlich nichts verschütten, was leicht passiert, wenn Sie den bis an den Rand mit Schnaps gefüllten Löffel nicht waagerecht ausgerichtet halten.
Nunmehr, beide mit einem mit Schnaps befüllten und waagerecht ausgerichteten Löffel bewaffnet, eröffnen Sie frohen Mutes das Wort an Ihren besagten Gegenüber und sprechen mit sicherer, tragender Stimme:
Darauf antwortet Ihr Gegenüber:
Daraufhin erwidern Sie:
Antwort – und bitte sprechen Sie sicher, tragend, ohne große Verzögerung oder womöglich Zittern in der Stimme, in der sich selbst Mut machenden Antwort:
An dieser Stelle darf man auch ein schnelles:
„Prost“ einwerfen und sich mit Augenkontakt zunicken.
Der Augenkontakt beim Trinken ist im übrigens auch ein uraltes und damals notwendiges Ritual. Weil man, wenn man trank, eine Hand nicht zum eigenen Schutz an der Waffe haben konnte, wurde durch den Augenkontakt darauf geachtet, dass beim Zutrinken zur selben Zeit der Gegenüber seine Hand am Glas und nicht an der Waffe hatte. Das Zuprosten war also so eine Art Lebensversicherung zur damaligen Zeit.
Hiernach wird der Löffel an Ihre eigene Unterlippe gesetzt und mit einem schnellen Abkippen des Nackens nach hinten, ergießt sich, übrigens in dieser Haltung völlig kleckerfrei, der Löffelinhalt seiner Bestimmung – sofern Sie mittlerweile die Lippen auch leicht geöffnet haben. Wenn Sie stattdessen den Löffel, wie bei einer Suppe, in den Mund führen oder versuchen, ihn selbst bei senkrechtem Kopf zu kippen, wird es allein schon aufgrund der äußeren kreisrunden, kalotten Form des Löffels schwierig, den vollständigen Inhalt seiner Bestimmung auf angenehme und schnelle Weise zu übergeben. Sie wollen ja schließlich auch nicht schlürfen. Diese Prozedur, meine Herren, Sie werden es sehen, geht natürlich in der Praxis viel schneller, als ich das hier in extenso beschreibe.
Sozusagen eine taylorisierte Zerlegung der Trinkarbeit in Einzelschritten. Anschließend strahlen Sie Ihren Gegenüber im fröhlichen Bewusstsein des feinbrotigen Schnapsgeschmackes und der sich langsam wärmenden Speiseröhre, also ihren neugewonnenen „Trinkkumpanen“, könnte man fast jetzt schon sagen, an und sagen:
Er antwortet ebenso fröhlich wie Sie:
Was übrigens nicht heißt „Sie haben den richtigen Tropfen“, sondern es heißt im übertragenen Sinne „Sie haben mich als einen ebenso netten und feinen Kerl richtigerweise zum Zuprosten ausgewählt“.
Wenn Sie diese kleine Kurzanleitung beachten mögen, werden Sie zu den perfektesten Löffeltrunkprostern zählen, die jemals an einem Bremer Tabak-Collegium teilgenommen haben. Auf geht’s!
Herr Heseler eilen Sie zu mir:
Der Bremer Löffeltrunk wird zelebriert mit Herrn Staatsrat Dr. Heseler.
Staatsrat Dr. Heseler: Dat freut mi!
Dr. Wendisch: Ick drink di to!
Staatsrat Dr. Heseler: Dat do!
Dr. Wendisch: Prost!!
Dr. Wendisch: Ick heb di tosapen!
Staatsrat Dr. Heseler: Hest den Rechten drapen!
Und nun weihe ich Sie noch in ein Geheimnis ein.
Und zwar in die liebenswürdige, oldenburgische Variante dieses Trinkspruches.
Sie stehen also Ihrem Gegenüber gegenüber und sagen:
„Ik seh di“.
Darauf antwortet dieser: „Dat langt mi. Prost.“
Ich möchte Sie nun bitten, sich gemeinsam in den Festsaal zum Bremer Abendbrot
zu begeben.